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Interview: HYPOCRISY
Titel: Kreative Dreifaltigkeit

Das schwedische Trio unter der Ägide von Pionier, Altmeister und Gitarren-Gottheit Peter Tägtgren, seines Zeichens verdienter Produzent unzähliger Death- und Black Metal-Kommandos, hat unlängst nichts weniger als ein weiteres Meisterwerk zur Vollendung gebracht. Und der Umtriebige, welcher in seinem mittlerweile weltberühmten Abyss-Studio solchen Größen wie Dimmu Borgir und Old Man´s Child wahrhaft vollendete Soundgewänder auf die wohlgeformten Leiber schneiderte, ist bekanntlich ein echtes und absolut unermüdliches Arbeitstier.

Hypocrisy bürgen nicht zuletzt daher nun schon seit einigen Jahren für Maßstäbe setzenden Death Metal auf dem denkbar höchsten Level. So war es auch nicht besonders verwunderlich, als bei der kürzlich absolvierten Listening Session im Gebäude von Nuclear Blast, dem wohlbekannten Donzdorfer Hauslabel der skandinavischen Band, den anwesenden Griffelknechten und sonstigen Gästen ein wie gewohnt monströser Schallsturm die Gehörgänge kräftig durchpustete.

Man kann nichts anderes feststellen: Gitarrist und Vokalist Peter, Drummer Lars Szöke und Bassist Mikael Hedlund haben sich mit ihrem neuesten Streich einmal mehr selbst übertroffen.

„Into The Abyss“ strotzt nur so vor unbändig riffenden und brillanten Gitarren, die sich vor Mitteilungsdrang regelrecht überschlagen.

Massiv verstärkt sind die aktuellen Kompositionen von Peters räudigem Organ sowie dem bulligen Ausnahme-Drumming von Stockschläger Lars. Letzteres darf man aktuell wohl getrost als weltkriegstauglich einstufen.

Sämtliche Anwesenden vernahmen ehrfürchtig die zehn akustischen Magenschwinger des neuen Albums, welches, obwohl noch im Rough-Mix, jedem ob seiner klanglichen Erscheinung ein fassungsloses Staunen auf die Mienen zauberte.

Bot das vorhergehende Werk, schlicht „Hypocrisy“ getauft, einen Rückschritt in überwiegend doomige Gefilde, wird auf Tägtgrens neuem Erguß in allen Gängen gefahren.

„I will make it short: Our new album is simply like a fist in the face“, verkündet ein gutgelaunter Peter Tägtgren noch, bevor er den dortigen CD-Player zur Rotation bringt, und damit trifft der schwedische Todesblei-Scherge den viel zitierten Nagel wirklich auf den Kopf.

Und die Faust trifft gleich mit dem mächtigen Opener „Legions Descend“ ins Ziel. Dieser Song und sein Nachfolger „Blinded“ stellten sich als Band-typische schnelle Killer mit allen bisherigen Trademarks des beständigen schwedischen Dreizacks heraus, die gleich druckvoll auf das noch folgende einstimmen konnten.

Mit „Ressurected“ erschallte dann mein bisheriger Favorit und Höhepunkt einer kommenden Veröffentlichung, die sowieso ein solcher an sich ist.

Bombastisch und epochal in der Art des Vortrags stellt der eher langsamere Song mit seiner unverkrampft harmonischen Melodie ein mitreißendes phonetisches Erlebnis der seltenen Art dar. Jeder, wie er es mag, doch ich bevorzuge ganz einfach die langsameren Stücke des beschlagenen Dreiers, in denen sich die ganze Faszination dieser einmaligen Band am besten entfalten kann.

Mit vollendeten Keyboard-Klängen, die eine entrückte und gigantische Aura der Zeitlosigkeit in die Songs einzubringen verstehen, stellen diese Monumente des zeitgenössischen Death Metal unvergeßliche Sternstunden an dramatischen Klängen dar. Oftmals große Tasten-Epik, welche laut Aussage von Peter mit Hilfe der anderen beiden Bandkollegen einspielt wurde.

Song Nummer vier, „Unleash The Beast“, läßt ein ebensolches von der Leine und ist eher midtempo-orientiert. Auch dieser Track kann mit seiner enorm eingängigen Melodielinie gleich mit dem ersten Durchlauf für sich einnehmen. Eine abermalige überaus griffige Hookline und erneute schicksalsträchtige Chöre können dem Stück bleibende Begeisterung zuschanzen, dem des Meisters Vokalisierungen die finale Veredelung einbringen.

Lied Nummer fünf, „Digital Prophecy“, ist wieder ein richtig typischer Hypocrisy-Brecher. Mit quirlig schrubbendem Riffing und wuchtigen schnellen Drums, die ein donnerndes Sperrfeuer an Double-Bass-Einlagen enthalten - Lars gibt alles - sowie einem eher subtilen und sich zögernd erschließendem Melodienreigen.

Schon jetzt zeichnet sich ab: Mit dem neuen Album „Into The Abyss“, auf das nicht zu zählende Fans der schwedischen Dreifaltigkeit mit unbändiger Vorfreude gewartet haben dürften, schiebt Peter Tägtgrens Schwedendrilling seinem 1999er Killer, der schlicht und einfach „Hypocrisy“ getauft wurde, einen enorm tödlichen Nachfolger hinterher, der es verdammt in sich hat.

Agierte das letzte Werk der Band, die für viele schon eine Legende zu Lebzeiten geworden ist, überwiegend in doomigen Gefilden, wird jetzt wieder richtig Gas gegeben. Im Zug seiner letzten Veröffentlichung verkündete Starproducer Tägtgren noch, daß die schnellen Songs den jungen und hungrigen Truppen überlassen werden sollten, hat sich nun aber glücklicherweise eines anderen besonnen. Dazu mag nicht zuletzt der in seiner Heimat riesige Erfolg seines eher industrial-poppig orientierten Soloprojektes Pain und daraus resultierende unzählige Interviews für Pop-Gazetten geführt haben, so daß die Lust auf reine Raserei wieder in ihm aufkeimte.

Und mit dem sechsten Hammer-Song „Fire In The Sky“ haben Hypocrisy ihre bisher hitverdächtigste Komposition am Start.

Man kann sich einfach nicht mehr satt hören daran. Laut anhören, und man versteht was ich meine.

Das siebte Stück namens „Total Eclipse“, ein speediger Verfolger mit rasendem Grundtenor, bricht sich machtvoll Bahn und überzeugt mit seiner schlichtweg perfekten Instrumentierung. Der achte Song nennt sich „Unfold The Sorrow“ und wieder einmal offenbart sich die tödliche Brillanz Tägtgrens, der als Songwriter einfach ein echtes Naturtalent ist.

Mit einem eingängigen Grundriff, welches schon nach wenigen Sekunden die Gehirnwindungen der Konsumenten im Sturm nimmt, kann dieser bruttoregistertonnenschwere Wahnsinns-Song eine bleibende Gänsehaut und ekstatisches Schaudern erzeugen. Der vorletzte Song mit dem klangvollen Titel „Sodomized“ ist ein schneller todbringender Killer, getränkt mit unzähligen hektischen Breaks und Maschinengewehr-Getrommel, dem aber stellenweise auch eine regelrecht pompöse Note innewohnt.

„Deathrow (No Regrets)“ ist der Rausschmeißer der neuen Hypocrisy-Scheibe. Er beginnt mit elegischen und sich turmhoch aufbauenden Klängen und ist überwiegend in Slow-Motion gehalten. Ein schleppender und alles unter sich zermahlender symphonischer Song, dem die Keyboards eine Wahnsinns-Atmosphäre injizieren können. Mit unbarmherziger Härte walzt er sich aus den Speakern.

Drummer Lars ließ sich von mir im anschließenden entspannten und gleichfalls amüsanten Smalltalk - gut gekühltes Warsteiner Bier hatte es ihm ganz besonders angetan - noch entlocken, daß die Band eigentlich gar nicht lange an den Stücken für „Into The Abyss“ geprobt hatte. Er berichtet: „Vieles ist ganz spontan erst im Studio entstanden. Wir spüren einfach sofort, ob ein Riff oder eine Melodie gut ist oder nicht und machen da gar nicht lange herum. Wir waren insgesamt sechs Wochen im Abyss zugange und konnten durch unseren ´Heimvorteil´ eine wohltuend-relaxte Arbeitsatmosphäre genießen.“

Wie steht es denn mit dem Input von Lars und Mikael im derzeitigen Soundkonstrukt des Trupps? „Hypocrisy werden fast immer mit Peter in einem Atemzug genannt. Aber höre dir ruhig noch einmal den Song ´Unfold The Sorrow´ an, den ich komplett allein geschrieben habe. Oder ´Fire In The Sky´, der restlos aus der Feder von Mikael stammt. Peter Tägtgren ist ein sehr, sehr großer Name in dieser Branche und er ist zweifelsohne ein abartig guter Musiker und Komponist, der meinen vollsten Respekt genießt. Doch ohne mich und Mikael würden Hypocrisy nicht wie Hypocrisy klingen.“

Hypocrisy anno 2000 stehen also für majestätischen Death Metal vom Feinsten, der keine qualitativen und kreativen Limits zu kennen scheint.

Über die bereits seit 1992 bestehende Band noch Ausuferndes zu erzählen, ist sicher überflüssig, denn wer auch immer sich nur annähernd mit diesem musikalischen Metier befaßt hat, kennt und mag die drei sympathischen Urgesteine mit der ungemeinen Ausstrahlung in ihrer Musik sowieso.

Peters langjährige und treue Mitstreiter, Tieftöner Mikael Hedlund und Trommel-Wuchtbrumme Lars Szöke ließen es sich diesmal nicht nehmen, eigenes Songmaterial zu vertonen, und so lebt „Into The Abyss“ von der Einbringung der Impressionen dreier Songwriter in den donnernden Lärmwall von Hypocrisy. Der druckvolle Dreier machte über die Jahre eine hochinteressante Entwicklung durch: Tägtgren reifte als Musiker und Komponist enorm, so daß der Band heute Weltklasse bescheinigt werden kann. Der Erfolg gibt Ihrem Tun recht. Ich konnte es kaum abwarten, mir im Weiteren von Peter, der wie immer in bester Laune war, meinen Informationshunger stillen zu lassen.

„Der Release der neuen Platte wird der 31. July 2000 sein und ihr Titel wird nun doch entgegen vorheriger Erwägungungen ´Into The Abyss´ lauten. Wie schon angekündigt wird die Scheibe ein Faustschlag ins Gesicht eines jeden Zweiflers werden. Auch das Albumcover wird wieder einmal ein Old School-Artwork erhalten, also ein wenig weg von der extraterrestrischen Thematik der Vergangenheit. Wir verbrachten Wochen im Studio und wieder einmal bestätigte sich die kreative Harmonie innerhalb unserer Bruderschaft, die nun mittlerweile schon einige Jahre sowie Höhen und Tiefen auf dem Buckel hat. Wir drei sind die besten Freunde und machen zudem auch noch überaus gern Musik zusammen. Günstigere Voraussetzungen und eine bessere Band-Chemie kann ich mir eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Auch sonst fallen mir nur wenige Bands ein, bei denen eine dermaßene innigliche Verbundenheit untereinander herrscht. Und ich kenne schon allein durch mein Studio wirklich viele Bands.“

Das kann man auch auf „Into The Abyss“ einmal mehr als deutlich heraus hören.

Der neue Elchschreck der drei Schweden begeistert in erster Linie neben einem erneuten kreativen Höhenflug in Sachen Komponierkunst vor allem durch eine unglaublich aufeinander eingespielte Rhythmussektion, die abermalig nachhaltige und auch wiederum prägende akustische Akzente in diesem Metier setzen kann.

Peter: „Das Material entstand in keiner extra dafür frei geräumten Zeitperiode. Durch mein Leben und meinen 24-Stunden-Job als Musiker und Produzent habe ich permanent Melodien und Riffs im Kopf, dir mir so den ganzen Tag einfallen. Diese ziehe ich mir dann immer sofort auf ein greifbares Tape, um sie beizeiten auszuarbeiten und entsprechend zu arrangieren. Allerdings habe ich die besten Ideen, wenn ich leider viel zu selten allein im Bett liege, das Licht ausschalte und vor mich hin träume. So bin ich also kein klassischer Songwriter, der immer mit der Klampfe in den Händen seine Songs zusammenklimpert.“

Bei der Menge an Bands, die in der Vergangenheit pro Jahr bei Peter im Abyss ihre Alben aufnehmen, fällt es mir sowieso sehr schwer, nachzuvollziehen, wie er alles unter einen Hut bringt. Dazu noch sein Solo-Projekt Pain, dessen schon zweiter Release dieser Tage für Furore sorgt.

„Ja, ich habe mit den ganzen Aktivitäten eigentlich keine Zeit für mich und meine Familie. Das ist nicht immer einfach. Als ich noch frei und ledig war, war es noch schlimmer. Zum Glück aber beansprucht meine Frau mich immer wieder mit Nachdruck, denn sonst würde ich manchmal gar nicht mehr aus dem Studio herauskommen. Ich bin eben aufrichtiger Metalhead und besessener Workaholic in einem. Aber wenn eine Band tolles Material am Start hat und mir die Produktion bezahlt, hat sie auch eine angemessene Leistung für ihren Input zu verlangen. Schließlich habe ich mir meinen guten Namen in diesem Business nicht umsonst gemacht. Mit Pain läuft alles bestens. Wir sind nun übrigens nicht mehr bei Nuclear Blast unter Vertrag, sondern bei Motor Records. Dort sind auch Rammstein im Programm. Die Promotion des Debüts war nicht die beste und so fühle ich mich bei Motor nun um einiges wohler. In meiner Heimat haben wir mit Pain schon einige Musikpreise gewonnen und ich bin unheimlich neugierig, was die Zukunft so bringt. Motor Records hängen sich jedenfalls mordsmäßig rein für uns und so sollte es diesmal in Deutschland auch um einiges besser laufen als zuvor.“

Wie steht es eigentlich mit der Auswahl der in die heiligen Hallen des Abyss drängenden Horden an Bands? Schon mal eine Truppe abgelehnt, Peter?

„Nein, wenn sich alle brav anstellen, kommt jeder dran. Ich hatte auch noch keine nennenswerten Schwierigkeiten mit irgendwelchen Kapellen. Wir sind uns immer alle einig: Im Studio gibt es nur eines, das richtig zählt, und das ist, eine gute und bestmögliche Produktion hinzubekommen. Es steckt auch immer zuviel Arbeit in der Sache, um mit unbeherrschten zwischenmenschlichen Gefühlsentgleisungen alles kaputt zu machen und das `Betriebsklima` zu verschlechtern. Um die Frage gleich vorwegzunehmen: Auch mit den sonst so satanischen Bands hatte ich noch nie Ärger. Wir sind doch allesamt Musiker und wissen, was wir wollen!“

Bei der großen Vielfalt der Produktionen, die im Abyss über die Bühne gehen, frage ich mich, ob Mastermind Tägtgren eigentlich auch so seine persönlichen Favoriten hat, die ihm besonders ans Herz gewachsen sind.

„Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird und die ich auch sehr gerne höre, weil ich mich so immer wieder zurück besinne. Nun, ich zähle dir meine Favoriten in den jeweiligen Sparten auf. Black Metal: Old Man´s Child mit ´Revelation 666´; Death Metal: Die neue Hypocrisy-Platte; Thrash Metal: Die neue Scheibe von Destruction; Power Metal: Meine Landsleute von Wolf mit ihrem Debütalbum; Gothic: Desire, ebenfalls Landsleute von mir.“

Und weil wir schon dabei sind, eine Frage muß ich nun doch endlich einmal stellen: Was ist denn das absolute Alltime Favourite-Album eines wahren Produzenten-Großmeisters und Metal-Moguls, der die Bands der ganzen Welt kennt? Die Antwort kommt ohne eine Sekunde zu überlegen:

„Also, meine absolute Lieblingsscheibe ist über all die Jahre eindeutig das Solo-Album von Kiss-Boss Gene Simmons geblieben. Mit dieser Platte verbinden mich auch einige wunderschöne Erinnerungen um die damaligen Erlebnisse, die mit dem Erscheinungsdatum verbunden waren. Kiss sind meiner Ansicht nach eine der allergrößten Rock- und Metalbands aller Zeiten und haben mit ihren Werken große, beeinflussende Musikgeschichte geschrieben. Das wird heutzutage oftmals vergessen, wenn die Bands der Neuzeit in anmaßender Weise sich selbst als das Nonplusultra preisen.“

© Markus Eck, 28.06.2000

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