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Interview: ENEMY I
Titel: Auf Vielseitigkeit fokussiert

Erstaunlich eigenständig und mit einer Fülle an unverbrauchten, passend zueinander gefügten Ideen warten die Berliner am Startblock auf.

Stilistisch blickt die Band mit melancholischen Augen weit über den dunklen Tellerrand hinaus, was für Spannung und Frische sorgt.

Für das Debütalbum „Dysphoria“ erschuf das gefühlvoll agierende Quintett hörenswerte Industrial Metal-Songs, die ebenso abwechslungsreich wie durchdacht und homogen ins Ohr marschieren. Wie Sänger Rob DeVille wissen lässt, verging die Zeit seit der EP „Anywhere But Here“ für ihn und seine Mitmusiker beinahe wie im Flug.

„2014 bis 2017 – wenn man diese Zeitspanne schwarz auf weiß liest, scheint das schon ein langer Zeitraum zu sein; uns kam er ehrlich gesagt gar nicht so vor. Allein unsere Berufstätigkeit im ‚zivilen‘ Leben, fernab von Enemy I, lastet viele von uns dermaßen aus, dass wir über die besagten drei Jahre nicht immer die Zeit in die Band investieren konnten, die wir ihr gerne und voller Leidenschaft gewidmet hätten. Noch dazu standen bei uns kurz nach der Veröffentlichung der EP diverse Besetzungswechsel an, woraufhin wir uns erst einmal bandintern neu organisieren und aufeinander einspielen mussten, bevor wir uns schließlich in der jetzigen Formation gefunden haben. Nichtsdestotrotz sind während dieser Zeit bereits einige Ideen zum neuen Album gereift und einige davon wurden sogleich auch schon live erprobt. Die Konzerte haben wir dann mit viel Enthusiasmus und Freude ausgiebig ausgekostet. Ein diesbezügliches Highlight war unser Supportgig von Die Krupps im Nuke Club in Berlin vergangenes Jahr, bei dem uns selbst einmal mehr vor Augen geführt wurde, dass Enemy I definitiv auch eine Liveband und nicht nur ein Studioprojekt ist. Was nicht heißen soll, dass uns dieser Bereich des Bandgeschehens nicht auch Spaß machen würde.“



Rein musikalisch ist die Formation Ende 2016 kurzerhand sogar stilistisch ‚fremdgegangen‘ und hat mit einer Remixversion des Songs „The Whole Universe“ von der Band Soulimage dem Synthpop/-Rock einen Besuch abgestattet und damit einen Beitrag zu ihrem Single-Release beigesteuert.

„In jüngster Vergangenheit nahmen zudem unsere Ideen für ein Lyric Video zu unserem Song ‚Twinsight‘ konkrete Gestalt an, womit wir vom Standard der üblichen Lyric Video-Veröffentlichungen abweichen und für einen echten Hingucker sorgen wollten... Wir hoffen, es ist uns gelungen!“

Da Enemy I beinahe alles in Eigenregie umgesetzt haben, sind sie laut Rob in erster Linie natürlich erleichtert, dass alles letztlich gut geklappt hat und das finale Produkt namens „Dysphoria“ endlich in den Händen gehalten werden kann und der Öffentlichkeit präsentiert wird.


„In diesem Zusammenhang empfinden wir auch große Dankbarkeit für all jene, die an diesem Prozess - in welcher Form auch immer - beteiligt waren und uns unterstützt haben. Wir hatten zum Beispiel sehr viel Glück mit der Wahl unseres Presswerks, das die CDs pünktlich geliefert hat und wir sind auch glücklich über die Zusammenarbeit mit unserem Grafikdesigner, der unsere Ideen für das Cover und Booklet so hervorragend umgesetzt hat. Sicherlich ist man nicht zuletzt auch ein wenig stolz auf sein eigenes ‚Baby‘ und blickt auf eine zwar sehr stressige, aber vor allem auch kreative Zeit zurück. Gleichzeitig sind wir mehr als gespannt, wie das Album von den Hörern, unseren Fans und auch der Presse aufgenommen wird.“

Seinen stärksten Antrieb, um genau solcherlei Musik zu machen, legt er relativ entspannt dar.

„Auf inhaltlicher Ebene ist es meist ein gedanklicher Impuls oder ein Erlebnis, was einen nicht mehr loslässt, einfach ‚raus muss‘ und schließlich auf musikalische Art verarbeitet werden will. So kommt es, dass vor allem ich, der bei Enemy I für das Songwriting verantwortlich zeichnet, wie in einem Rausch im Studio sitze, einen neuen Song komponiere und vorproduziere. Das kann dann gerne mal ganze Nächte dauern. Erst danach finde beziehungsweise kann ich wieder in den Alltag zurück – oder total erschöpft direkt ins Bett“, kommentiert er mit einem Lachen.


Die Frage, was seine Band den Leuten bietet, was andere Bands nicht können, entlockt dem Frontmann zunächst ein Schmunzeln. „Eine schwierige Frage. Mit dem Song ‚Miss Sex‘ bieten wir vielleicht Höhepunkte der ‚besonderen Art‘? [lacht] Spaß beiseite, vordergründig ist es wohl unser Abwechslungsreichtum. Da unsere Songs sehr intuitiv und abhängig von aktuellen Gefühlslagen entstehen, fällt das Songmaterial am Ende sehr vielfältig aus. Wir scheuen nicht davor zurück, neue Einflüsse zuzulassen und verschiedene Stile miteinander zu verknüpfen. Dadurch bleibt unsere Musik nicht nur für uns, sondern auch für die Hörer immer sehr interessant.“

Je nach Song war das Ausarbeiten des neuen Materials ganz unterschiedlich. „‚Miss Sex‘ ist zum Beispiel in einer Zusammenarbeit mit dem schwedischen Progressive Trance Projekt Kalimax entstanden, die viel schneller vonstatten ging, als man es wahrscheinlich vermuten würde. Hier war die Vorproduktion in nur wenigen Stunden abgeschlossen, wohingegen wir für den Song ‚Final Cut‘ mehrere Tage gebraucht haben, bis wir zufrieden waren. Beim finalen Recording zum Album sind dann noch weitere Ideen ausgearbeitet, verschiedene Sounds ausprobiert und Details verändert worden. Im Prinzip kann man sagen, dass die gesamte Ausarbeitung bis zum Schluss ein stetiger dynamischer Prozess war. Natürlich hat auch das Texten viel Zeit in Anspruch genommen, insbesondere, weil es uns wichtig ist, unsere Intentionen nicht einfach in bedeutungslose Worthülsen zu kleiden. Und da wir die Aufnahmen, die Produktion, das Mixing und das Mastering in hauptsächlicher Eigenregie durchgeführt haben, frisst das schon einiges an Zeit, die wir uns letztendlich aber auch gerne genommen haben, damit wir selbst mit dem Endresultat zufrieden sein können.“

Gemäß dem Titel des Albums, „Dysphoria“, zeugen alle darauf zu findenden Lieder von unterschiedlichen Missstimmungen und werden dies betreffend thematisch zusammengehalten. 



„Darauf lag unser Augenmerk und inmitten dieser ‚dysphorischen‘ Grundstimmung platzierten wir zusätzlich einen teilkonzeptionellen Abschnitt, der eine tragisch-dramatische Beziehungsgeschichte als Thema hat. Einzig unser Instrumentalstück ‚S.a.r.b.’ fällt aus diesem gesteckten inhaltlichen Rahmen heraus; aus dem Grund, weil wir gerne Neues ausprobieren und auf Soundspielereien stehen. Musik-Nerds und Verschwörungstheoretiker dürften mit diesem kleinen Intermezzo wohl auf ihre Kosten kommen.“

Auf dem neuen Album gibt es seiner Einschätzung nach 13 Songs zu erleben, die einen durch viele verschiedene Gefühle führen.

„Es geht um Wut, Selbstzweifel, Hass, Liebe, Melancholie … um Missstimmungen verschiedenster Natur und mit realem Bezug. Die Tracks selbst bieten eine Bandbreite an eingängigen, tanzbaren Industrial Metal-Nummern mit einer düsteren, melancholischen Gothic Note, fragilen Stimmungen bis hin zu wütenden Death Metal-Growls, wobei wir stets versuchen, keine musikalischen Klischees zu bedienen. Auf der CD selbst gibt es auch noch einen kleinen ‚Hiddentrack‘ zu entdecken, den die digitale Version von ‚Dysphoria‘ nicht enthält. Es lohnt sich also, mal wieder den CD-Player zu benutzen und das Album nicht bloß zu streamen“, verlässt es den Mund des Frontmanns, von einem Lachen begleitet. 


Gegenüber der EP, so Rob, haben Enemy I auf „Dysphoria“ erstmals ein paar Elemente aus dem Black Metal-Bereich mit einfließen lassen und Death Metal Nuancen stärker betont, wie zum Beispiel in den Songs „Placebo God“ und „Final Cut“. Mehr: „Dem Lied ‚A Battlefield‘ könnte man hingegen fast schon Anleihen von Doom Metal nachsagen, während sich ‚Spell-cast‘ in eine Industrial-Ballade und ‚Our Demise‘ zu einem akustischen Dark Rock-Song entwickelt. Auch eine kompositorische Kooperation mit einem anderen Musiker aus einem ganz anderen Genre, so wie bei ‚Miss Sex‘, hat es so bei uns bisher noch nicht gegeben; eine Entwicklung und Erfahrung, die wir nicht missen möchten.“

Bei ihrer aktuellen Musik kommt es der Band am allermeisten auf Authentizität an, wie in Erfahrung zu bringen ist. „Daher legen wir großen Wert darauf, dass unsere Songs ehrlich und gleichzeitig abwechslungsreich sind. Wir konzipieren sie also nicht absichtlich kommerziell, sondern schreiben sie so, wie es das eigene Gefühl fordert. Da unterschiedliche Emotionen inhaltlich die Basis unserer Songs bilden, wäre es ein großes Lob für uns, diese Gefühle auch an die Hörer transportieren zu können. Gerade unser teil-konzeptioneller Abschnitt des Albums ‚Dysphoria‘, kurz zusammengefasst als Thematisierung einer On-Off-Beziehung, könnte dem einen oder anderen vielleicht sogar Identifikationspotenzial bieten, denn wer kann nicht auf eine gescheiterte Beziehung oder ein zwischenmenschliches Gefühlswirrwarr zurückblicken? Sich dabei auch mal selbst in die Kritik zu nehmen und das eigene Verhalten zu reflektieren, ist nicht immer das Angenehmste, aber gleichsam unausweichlich, um sein eigenes Leben zufriedenstellend zu meistern und seine Mitmenschen fair zu behandeln. Dass unsere Songs auch dazu beitragen, ist ein ambitioniertes, aber sehr wünschenswertes Ziel.“

Nennenswerte musikalische Einflüsse: „Generell sind das von unserer Seite aus recht viele und jeder Hörer wird in unseren Stücken zusätzlich unterschiedliche Einflüsse entdecken oder heraushören. Oft wird uns nachgesagt, Ähnlichkeiten mit Type 0 Negative zu haben, was wir selbst gar nicht so empfinden, geschweige denn bewusst forcieren, wenngleich dies natürlich ein großes Kompliment ist! Bewusster sind da schon Einflüsse von Bands wie Nine Inch Nails, Zeromancer, Pain, Rob Zombie, Marilyn Manson, End Of Green, Paradise Lost und Swallow The Sun, was an sich ja schon eine dunkel-bunte Mischung ist, aber wir sind uns sicher, dass der eine oder andere Hörer noch mehr Bands in unserer Musik zu entdecken glaubt – und das sei ihm selbstredend auch gestattet.“

In den Texten der Berliner Newcomer findet man viele reale Bezüge, wie Rob erzählt:

„Liebe, Sex, Beziehungsdramen, aber auch Religionskritik und der stete Kampf mit seinem eigenen (dunklen) Ich. Besonders letzterer und das heute noch häufig tabuisierte Thema ‚Depressionen‘ finden immer wieder Eingang in unseren Songs wie beispielsweise ‚Twinsight‘ oder ‚Heartbeat Decline‘. Selbstzweifel und vor allem die oft nötige Selbstreflexion münden im letztgenannten Song daher in den Zeilen ‚my own worst enemy am I‘, ein Vers, der zugleich die Erklärung für unseren Bandnamen impliziert. Als Musiker haben wir das Glück, derlei reale Bezüge, Gedanken oder Erlebtes in Texten und Musik verarbeiten zu können und beides als eine Art Ventil zu nutzen.“

Textzeilen, die ihn als Sänger auf dem neuen Werk ganz besonders berühren, gibt es so einige. „In all unseren Texten steckt viel Herzblut. Doch gerade bei den stark autobiografisch geprägten Stücken gehen die entsprechenden Zeilen – z.B. beim Performen und retrospektiven Erleben - besonders unter die Haut. Derartige Songs sind u.a. ‚Some Exist‘, ‚Final Cut‘ oder ‚Spell-cast‘, die auch musikalisch entsprechend eindringlich arrangiert wurden. Darüber hinaus gibt es auch Titel wie ‚The Cage‘, dessen Lyrics von der Berlinerin Katja McKinnon stammen, oder ‚Heartbeat Decline‘, das textlich in Zusammenarbeit mit Frida Freefoo entstand - Lieder, welche gerade durch diese Kooperationen für jeden Mitwirkenden einen anderen emotionalen Stellenwert einnehmen. Wir wollen den potenziellen Hörern diesbezüglich aber gar nicht zu viel vorgeben und von uns verraten, sondern lieber die Songs für sich sprechen und eine individuelle Wirkung erzielen lassen.“

Wenn Enemy I mit ihren Songs auf die Bühnen gehen, dann zählt für die Musiker primär, und dies laut Rob unabhängig von einer bestimmten Veröffentlichung, dass das Publikum Spaß auf den Konzerten hat. Er offenbart hierzu:

„Es ist eine nicht immer ganz einfache Aufgabe für uns, die Songs mit dem ihnen eigenen Gefühl zu spielen, das ja nicht selten melancholischer Art ist, und gleichzeitig dabei Spaß zu vermitteln. Wir geben aber stets unser Bestes, um eine gute Show zu bieten, denn wir wollen ja, dass die Leute beim nächsten Mal wiederkommen, uns im besten Fall sogar weiterempfehlen, sich unsere Songs auch auf CD anhören wollen und uns auf Facebook & Co. folgen. Wenn die Zuschauer also mit einem guten Gefühl nach Hause gehen, war das für uns ein gelungener Abend.“

Allem voran hoffen Enemy I natürlich auf zahlreiches positives Feedback zu „Dysphoria“. „Es wäre außerdem schön, unsere Songs im Laufe des Jahres bei einigen Konzerten live präsentieren zu können, vielleicht den einen oder anderen Headliner supporten zu dürfen, weitere interessante Kooperationen mit anderen Künstlern und Bands erleben zu können und unsere Fanbase wachsen und sich erweitern zu sehen, während wir schon bald wieder kreativ an neuem Material für ein nächstes Album arbeiten.“


© Markus Eck, 12.05.2017

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