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Interview: CREMATORY
Titel: Familiär

Gothic Dark Metal-Bands, die ein 20-jähriges (!) Bestehensjubiläum feiern, erlebt die Szene wohl seltener als qualitative Wonnemusik im modernen Kommerzradio.

Doch die scheinbar unverwüstlichen Überzeugungsmenschen Crematory heben derzeit nach zwei Dekaden ihrer musikalischen Existenz mit allem berechtigten Stolz die gut gefüllten Sektkelche in den Nachthimmel – und spendieren den treuen Fans im Zuge dessen die umfangreiche Greatest Hits-Veröffentlichung „Black Pearls“, bestehend aus zwei CDs und einer DVD. Während die beiden liebevoll kompilierten Audioscheiben die allergrößten Kompositionserfolge der Pfälzer Urgesteine vereint aufbieten, wurden auf die DVD sämtliche Crematory-Videoclips gepackt.

Ebenfalls bietet besagte Filmplatte den Käufern aber auch einen gehaltvollen 60-minütigen Live-Mitschnitt des Wacken-Gigs der Band sowie eine 30-minütige Aufzeichnung vom Mera Luna-Festival samt zahlreichen Backstage-Szenen, Making Of’s und vieles mehr. Es gibt also ordentlich was zu hören und zu sehen auf „Black Pearls“. Trommler und Familienvater Markus Jüllich gibt sich auch im aktuellen Interview mal wieder, äh, ja, eben alles andere als von Selbstzweifeln geplagt.

Gleich zu Beginn langt der wuchtige Mann ergötzlich kräftig hin:

„Alle Kritiker, die uns ohnehin nie gut gesinnt waren können uns nach wie vor kräftig am Arsch lecken, denn Crematory haben bewiesen, dass man sehr erfolgreich sein kann, auch wenn man nicht die komplette Presse auf seiner Seite hat. Wir haben viel mehr erreicht, als uns das manch einer gegönnt hat. Wir scheißen auf alle Dummlaberer und sind unseren Fans sehr dankbar für das was wir erreicht haben - denn die Fans sind diejenigen, die über den Erfolg einer Band entscheiden, und nicht irgendwelche beschissenen Schreiberlinge, die es selbst nie gepackt haben, ordentliche Musik zu machen, die dann jemand kaufen möchte. Selbst der letzte Crematory-Ignorant hat nach 20 Jahren leider erkennen müssen, dass er an uns nicht vorbeikommt. So lange wir noch Spaß und Erfolg mit der Musik haben, werden wir weitermachen und daran kann uns niemand hindern. Wir sind eine Familie, die sich stets weiterentwickelt hat und ständig gewachsen ist“, verlässt es den Mund des Schlagzeugers.

Nur sehr wenige Künstler aus diesem Bereich der Musik haben wohl so lange durchgehalten wie Crematory. Was hat die beteiligten Musiker ideell am Leben gehalten? „Der Spaß an der Musik und der familiäre Umgang unter- und miteinander, sowie die immer vorhandene Bodenständigkeit. Wir haben schon immer unsere eigenen Ziele verfolgt und uns von niemandem reinreden lassen. Wir haben unser Baby Crematory, ohne Supernanny, so groß gezogen wie wir das für richtig hielten und halten. `We are one family` könnte man also sagen und nach so vielen Jahren kennt jeder die Macken des anderen bei uns. Wir sind mit dieser Konstellation sehr zufrieden - und ich bin sehr froh, so tolle Menschen und Musiker in meiner Band zu haben. Besser geht hier nicht!“

Überhaupt, 20 Jahre Crematory, das ist ja fast sein halbes Leben. Was hätte Markus wohl sonst neben dem Job gemacht, wenn er nicht Trommler bei der Band geworden wäre, fragt man sich. Und die Antwort kommt auch erwartungsgemäß überaus prompt:

„Ich habe mich damals zwischen Fußball und der Musik entscheiden müssen und mich dann letztendlich für die Musik entschieden. Was aber keinesfalls einfach war, denn ich war auch ein sehr erfolgreicher Torhüter beim Fußball und hätte auch dort, so wie die Aussichten damals waren, bestimmt eine erfolgreiche Karriere vor mir gehabt. Trotzdem bin ich mit meiner Entscheidung für die Musik sehr glücklich und dankbar dafür, was ich alles mit Crematory erreichen und erleben durfte.“

Ich erkundige mich im Zuge dessen danach, ob sich der Drummer vorstellen kann, auch noch in 20 Jahren auf der Bühne zu spielen.

Galionsfiguren wie Lemmy, Dio etc. scheinen ja ein vom Aussterben bedrohter Typus zu sein. Markus hierzu, entschieden abwinkend:

„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, denn irgendwann ist die Zeit zum Aufhören gekommen und man sollte nichts erzwingen. Fast alle unserer Bandmitglieder haben mittlerweile Familie und Kinder und somit werden auch die Prioritäten im Alltag anders verteilt, als das noch vor zehn Jahren war, wo wie alle sozusagen vogelfrei waren.“

Crematory sind insgesamt soweit also mit dem Verlauf ihres Werdegangs zufrieden, so der Stockschwinger, aber, „mehr geht immer“, wie er ebenfalls noch einwirft.

Mehr noch: „`Infinity` ist sehr gut gelaufen und auch die Konzerte und Festivals dazu haben viel Spaß gemacht. Das Hauptproblem für uns und andere Bands sind jedoch die illegalen Downloads. Diese nehmen leider immer mehr zu und somit hat man wesentlich geringere Plattenverkäufe und Lizenzeinnahmen um das nächste Album zu produzieren. Was dann im Endeffekt heißt, dass die Qualität des Sounds immer schlechter wird und man somit den Standard hoher Produktionen nicht halten kann. Wir wollen das aber nicht und haben uns entschlossen sogar aus eigener Tasche das Geld für eine tolle Albumproduktion zu investieren, denn ein Crematory-Album ist für die Ewigkeit und wir wollen keine minderwertige Produktion abliefern. Die Fans sind es von uns gewohnt, gute Qualität zu bekommen - und bevor wir auf Low-budget produzieren müssen, da nicht ausreichend Geld da ist, hören wir lieber auf.“

„Infinity“ war mal wieder etwas härter als die Vorgängeralben und fand vergleichbar zu der schlechten Marktsituation allerdings glücklicherweise doch guten Absatz, so der Trommelmann noch ergänzend zu diesem Kontext. Markus, bekanntlich nie um einen Spruch verlegen, schildert sehr gerne seinen ganz persönlichen idealen Tag als Musiker:

„Platz 1 der Albumcharts in 30 Ländern mit 10 Millionen verkaufter CDs, ein ausverkauftes Konzert mit 100.000 Besuchern und eine geile Show, bei der wir alle Crematory-Hits abfeuern können und Metallica und Rammstein im Vorprogramm haben. Gut, das war der Wunschtraum. Aber ich bin generell wie gesagt mit dem, was wir mit Crematory erreicht haben sehr zufrieden, denn von diesen Erfolgen wagten wir zu Beginn unserer Karriere nicht mal zu träumen.“

Der Dialog nimmt nun direkt Gesprächskurs auf die brandneue 2-CD+DVD „Black Pearls“ mit den Greatest Hits zum 20-jährigen Bandjubiläum.

Markus bekennt ohne Umschweife, mächtig stolz darauf zu sein, was er und die Band mit Crematory erreicht haben, wenn er an all die enthaltenen Songs denkt.

„Und ich freue mich sehr, wenn ich das fertige Produkt in den Händen halte, denn wir haben all unser Herzblut auf den CDs und der DVD vereint. Crematory war und ist unser Baby und unser gesamtes musikalisches Leben, welches wir hier geballt in einem Paket veröffentlichen. Das ist so für mich, wie wenn ich mein Tagebuch veröffentlichen würde.“

Den Titel „Black Pearls“ fand der Schlagzeuger für eine Gothic Metal-Band wie die seine sehr passend, wie er resümiert:

„Und die Idee ist mit letztes Jahr schon gekommen, als wir die Coverversion von Depeche Mode’s `Black Celebration` produzierten. Schwarze Perlen sind alle unsere musikalischen Hits, die auf der Doppel-CD erscheinen werden, genau so wie die zahlreichen Videoclips und die sensationellen Konzertmitschnitte von Wacken und Mera Luna.“

Ausgewählt hat der taktschlagkräftige Drummer den kompletten Inhalt der neuen Veröffentlichung im Alleingang, wie er zu berichten weiß:

„Denn eigentlich habe ich `Black Pearls` nur für mich selbst gemacht. Ich wollte einfach alle geilen Crematory-Sachen, die wir so in 20 Jahren produziert haben, gebündelt in einem Paket haben: Damit ich vielleicht mal in fünf oder zehn Jahren mit meinen Kindern und meiner Frau einen schönen Crematory-Abend veranstalten und zeigen kann, was ich denn musikalisch alles so vollbracht habe.“ Schöne Vorstellung.

Aufgrund der zahlreichen Hits, die Crematory im Laufe der Zeit angesammelt haben, hätte der Pfälzer Kesselwart laut eigener Aussage eigentlich eine 4-CD und 2-DVD Box zusammenstellen können, was aber leider nicht möglich war, so Markus. „Ich habe mich daher auf das Wesentliche beschränkt und nur die absoluten Highlights auf die 2-CD und die DVD gepackt.“

Momentan konzentriert sich das erfolgreiche Quintett auf den aktuellen Release und die dazugehörige Greatest Hits-Tour, die für nächstes Jahr 2011 angedacht ist. Markus ergänzt: „Zum Ende des nächsten Jahres werden wir dann entscheiden, ob und wie es bei beziehungsweise mit uns weiter geht. Die Entscheidung, ob es weiter geht, treffen alleine die Fans, denn mit illegalen Downloads und stark sinkenden Verkaufszahlen ist es nicht mehr möglich vernünftige neue Alben zu produzieren. Dann höre ich wie erwähnt lieber auf und schaue auf eine erfolgreiche und geile Zeit zurück! Wir warten mal ab wie erfolgreich sich die neue Doppel-CD mit DVD verkauft und wie viele Besucher auf unsere Konzerte kommen. Danach werden wir entscheiden, ob wir weiter neue CDs produzieren, oder ob wir das Kapitel Crematory mit `Black Pearls` beenden.“

Crematory sind mittlerweile weltweit bekannt und gehören zu den größten und erfolgreichsten Gothic Metal Bands der Welt, wie mein Gesprächspartner noch verkündet - und was genau erhofft er sich für seine beständige Gruppe fürs kommende Jahr 2011?

„Weniger oder keine illegalen Downloads und dafür gute Albumverkäufe mit dementsprechenden Charts-Platzierungun, sowie zahlreiche Besucher auf unseren Konzerten, denn dann wird es Crematory auch noch 2012 und wahrscheinlich noch länger geben. Diese Entscheidung treffen aber alleine die Fans mit ihrer Unterstützung für Crematory!“

Schlagzeuger Markus Jüllich gründete seine Band Crematory 1991, was nachfolgend zu ebenso innovativen wie dauerhaft stabilen Gothic Metal-Veröffentlichungen führen sollte.

Dass Stockschwinger Jüllich in seinen früheren Jahren erst so allmählich und eher langsam in den Metal-Bereich hineinwuchs, sollte dem Mann in Sachen geschmackliche Beständigkeit jedoch noch enorm zugute kommen.

Seinen fünf absoluten Lieblingsscheiben bleibt er nämlich sehr gerne treu, wie er nachfolgend noch offenbart. 

Billy Idol „Rebel Yell“ (1983):


„Mit diesem unvergessenen Hit-Album bin ich als Schlagzeuger sozusagen aufgewachsen. Und ich habe durch ,Rebel Yell‘ den Rock‘n‘Roll und das dazugehörige Feeling für mich entdeckt. Ich habe mich mit dieser für mich sehr wichtigen Scheibe vom ursprünglichen NDW- und Pop-Drummer definitiv hin zum Rock-Drummer entwickelt. Billy Idol war und ist sowieso der große Held meiner Jugend und wird es wohl auch immer bleiben.“

Depeche Mode „Black Celebration“ (1986):


„Hierbei habe ich die Keyboards und Synthesizer für mich entdeckt. Und ich habe damals schon die Idee gehabt, harte Rock- beziehungsweise Metal-Musik mit betont melodiös gespielten Keyboards zu kombinieren, was ja dann später auch mit Crematory hervorragend funktionierte und glücklicherweise immer noch gut funktioniert. ,Black Celebration‘ ist für mich ein absoluter Meilenstein und hat den Gothic Metal meiner Ansicht nach ganz sicherlich wesentlich und weitreichend beeinflusst.“

Metallica „And Justice For All“ (1988):


„Ein gewichtiges Werk, welches mich vom Rock und Synthie-Pop definitiv hin zum Metal führte. Mit diesem Album wurde ich dann endgültig zum begeisterten Metaller. Denn mich überzeugten vor allem ganz spezielle Songs wie ,One‘, welcher heute noch eine berühmte Hymne für jeden echten Metaller ist. Auf ,And Justice For All‘ wird oftmals Doppelbass bis zum Anschlag gespielt, was ich liebe. Die Scheibe bietet sowieso sehr geile Songs mit ausgeprägtem Ohrwurm-Charakter. Hammerplatte!“

Slayer „Hell Awaits“ (1985):


„Diese weltberühmte Band war und ist selbst für mich als langjährigen Schlagzeuger tatsächlich immer noch eine echte Herausforderung. Denn bei Slayer gibt’s immer voll und ganz direkt auf die Fresse. Mit den Songs von Slayer lernte ich damals sehr gut das intensive Metal-Drumming, was mich wesentlich und nachhaltig in meiner eigenen musikalischen Karriere beeinflusste. Slayer sind unleugbar eine wirklich legendäre Formation und auf der Bühne sind sie ohnehin noch immer der absolute Oberhammer.“

Unheilig „Zelluloid“ (2004):


„Die Musik von Unheilig ist ja eigentlich im Grunde genommen wie diejenige von Crematory, nur eine ,Nummer sanfter‘ sozusagen, aber meines persönlichen Empfindens nach mindestens genauso geil. Unheilig haben sich in den letzten zehn Jahren wirklich enorm gemausert. Und meiner Meinung nach haben der Graf und seine Band den heutigen großen Erfolg vollauf verdient, obwohl mir die alten und harten Alben von Unheilig letztlich doch immer wieder besser gefallen.“

© Markus Eck, 26.10.2010

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