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Interview: ALMANAC
Titel: Wiedergewonnene Begeisterung

Seit Victor Smolski sich Anfang 2015 vom Nordrhein-Westfälischen Heavy/Power Metal-Urgestein Rage trennte, wird der Mann tatsächlich immer noch aktiver.

Und das, was der Gitarrist, Keyboarder, Produzent und Komponist zuvor im Sommer 2013 mit seinem opulenten Lingua Mortis Orchestra stilistisch an den Start brachte, das führt er nun mit der neuen Formation Almanac konsequent theatralisch weiter. Nur zeigt das Debütalbum „Tsar“ die gekonnt orchestrierte Musik Smolskis härter, druckvoller und sehr viel peppiger auf.

Geboten wird von Almanac ebenso klassisch wie dynamisch tradiertes Schwermetall mit Querverweisen zu allerlei (russischen) Klassikvorgaben.

„Seitdem ich bei Rage ein bisschen den musikalischen Spaß verloren und im Januar 2015 die Band verlassen habe, habe ich mir Gedanken über eine neue Band gemacht. Viele Musiker der LMO-Besetzung wollten mit mir dieses Konzept fortführen, meine Wunschsänger David und Andy haben sofort zugesagt und auf der Frankfurter Musikmesse haben wir ein Testkonzert gemacht. Das hat so viel Spaß gemacht, dass wir danach an die Arbeit gegangen sind und ich habe angefangen zu komponieren. Mit so einem fantastischen Line-Up ging es schneller als ich gedacht habe und schon im Sommer hatten wir alle Songs fertig. Wir haben uns viel Zeit genommen für die Studioaufnahmen und ein halbes Jahr in acht verschiedenen Studios das absolut bestmögliche Ergebnis rausgeholt. Es war das erste Mal, bei dem ich als Produzent keine Kompromisse machen musste. Highlight 2015 war das Konzert beim tschechischen Winter Masters Of Rock-Festival. Das fantastische Feedback der Fans hat uns bei der Arbeit sehr unterstützt. Die Doku von unserem Auftritt findet man auf der Bonus-DVD des Digibooks“, lässt Victor wissen.

„Mit Almanac führe ich das von mir ausgedachte Konzept der letzten LMO-Platte fort, mit mehreren Leadsängern und so haben wir David Readman, Andy B. Franck und Jeannette Marchewka am Gesang. Jeder der Sänger hat eine sehr interessante und charismatische Stimme, die perfekt übereinander passen und ich denke wir haben eine sehr spezielle Gesangsfarbe gefunden. Michael Kolar am Schlagzeug hat eine sehr moderne, aggressive Art zu spielen und hat sogar einen Song mit mir zusammen komponiert. Armin Alic am Bass kenne ich schon länger, er war Gast bei meiner letzten Solo-CD und hat mich damals schon mit seinem feinen Gespür für Musik begeistert. Enric Garcia am Keyboard und das Orquestra Barcelona Filharmonia sind ein lang eingespieltes Team. Ich bin sehr froh, dass ich klassische Musiker gefunden habe, die gleichzeitig Metal lieben.“

Die Produktion von LMO im Studio hat ihm unheimlich viel Spaß gemacht, wie er sich erinnert.

„Aber wir haben viel zu wenig live gespielt und leider, ähnlich wie bei Rage, hat mich das musikalische Niveau von Gesang und Bass von Peter Wagner sehr gestört. Man geht nicht auf die Bühne, um Geld zu verdienen. In erster Linie geht es um den Spaß an der Musik.“

Kann sich Victor als Musiker nun mit Almanac noch besser verwirklichen?

„Definitiv, das ist eine Band, die ein unglaublich hohes musikalisches Niveau hat. Für mich als Komponist und Produzent ist es ein Traum, für solche Musiker zu komponieren. Man kann alle Ideen direkt umsetzen ohne von Anfang an Limits zu setzen, wie beispielsweise die Melodie in eine Oktave zu quetschen und den Bass so einfach wie möglich zu halten. In den letzten Jahren habe ich eine Teamarbeit sehr vermisst, bei der alle Musiker involviert sind und viele Ideen bringen, was eine Zusammenarbeit sehr interessant macht. Ich glaube mit der ganzen Live-Erfahrung der letzten 30 Jahre habe ich jetzt eine perfekte musikalische Balance zwischen klassischem Power Metal und modernen Experimenten aus verschiedenen Richtungen, wie zum Beispiel mit einem Symphonie-Orchester, gefunden.“

Leute, die seine Arbeit bei Rage, den Progressive Metallern Mind Odyssey und LMO kennen, werden seine Handschrift auf „Tsar“ sicherlich erkennen, so der vielseitige Musikus.

„Mit Almanac hat es sich gelohnt, ein unglaublich rundes Konzept auf die Beine zu stellen. Aus der guten Stimmung bei der Arbeit haben sich fantastische Songs entwickelt. Für mich die beste Scheibe, die ich bis jetzt produziert habe, da ich es vorher noch nie geschafft habe, alles umzusetzen, was geplant war. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken, denn ohne ein gutes Team kann man so etwas nicht schaffen.“


So ist „Tsar“ alles andere als ein künstlerischer Alleingang.

Die neue Platte spiegelt nämlich alle Musiker wider, so Victor, die darauf zu hören sind.

„Wir alle haben etwas Neues für uns entdeckt und uns unglaublich weiterentwickelt. Für mich war es eine besondere Herausforderung, Songs für ein Konzeptalbum zu schreiben, wo die Reihenfolge schon festgelegt ist. Auch soundmäßig habe ich viel Neues ausprobiert und in acht verschiedenen Studios gearbeitet, um das Beste heraus zu holen. Unsere Zusammenarbeit mit Seeb von Orden Ogan am Mischpult hat sich sehr gelohnt.“

Der Name Almanac hat viele verschiedene Bedeutungen.

„Ein Almanac ist eine periodische, meist einmal im Jahr erscheinende Schrift zu einem thematisch abgegrenzten Fachbereich, wie Theater, Musik, Reisen und ähnlichem. Der Ausdruck Almanach bezeichnete ursprünglich ein astronomisches Tafelwerk, ist abgeleitet vom Wort al manḥ, welches ,Geschenk‘ oder speziell ,Neujahrsgeschenk‘ bedeutet. Für mich persönlich bedeutet Almanac ein großes Geschenk, wenn sich unsere gemeinsamen Pläne kreuzen, nicht nur bei Almanac-Musikern mit Studio-und Probeterminen, sondern auch bei Fans, die zu unseren Konzerten kommen. Also verbindet Almanac uns alle.“ [lacht]

Der Mann hatte noch nie in seinem Leben Angst davor, etwas Neues auszuprobieren, wie er verlauten lässt. „Denn nur so findet man etwas Gutes. Viele Musiker fangen nach dem ersten Erfolg aus Sicherheit an, sich zu wiederholen, um bloß nicht den Erfolg zu verlieren. Auf Dauer ist das ziemlich langweilig und entwickelt sich zur Routine. Ich komponiere meine Songs ohne mir vorher einen großen Plan zu machen, einfach ehrlich so, wie sich das anfühlt. In den letzten 15 Jahren haben wir bei Rage unglaublich viele tolle Songs gemacht und das LMO-Projekt war für mich sehr interessant. Almanac fühlt sich für mich an wie ein ,Best Of‘ meiner bisherigen Erfahrungen. Ich habe meine Ideen in den Proberaum mitgebracht und wir haben rumgejammt und alles mögliche bis zum Endmix ausprobiert. Alle Musiker haben am Stil mitgeschliffen, aber ein kräftiger Symphonic Power Metal war unser Fundament.“

Alle Songs, außer „Nevermore“, den er mit Michael zusammen komponiert hat, stammen von ihm, so Victor.

„Ich habe nach einer historischen Geschichte für das Album gesucht, die bisher noch niemand benutzt hat. David und Andy haben sich aufgeteilt und super Texte geschrieben. Bei der Songentwicklung haben alle ihre Vorschläge miteinbringen können. Mit der Band im Proberaum zu arbeiten macht großen Spaß. Sehr harte Arbeit allerdings war es, die Gesamtnoten für das Orchester zu schreiben, weil es nicht funktioniert, spontan mit einem großen Orchester abzurocken“, erzählt er mit lachendem Tonfall.

Umgesetzt wurden alle Ideen, die nach Meinung der Band gut gepasst haben.

„Es ging nicht um persönliche Frickelei, sondern darum, die Songs so kräftig wie möglich zu machen. Der erste Eindruck ist sehr wichtig, ob die Idee in die richtige Stimmung passt oder nicht. Meine Rolle ist so ähnlich wie die eines Dirigenten beim Orchester. Bei der Song-Entstehung muss eine Person immer das Gesamtkonzept im Kopf haben. Danach ist Teamarbeit angesagt. Live auf der Bühne ist es dann später egal, wer welche Songs komponiert hat.“

Das gesamte Songwriting und Ausarbeiten des neuen Materials nahm nicht wenige Tage in Anspruch. „Wir investierten ungefähr drei Monate zum Komponieren, zwei Monate zum Arrangieren und vier Monate im Studio. Wir haben uns sehr viel Zeit genommen und uns keinen Stress gemacht. Das ist die erste Platte, bei der es für mich keine Tiefen gab. Ich war unglaublich motiviert und musste an einem Punkt ,Stopp‘ sagen, damit die Scheibe nicht Überlänge hat.“

Wie klappte die Zusammenarbeit der einzelnen Bandmitglieder für „Tsar“? „Mit Jeannette habe ich schon bei LMO viel im Studio experimentiert und ihre Vielseitigkeit hat mich beeindruckt. Über das musikalische Niveau von Andy und David müssen wir nicht viele Worte verlieren, es sind zwei der besten Sänger, die man in Deutschland finden kann. Jeder hat seinen eigenen Stil, zum Beispiel bei David ist es mehr die Hard Rock-Schule, mit einer fantastischen Dynamik in allen Lagen. Andy ist mehr ein Power Metal-Evil mit guter Maiden-Tradition. Beide ergänzen sich sehr gut, aber gleichzeitig haben sie das gleiche Groove-Gefühl. Keiner der Sänger hatte bisher die Erfahrung gemacht, mit mehreren Sängern auf der Bühne zu stehen. Umso mehr bin ich erstaunt, wie hervorragend die Zusammenarbeit klappt, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Studio, wenn sie ihre Stimmen arrangieren. Armin und Michael verstehen sich auch blendend und entwickeln eine sehr tighte Groove Section, die den ganzen Sound sehr kraftvoll macht. Neben der ganzen Musikprofessionalität war es für mich wichtig, dass ein gutes Klima in der Band herrscht. In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass es keinen Spaß macht Musik ohne Freundschaft zu machen.“

Thematisch beleuchtet wird auf der Veröffentlichung die Zeit der Herrschaft des berühmten Zaren ,Ivan, der Schreckliche‘, in der er als frommer, intelligenter Herrscher jeden, der ihm widersprach, auf grausamste Weise töten ließ.

„Über die Jahre steigerte er sich in Wahnvorstellungen, die in blanke Raserei und Gewaltausbrüche endeten. Traurige Berühmtheit erlangte seine Zeit auch durch beispielsweise neun Massenexekutionen was er als Reinigung bezeichnete. Depressionen, Wahnvorstellungen und der Totschlag an seinem eigenen Sohn ließen ihn immer stärker innerlich zerfallen und vereinsamen. Er suchte Zuflucht bei Wahrsagern, fühlte sich immer stärker von dunklen Mächten beeinflusst und konnte immer öfter Wirklichkeit und Wahn nicht mehr voneinander unterscheiden. Zuletzt soll ihn seine eigene Grausamkeit eingeholt haben und so wurde er selbst ermordet ... aber das ist nicht bewiesen.“

Werden es Leute ohne geschichtliches beziehungsweise kulturelles Hintergrundwissen schwer haben mit den Songtexten? „Ich denke nicht. Aber für Leute, die sich mit der Geschichte bisher nicht befasst haben, gibt es im Booklet viele Infos hierzu.“

Der Spaß an Musik ist auch 2016 noch immer sein größter Antriebsfaktor, wie er verkündet. „Ich bin von Geburt an mit Musik aufgewachsen. Ich hatte Glück mit meinen Musiklehrern, die mir nicht den Spaß daran verdorben haben, habe sehr früh angefangen, mit meiner ersten Band zu touren und das hat mir unglaublich Freude gemacht. Ich bin sehr glücklich, dass ich in meinem ganzen Leben Musik ohne Kompromisse machen durfte und viele Fans weltweit gefunden habe. Ich kann mir nicht vorstellen, aufzuhören Songs zu komponieren.“

Victor hofft, dass den Zuhörern die neue Almanac-Platte gefällt und dass alle viel Spaß miteinander haben werden bei der anstehenden Tour, welche passend zum Release am 18.03. schon startet. „Außerdem haben wir viele Auftritte geplant für dieses Jahr, u.a. SummerBreeze und Metalfest in Tschechien. Ich würde mich sehr freuen über euer Feedback auf unseren Facebookseiten und unserem Youtube Channel. Danke für euren Support!“

© Markus Eck, 04.03.2016

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