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Interview: DIMMU BORGIR
Titel: Schaurige Brachialästhetik

Eine der besten und bekanntesten Black Metal-Truppen aus Norwegen macht erneut von sich reden. Abermals im Fredman Studio im schwedischen Göteburg aufgenommen und gemixt, steht die Veröffentlichung einer neuen und strahlenden Albumsternstunde aus dem Hause Dimmu Borgir unmittelbar bevor. Aus diesem erfreulichen Anlass heraus lud das Label am Samstag, den 14. Juni 2003 zahlreiche internationale Journalisten zur Hörprobe auf die schwäbische Burgruine Hellenstein ein.

Wo ansonsten Kammermusikaufführungen und Klassikkonzerte zum Besten gegeben werden, lauschten diesmal sämtliche Schreiber samt anwesender Band, Promo-Staffel und Coverdesigner Joachim Luetke den Songs des neuen Albums mit dem treffenden Titel „Death Cult Armageddon“.

Nach meiner Zugankunft vom Nuclear Blast-Promoter Jaap abgeholt und ins angrenzende Hotel verfrachtet, pickte dort gegen 19:00 Uhr ein Reisebus die ganze Meute auf und die circa 45-minütige beschwingte Anfahrt zur Burg konnte losgehen.

Laut den Aussagen einiger Ortsansässiger herrschte die vorhergehende Woche eine schier unerträgliche Gluthitze vor.

Dieser Abend sollte jedoch von schweren Regenschauern und wolkigem Himmel heimgesucht sein.

Ein Omen? Wie auch immer, nach einem Burgempfang mit Bier, Säften und Snacks begaben sich Schreiber, Promoter und Band auf eine Tribüne, um den neuen Kompositionen zu lauschen.

Diese entpuppten sich im Weiteren als wahre „Blacksplosion“. Doch der Reihe nach:

Nach einem Tropfsteinhöhlen-artigen Intro sehr okkulter Klangnatur und ca. zweiminütiger Dauer krachte der epochale Opener „Allegiance” zwischen die Burgmauern. Drummer Nicolas „Nick“ Barker gibt augenblicklich der gesamten Dimmu Borgir-Instrumentalsektion die hämmernde Donnertaktung vor, diese pariert mit aller rigiden Energie

Man merkt schnell, der Nikolaus kommt hier wieder aus Manchester. Aus seinem Riesensack packt er übermächtige Trommelsalven mit der gewohnt maschinengewehrartigen Monströsität aus. Dieser Song vereint viele albtraumhafte Horrorsequenzen in sich, was für den Rest stellvertretend gewertet werden kann.

Shagraths' bestialischer Gesang und das unheimliche Keyboardspiel von Mustis sprechen eine deutliche, eine entschlossene Sprache. Herrliche Fanfaren und pompöse Edelorchestrierung veredeln neben aufwühlender Melodik eine wahre Top-Komposition des neuen Albums.

Selbiges gilt für den anschließenden Fetzer „Progenies Of The Great Apocalypse”.

Orchestral festlicher Beginn und mächtige Fanfarenstöße leiten diesen ebenso epischen wie ausdrucksstarken und knallharten Black Metal-Midtempo-Smasher ein, welcher mich im weiteren Verlauf durch ergreifende Chöre und fesselnde Rezitativ-Parts einnehmen kann.

Der dritte Song wurde „Lepers Among Us” getauft, eine bestialische Horrorsymphonie mit rasantem Tempo. Schaurige Brachialästhetik und beschwörende Anmut führen hier ein stilvolles Duett auf.

Den folgenden Song „Vredesbyrd” kennzeichnet ein apokalyptischer Anfang mit nachfolgend integrierter superber Melodik – symphonischer und druckvoller Black Metal vom Allerfeinsten.

Innerhalb der nächsten Stücke namens „For The World To Dictate Our Death” und „Blood Hunger Doctrine” ziehen die norwegischen Fürsten der Finsternis dann die Spannungsschraube kontinuierlich an, hymnischer Schwarzstahl der nobelsten Klasse.

Orchestral inszeniert, tobt damit zweimal ein wahrer Wirbelsturm des Bösen ins Geschehen.

Den weiteren Schwarzstahlhits „Allehelgens Død I Helveds Rike”, „Cataclysm Children”, „Eradication Instincts Defined” sowie der achtminütigen Dunkelsymphonie „Unorthodox Manifesto” schließt sich der letzte Übersong „Heavenly Perverse” an.

Alles Klassetracks voll spielerischer Souveränität nach Noten. Zudem haben Dimmu Borgir den Bathory-Coversong „Satan My Master“ eingespielt, welcher auf der Digipak-Version von „Death Cult Armageddon“ als Bonus erhältlich sein wird.

Im anschließend geführten Interview mit Power-Drummer Nick zeigte sich der britische Bär von seiner herzlichsten und freundlichsten Seite. So gibt er preis: „Wir hatten dieses Mal ein noch viel größeres Budget für Aufnahme und Produktion zur Verfügung als es noch beim Vorgängeralbum der Fall gewesen ist. So nahm unser Keyboarder Mustis die symphonischen Passagen diesmal eigens mit einem 46-köpfigen Orchester auf, dem Prager Symphonieorchester. Deswegen klingen diese Parts noch aufwändiger und voluminöser als auf dem Albumvorgänger. Daraus resultiert auch der erheblich gesteigerte Orchestralanteil auf `Death Cult Armageddon`.“

Laut Barkers nachfolgender Aussage ist das neue Album sowohl ein Schritt zurück als auch ein sehr großer nach vorne.

„Wir fühlten uns von älterem Dimmu-Material gleichermaßen inspiriert wie von neuzeitlichen Einflüssen.“

Leichte Schwierigkeiten hatte der Schlagzeuger, mir den Albumtitel zu decodieren:

„Der ist individuell interpretierbar und obliegt somit dem jeweiligen Empfinden der Fans.“

Konkurrenzdenken kennt die Band laut Barker nicht, wie von ihm in Erfahrung zu bringen war.

Anschließend brachte der Bus die Teilnehmer ins regionale Restaurant Bürgerstüble, welches zuvor im für die Journalistengilde ausgedruckten Tagesplan als rätselhafter „Dimmu Borgir Dungeon“ ausgewiesen wurde.

Nachdem dieses geheim gehaltene Rätsel also nach der dortigen Ankunft gelöst war, konnte ausgiebig bis in die tiefe Nacht hinein geschlemmt und geplaudert werden.

„Wir legten beim Songwriting zu `Death Cult Armageddon` Wert darauf, eine Mixtur aus altem und neuerem Material zu kreieren. Schließlich war es an der Zeit, sich wieder einmal darauf zurück zu besinnen, wo wir herkommen und mit welchem Basissound wir aus dem Underground heraus groß geworden sind. Wir sehen uns immer noch als reinrassige Black Metal-Band. Zwar sind wir, wie speziell auf den letzten Alben `Spiritual Black Dimensions` und `Puritanical Euphoric Misanthropia` zu hören war, neuen Spielelementen nicht abgeneigt, jedoch werden wie zu keiner Zeit unsere Wurzeln verleugnen. Wir hören uns privat überwiegend Old School-Black Metal an, so dass uns dies immer noch entscheidend als Künstler prägt und Einfluss auf die von uns geschriebenen Stücke nimmt“, lässt mich Sänger Stian Thoresen alias Shagrath zu Beginn unseres Dialogs betreffend des aktuellen Releases wissen.

Der ausdruckstarke Vokalist weiß, dass die Band mit dem aktuellen Werk natürlich nicht alle Fans zufrieden stellen kann: „Ich hoffe jedoch, neben den neueren vor allem unsere älteren Anhänger mit dem neuen Album zufrieden zu stellen, die von Anfang an dabei waren. So brachte ich diesmal auch wieder Gesangslinien in norwegischer Sprache in die Songs ein. Ich weiß, dass viele sich danach sehnten, solches wieder bei Dimmu Borgir zu hören.“

Nur zu verständlich, dies macht gerade für deutsche Fans seit jeher einen wohl nicht unerheblichen Reiz aus. In der aktuellen Labelwerbung heißt es: „Norwegens Dimmu Borgir haben es erreicht, die bekannteste und wichtigste Melodic Black Metal-Band der Welt zu werden.“

Welche Meinungsreaktion ruft solcherlei Marketing wohl bei meinem bekanntermaßen in Interviews durch angenehme Zurückhaltung glänzenden Gesprächspartner hervor?

Shagrath bleibt in aller gewohnt souveränen Geistesgelassenheit auf dem Tatsachenboden:

„Keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Die Leute können über uns natürlich schreiben, was sie wollen und was sie für Richtig halten. Im Grunde genommen sind wir nach wie vor eine Band, welche die Musik macht, die uns auch selbst gefällt. Was das neue Album betrifft, so findet man darauf eigentlich gar nicht mehr so viele harmonisch schöne Melodien, sondern eher brutale als betont eingängige Melodien. Dadurch klingt das Ganze, obwohl wir im Gegensatz dazu die Blast Beat-Parts verringerten, sehr aggressiv. Nicks vielzitiertes `Maschinengewehr`-Drumming klang uns auf dem letzten Album doch irgendwie zu mechanisch und vor allem zu `clicky`, daher überdachten wir gemeinsam sein zukünftiges spieltechnisches Vorgehen. Und da Dimmu Borgir neben aller vermittelten dunklen Aggression eine vordergründig auf Stimmung und Atmosphäre bedachte Band ist, gestaltete Nick sein Spiel entsprechend dazu passender. Sein aktuelles Schlagzeugspiel hört sich somit nun um einiges besser an als noch auf dem Albumvorgänger, wirkt also viel integrierter und einfühlsamer in den einzelnen Kompositionen.“

Mir fiel während der Hörpremiere von „Death Cult Armageddon“ gleich eine sehr prägnante, orchestral dominierte Horroratmosphäre auf, welche sich durch das ganze neue Werk zieht wie ein blutroter Gruselfaden.

Dies erklärt sich im Nachfolgenden. Denn der Sänger eröffnet hierzu, ein großer Anhänger von Filmsoundtracks zu sein:

„Ich liebe die klassisch orientierte Filmmusik von Jerry Goldsmith, welche sich sehr tragisch, böse und auch bombastisch anhört. Diese gibt mir beispielsweise immer wieder großartige Impressionen für Dimmu Borgir-Songs. Und dieses Mal konnten wir auch über ein viel größeres Produktionsbudget verfügen. So verpflichteten wir für die Orchesteraufnahmen das Prager Philharmonieorchester, bestehend aus 50 Musikern – während uns zum Vorgängeralbum `Puritanical Euphoric Misanthropia` lediglich ein 15-köpfiges Göteborger Theaterorchester zur Verfügung stand. Sämtliche Tastenparts wurden von unserem Keyboarder Mustis und mir zusammen ausgearbeitet, darunter auch sämtliche kompositorische Grundmotive für die spätere Orchesterumsetzung. Hier in Norwegen haben wir sehr guten Kontakt zu einem fähigen Dirigenten, welcher uns erneut half, alles auszuarbeiten und gemeinsam zu arrangieren. Gaute Storaas weiß genau, was für eine Art von Musik wir spielen. So brachte er eine Vielzahl an eigenen Ideen ein, darunter Flöten- und Perkussionselemente. Der 45-jährige mag und schätzt unsere Kunst sehr. Er ist hier sehr bekannt, so arbeitet er mit einigen großen Fernsehsendern zusammen.“

Ein mit einer solchen Black Metal-Truppe zusammenarbeitendes Klassikorchester von solcher Größenordnung ist wohl ein absolutes Novum in diesem musikalischen Metier, so denkt man sich.

Besagter Dirigent schrieb somit sämtliche vorgegebene Kompositionen in entsprechende Notenblätter für das Prager Orchester um, wie Shagrath mir weiter berichtet:

„Für uns eine sehr große Ehre. Wir sind ihm für seine Hilfe sehr dankbar, denn er bereitete unser Material perfekt für die Orchestrierung auf. So reiste er mit Mustis für drei Tage nach Prag, um dort alles aufzunehmen. Im Gepäck für die Heimreise der beiden befand sich dann ein Harddisk-Tape mit der aufgenommenen Musik.“

Da der hilfsbereite Dirigent laut Shagrath mit großem Enthusiasmus bei der Sache war, widmete er sich auch zuhause erneut der anschließend erforderlichen Aufbereitung der in Prag eingespielten Takes, was nochmals circa einen Zeitraum von zwei Wochen beanspruchte.

Aufgrund solcherlei aufwändig eingebrachter Professionalität also allerhöchste Zeit für Dimmu Borgir, mit ihrem aktuellen Album auch endlich den seit jeher anhaftenden Kiddie Black Metal-Status abzulegen, möchte man meinen – oder?

Shagrath schmunzelt: „Schwer zu sagen. Heutzutage gibt es im Gegensatz zu früher eine ganze Latte an wirklich hochkarätigen Black Metal-Bands neben uns – gleichzeitig wird aber auch immer mehr Scheiße hinter unserem Rücken über uns gefaselt. Sehr viele von den nicht enden wollenden Denunzianten haben sich aber mittlerweile aufgelöst, weil ihnen künstlich inszenierte Attitüde und Image auch nicht aus der talentlosen Misere heraus geholfen haben. Wir aber sind immer noch da, und das bereits seit zehn ganzen Jahren! Und wir werden von Jahr zu Jahr stärker.“ Nicht von der Hand zu weisen.

Als es uns dann um die Bedeutung des Albumtitels „Death Cult Armageddon“ ging, wurde der zu vielfältiger Gesangsartikulation befähigte Shouter besinnlich: „`Death Cult Armageddon` ist kein Konzeptalbum, obwohl die einzelnen Songtitel und betreffenden Lyrics schon miteinander verflochten sind. Vieles dreht sich um den Tod des Menschengeschlechts, unsere Texte sind immer noch überaus misanthropischer Natur.“

Auf seinen persönlichen Glauben eines einst über uns alle hereinbrechenden Armageddons angesprochen, entfährt ihm:

„Das ist schnell dargelegt. Meinem eigenen Empfinden nach sind es die Menschen selbst, welche hart daran arbeiten, sich einst ihren eigenen kollektiven Untergang, ihr selbst inszeniertes Armageddon bereiten. Die gesamte Weltsituation geht doch immer mehr den Bach runter, wie man täglich in sämtlichen internationalen Nachrichtensendungen verfolgen kann.“

Aufmerksam verfolgt habe ich über all die Jahre der Bandexistenz auch den ideellen sowie spirituellen Werdegang meines Gegenübers, der in frühen Interviews gerne Satan als seinen Meister angab. Noch immer?

„Für mich war dies seit jeher als Metapher bedeutend. Gleichzusetzen mit allem Bösen auf diesem Planeten – und ganz bestimmt nicht mit einem gehörnten Teufelwesen. Im Verlauf der Jahre macht natürlich jeder differierende Erfahrungen mit seinen Überzeugungen und ändert manche mitunter. Heutzutage sind Aussagen wie die von dir zitierte wohl nicht mehr ganz der richtige Weg für mich, meine spirituelle Weltsicht darzulegen. Der Grundgehalt meiner Überzeugungen hat sich jedoch nicht im Geringsten geändert, nur drücke ich mich neuzeitlich etwas gewählter und überlegter aus.“

Das aktuelle Frontcover-Artwork für „Death Cult Armageddon“ wurde erneut von dem in Österreich lebenden Künstler Joachim Luetke kreiert. Shagrath ist höchst zufrieden damit, wie er berichtet.

„Joachim weiß ganz genau, was er für uns zu tun hat, wie er bereits für unsere vorangegangene DVD-Veröffentlichung `World Misanthropy“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Er hört sich unsere Musik ganz genau an und fängt erst dann mit seinen Arbeiten an. Nachdem sich seine dadurch entstandenen bildhaften Visionen ihren optischen Weg auf erste Entwürfe gebahnt haben, arbeitet Luetke mit mir und unserem Gitarristen Silenoz in weiterer konzeptioneller Zusammenarbeit daran. Für das aktuelle Motiv war uns sehr daran gelegen, lediglich ein paar ausgesuchte Farbtöne zum Tragen kommen zu lassen. Schließlich sollte alles dem Albumtitel `Death Cult Armageddon` entsprechen.“

Abschließend sprachen wir auch noch über anstehende Vorhaben und Tourpläne, und von letzteren existieren reichlich.

Wir erfahren diesbezüglich von dem laut eigenem Bekennen passionierten Wodka/Red Bull-Liebhaber:

„Erst mal werde ich nun zum berühmten Wacken-Open Air fahren, um dort ordentlich einen zu heben. Danach werden mit den Rehearsals für die anstehenden Touren beginnen. Anfangen werden wir mit einigen Shows in Norwegen, was dann mit einer einmonatigen Europatour weitergeführt wird. Beginnend mit einem Gig in Hamburg am 29. September 2003. Geplant ist auch ein einmonatiger Touraufenthalt in den USA gegen Ende des Jahres, sowie zu Beginn des kommenden Jahres Auftritte in Südamerika sowie Japan und auch Australien.“

Abschließend sei an dieser Stelle explizierend darauf verwiesen, dass Verhandlungen mit Children Of Bodom, Nevermore und Hypocrisy bezüglich einer gemeinsamen Nordamerika-Tour zwischen dem 8. und 16. Dezember 2003 im Gange sind. Geplant ist laut Promotion-Abteilung des Labels auch die Aufnahme eines Musikvideos, zu welchem Song der aktuellen Scheibe stand jedoch noch nicht fest.

© Markus Eck, 20.06.2003

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