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Interview: IGNIS FATUU
Titel: Bewusste Selbstfindung

Den Titel ihrer 2013er Liedersammlung „Unendlich viele Wege“ nahmen diese Mittelalter-Rocker als Motto für die Schaffung neuer Lieder.

Mindestens so viele frische Ideen und stilistisch mutige Vorstöße scheinen Ignis Fatuu für die neue Veröffentlichung im Kopf gehabt zu haben.

So beschreiten die aufs Neue stets so hungrigen Musikanten um Sänger Andreas ‚P.G.‘ Haensel auf dem vierten Langspieler „Meisterstich“ jetzt einmal mehr bislang unerschlossene Pfade. Vollzogene Besetzungswechsel taten ein Übriges, um die Stilistik der Formation erneut zu modifizieren.

Auch textlich bringt „Meisterstich“ Überraschendes mit sich, denn es handelt sich um ein durchdachtes Konzeptalbum über das Schaffen des weltberühmten Albrecht Dürer. Seit der Veröffentlichung von „Unendlich viele Wege“ ist so einiges bei den Nürnbergern passiert, wie Drummer Carsten Muhl erzählt.

„2014 haben wir eine wunderbare Tour gespielt, von der uns als Highlights das Hörnerfest, das WGT in Leipzig und vor allem das M’era Luna noch lange in Erinnerung bleiben werden. Für 2015 haben wir uns, bis auf wenige Auftritte, eine Auszeit genommen, um uns durch einen Besetzungswechsel neu zu finden, Ideen für das neue Album zu sammeln und mit der Vorproduktion für ‚Meisterstich’ zu beginnen.“

Das vorhergehende Album wurde sehr gut aufgenommen, freut sich der Mann.

„Wir waren damit erstmals in der Geschichte von Ignis Fatuu in den deutschen Albumcharts auf Platz 91 vertreten, was für uns ein toller Erfolg war! Das zeigte sich auch durch die guten Besucherzahlen während unserer Tour.“

Für den eigenständigen Sound der neuen Scheibe zeichnet Simon Michael von Subway To Sally maßgeblich verantwortlich. Die Zusammenkunft der Band mit ihm war eigentlich mehr zufällig. Carsten erinnert sich:

„Ich hatte mich seit geraumer Zeit wieder mit der Double Bass-Technik beschäftigt und war neugierig auf Simons Herangehensweise. So habe ich ihn einfach angeschrieben und einen Termin vereinbart. Mein erster Besuch im Great Hall Studio hinterließ einen bleibenden Eindruck, vor allem die neuen spielerischen Erkenntnisse und die Produktionen, an denen Simon zu der Zeit arbeitete ließen in mir den Gedanken keimen, unsere neue Platte von ihm mischen zu lassen. Simon war von dem Material begeistert und bot sich uns an, und so kam es zu unserer Zusammenarbeit.“

Ignis Fatuu sind mit der Produktion und dem Sound der neuen Platte sehr zufrieden und sehr dankbar, dass Simon mit ins Boot geholt werden konnte. „Die Zusammenarbeit gestaltete sich unkompliziert, reibungslos, produktiv und es hat allen Beteiligten viel Spaß gemacht. Für den letzten Schliff konnten wir erneut Christoph Beyerlein gewinnen, der auch bereits bei vorangegangen Ignis Fatuu-Alben mitgewirkt hat.“

Die Nürnberger Mittelalter-Rocker haben ihre lyrischen Inhalte in die Renaissance verlegt und bringen aktuell die entsprechenden Künste mit ins Spiel: „Es gibt zwar keine typischen Met-Sauflieder auf unserem Album, aber die historischen Vorlagen, die überraschend oft einen sehr aktuellen Zeitbezug haben, lassen es auf andere Art und Weise richtig krachen. Uns ist kein Rockalbum bekannt, das sich ausschließlich mit der Thematik der Renaissance beschäftigt. Dabei ist diese Epoche ungeheuer spannungsgeladen und gleicht einer kulturellen Explosion.“

Da die neue Besetzung gut zueinander gefunden hat, wollten die Beteiligten musikalisch an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen und ihren Output zusätzlich verfeinern, wie in Erfahrung zu bringen ist.

„Wir haben die Songs kompakt gehalten und die Arrangements möglichst natürlich und organisch gestaltet. Zwischendurch gibt es ziemlich heftige Ausflüge in den Metal und genauso Abstecher in sehr melodiöse und gefühlvolle Momente. Besonders wichtig war uns, dass der Hörer wirklich eine musizierende Band hören kann. Beispielsweise endet der zweite Song ‚Nemesis‘ in einem furiosen Finale, wie man das von Live-Auftritten kennt. Der letzte Song des Albums hingegen ist völlig ohne ein durchgängiges Timing eingespielt. So etwas ist nur mit musizierenden, wirklichen Menschen zu machen, das kann kein Computer.“

Die Zusammenarbeit für die neue Albumveröffentlichung war den Mitgliedern laut Carsten ein großes Vergnügen. „Wir schätzen uns gegenseitig als Musiker sehr und die frische Energie der ‚Neulinge‘ hat sich prima mit der Erfahrung der ‚alten Hasen‘ verbunden. Gegen Ende der Produktion waren wir etwas unter Zeitdruck - da zeigt es sich dann sehr schnell, ob man sich sozusagen ‚blind‘ gut versteht und alle Rädchen perfekt ineinandergreifen.“

Die neuen Kompositionen sind grundsätzlich sehr abwechslungsreich gehalten, legt der Taktmann dar. „In den nacheinander folgenden Strophen wiederholt sich nicht einfach alles noch einmal, sondern ist jeweils auf den veränderten Text zugeschnitten. Das macht das Album auch nach mehrmaligem Hören interessant. Insgesamt hatten wir die musikalischen Ideen auf das Wesentliche reduziert und haben uns dann individuell eingebracht. Jeder Musiker sollte wirklich mit seinen Eigenarten zu hören sein.“

Ignis Fatuu hatten für „Meisterstich“ zunächst viele schnelle Songs geschrieben. „Das war uns sehr wichtig. Wir wollen auf unseren Auftritten schließlich eine richtige Party mit den Fans feiern. Den letztendlichen Ausschlag hat aber gegeben, wie gelungen die Interpretation eines Stiches von Albrecht Dürer gelungen ist. Wir haben letztlich also die Songs ausgewählt, bei denen Text und Musik in Zusammenhang mit dem Stich eine wirkliche Einheit ergeben haben.“

Die Songs „Nemesis“, „Ritter, Tod und Teufel“, das Instrumental „Der Dudelsackspieler“ und „Hieronymus“ entstanden komplett in eigener Regie. „Zumeist wurden die Ideen gemeinsam im Proberaum ausgearbeitet. Bei den anderen Songs haben hauptsächlich unser Sänger P.G. und ich die Grundideen von unserem ehemaligen E-Gitarristen Peter Pathos strukturell ausgearbeitet. Die Details wurden dann wiederum im Proberaum verfeinert; viele Ideen sind von Peter unverändert auf dem Album zu hören.“

Erstmals konnten alle neuen Bandmitglieder ihren eigenen musikalischen Background einfließen lassen. „So entstand eine schöne, klangliche Symbiose. Das Album ist insgesamt sehr rockig und organisch geworden. Einige Songs erinnern auch wieder an die ersten Ignis Fatuu-Alben.“

Vokalist P.G. hegt laut eigener Aussage bereits seit seiner Jugend eine Leidenschaft für das Mittelalter und die Renaissance. „Ich habe mir vor zwei Jahren eine Biografie über Albrecht Dürer mit auf Tour genommen. Man hat ja viel Zeit zwischen den Auftritten. Darin befand sich auch eine Abbildung des Stiches ‚Die wunderbare Sau von Landser‘. Alle in der Band waren sofort begeistert von der Idee, daraus einen Rocksong zu entwickeln. Und dann entdeckte ich noch einen Stich mit einer Steilvorlage als Thema, ’Ritter, Tod und Teufel’, und dann noch einen, und noch einen…"

Und Gevatter P.G. kommentiert die 13 neuen Kompositionen beziehungsweise die dahinterstehenden Kupferstiche auf teils schelmische Weise wie folgt:

1. „Die vier Reiter der Apokalypse“: „Endzeit. Die 4 großen Verheerungen der Menschheit - muss auch musikalisch einiges niederreiten können.“

2. „Nemesis“: „Die Göttin der Vergeltung von guten wie bösen Taten … kraftvoll und voller Tempo pflügt der Song mit einem folkigen Flair dahin.“

3. „Ritter, Tod und Teufel“: „Reitende Riffs, galoppierendes Schlagzeug, ritterlicher Dudelsackalarm.“

4. „Rhinocerus“: „Albrecht Dürer höchstpersönlich schrieb für uns diesen unglaublichen, sagenhaften Text. Schwer und laut stampft die Band im Nashorntrott.“

5. „Der Liebestraum des Doktors“: „Zwei Seelen, zwei Stimmungen, zwei Strophen, zwei Sänger, ein Lied.“

6. „Satyr und Nymphe“: „Gegensätze ziehen sich an, lyrisches Duett mit Irene und P.G. auf treibendem Beatbett.“

7. „Die wunderbare Sau von Landser“: „Das erste künstlerisch wertvolle Lied über die Missgeburt eines Schweines. Duplicitas posterior.“

8. „Melencolia I“: Das meistinterpretierte Bild aller Zeiten, zu Tode jauchzend, himmelhoch betrübt. Dürers ultimative Darstellung eines Seelenzustandes.“

9. „Adam und Eva“: „Rock im Paradies, wer hätte da nicht in den Apfel gebissen?“

10. „Das Meerwunder“: „Duett in verteilten Rollen. Verträumte Strophe der Entführten, Verlockungen des Entführers. Breitwandsound mit Walgesang am Anfang.“

11. „Sternenfall“: „Die Apokalypse lässt noch mal grüßen, diesmal Vernichtung durch Himmelskörper. 6/8-Metal.“

12. „Der Dudelsackspieler“: „Bei Ignis Fatuu: ‚Die Dudelsackspielerin‘.“

13. „Der hl. Hieronymus im Gehäus“: „Sehnsuchtsvoll und weit entrückt klingt die Platte aus und lässt einen Wunsch offen: Ach gäb es einen Ort in mir, an dem mein Löwe schlafen kann.“

Albrecht Dürer hat die Technik des Kupferstiches auf ein unerreichtes Niveau gehoben, würdigt Carsten den alten Meister. „Speziell drei seiner Stiche, ‚Melencolia I‘, ‚Ritter, Tod und Teufel‘ und der ‚Hl. Hieronymus im Gehäus‘ sind als seine Meisterstiche bekannt geworden. Die haben wir natürlich alle in Musik verwandelt. Das neue Album ist für uns persönlich auch so etwas wie unser Meisterstich.“

Das neue Album ist als Gesamtkunstwerk zu verstehen, lässt der Drummer noch verlauten. „Wir haben von den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg alle Originalgrafiken von Albrecht Dürer zur Verwendung im Booklet bekommen. Das bedeutet, im Digibook wird jeder Song mit dem Kunstwerk auf einer Seite gemeinsam präsentiert. Wir haben Bandfotos im Wohnhaus des Künstlers gemacht. Die Gesänge wurden in Nürnberg, direkt unter der Burg aufgenommen, keine 200 Meter von Dürers Atelier entfernt. Die Interpretation der einzelnen Kunstwerke ist dann sehr unterschiedlich ausgefallen, mal haben wir den Standpunkt des Betrachters eingenommen, mal die Sicht einer abgebildeten Person. Bei einigen Liedern haben wir mehr die Stimmung aufgenommen. Andere sind wie eine Bildbetrachtung ausgefallen. Der gesamte Entstehungsprozess war ein Eintauchen in diese Epoche und ein Wiederentdecken dieser zeitlosen Themen, die schon Dürer so fasziniert haben.“

Der Schlagzeuger fand seinen liebsten magischen Ort in der Nähe von Muggendorf in der malerischen Fränkischen Schweiz, wie er abschließend noch zu berichten weiß.

„Auf den Platz stieß ich einst zufällig während eines Filmprojektes. Als dies dann abgeschlossen war, bin ich bisher noch drei Mal hingefahren. Es ist ein kleiner Berg, auf dem in einiger Höhe eine Bank zu finden ist, auf der man einen wunderbaren Ausblick auf das Tal genießen kann. Dort zu sitzen, fernab von Stress, Lärm und Geschwindigkeit, gibt mir die Möglichkeit zum Entschleunigen, Reflektieren und zur Ruhe zu kommen.“

Magische Orte findet man seiner Ansicht nicht, so der Trommler ergänzend. „Sie finden dich! Von daher kann ich noch nicht sagen, welche magischen Orte ich noch aufsuchen werde. Generell bin ich sehr naturverbunden. Dem nachzukommen fällt mir in der heutigen Zeit nicht leicht, aber für mich lohnt es sich, meine Erdverbundenheit zu bewahren, weshalb ich diesen Ort - oder auch bald einen anderen - immer wieder von Zeit zu Zeit aufsuchen werde.“

© Markus Eck, 22.06.2016

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