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Interview: JUDAS PRIEST
Titel: Emotionale Extreme

Legenden im Heavy Metal gibt es wohl nicht wenige. Aber nur wenige vermögen ihre Fans über einen dermaßen langen Zeitraum bei der Stange zu halten wie diese verdienten britischen Schwerstahlschmiede.

Die Klassiker der englischen Vorreitergruppe um Vokalist, Kultfigur und Schwermetallgott Robert Halford ragen jedenfalls wohl auf ewig turmhoch aus den unzähligen Massen von Nachahmen und Plagiatoren.

Als 1974 das Debütalbum „Rocka Rolla“ fünf Jahre nach der eigentlichen Bandgründung erschien, waren die musikalischen Zeiten in vielem das exakte Gegenteil von heutigen Zuständen. Doch weder zyklisch wiederkehrende Richtungsänderungen mannigfaltiger stilistischer Zeitströmungen noch Sängerwechsel konnten den unverwüstlichen Originatoren aus Birmingham bekanntlich etwas anhaben.

Jetzt veröffentlicht die altbewährte und wohl effizienteste Judas Priest-Fünfmannbesetzung das neue monumentale Studio-Doppelalbum „Nostradamus“.

Ein vollkommen durchdachtes und vor allem auch betörend emotionales Konzeptwerk um das Leben und die Figur des weltberühmten französischen Sehers und Apokalypse-Propheten, welcher vor circa fünf Jahrhunderten lebte, genauer gesagt von 1503 bis 1566.

Letzterem wird nachgesagt, dass er historische Katastrophen wie beispielsweise die Machtergreifung Adolf Hitlers und ihre schrecklichen Folgen, den viel erklärten 1963er Mord an John F. Kennedy oder auch den verheerenden Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center am elften September 2001 indirekt angekündigt hat.

Für die künstlerischen Verhältnisse des nietensüchtigen Eisenpriester-Quintetts nicht nur aufgrund des gerade verschwenderisch verwendeten klanglichen Bombasts überaus ungewöhnlich, beinhaltet diese auch sehr balladenreiche Veröffentlichung eine derartige Fülle an Tiefgang, dass wohl nicht nur so mancher älterer Anhänger erstmal alles stehen und liegen lassen muss, um der Inhalte vollends gewahr zu werden.

Wie damals 1986 „Turbo“, mittelfristig „Jugulator“ oder schließlich „Demolition“, so stellt auch diese aktuelle Liedersammlung primär einmal mehr den ungebrochenen Mut, die hohe künstlerische Flexibilität und auch die unverkrampfte Wandelbarkeit der Beteiligten unter Beweis.

Bereits im Sommer 2007 gab der wiedergekehrte Frontmann Halford der interessierten Musikpresse damals allererste Informationen über die laufenden Arbeiten an diesem aus der Reihe tanzenden Musikspektakel.

Und er verkündete im Zuge dessen, dass „Nostradamus“ die „unglaublichste und spektakulärste“ Scheibe werden würde, die er und seine Band jemals für die Ewigkeit konserviert haben. Und der ausgesprochene Spiegelbrillen-Fetischist sollte Recht behalten.

Unterwegs im extra angemieteten Van mitten durch New Jersey zum nächsten Promo-Termin bei einer der örtlichen Radiostationen, zeigt sich der sagenumwobene Kehlenmagier im gemeinsamen Dialoggespräch in allerbester Laune:

„Ich fühle mich gerade bestens und freue mich sehr, dass der ganze Interview-Zirkus nun wieder beginnt. Judas Priest sind wieder da und wir haben ein verdammt starkes und eigenständiges Doppelalbum im Gepäck, von dem wir selbst noch immer begeistert sind. Dazu gibt es eine ganze Menge zu erzählen, was mich und die anderen die nächsten Tage voll unter Beschlag nehmen wird“, offenbart mir Rob eingangs mit überraschend sanfter und ausgeglichener Stimme.

Danach erkundigt er sich augenblicklich mit spürbarem Nachdruck, ob ich bei der vorangegangen Listening-Session zum aktuellen Output am siebten Mai bei der Sony/BMG in München einige Tage zuvor auch ja alle Lieder vollständig gehört habe. Denn dies ist seiner dabei geäußerten Auffassung nach von größter Wichtigkeit, um unser Gespräch entsprechend gut informiert zu führen.

„Fantastisch! Denn man muss sich `Nostradamus` wirklich in kompletter Gänze angehört haben, um sich ein wirklich repräsentatives Gesamturteil darüber erlauben zu können. Denn nur dann kann man all die wichtigen Elemente mit dazu einbeziehen, welche für uns wichtig waren in den neuen Songs mit dabei zu sein. Diese Doppelscheibe ist unglaublich vielfältig geworden. Wir sind mächtig stolz auf das, was wir da erschaffen haben.“

So, wie Halford das mit seinen wohl gewählten und mit langsamer Bedacht formulierten Worten berichtet, mit einer solchen inbrünstig-konspirativen Hingabe an die eigene Sache, glaubt man ihm das eigentlich nur zu gerne. Und der sich wohltuend sympathisch gebärdende Glatzkopf fügt an:

„Wir haben uns allesamt wirklich immense Mühe gegeben, die mystische und altertümliche Figur Nostradamus auf musikalische Weise zu beschreiben. Um den Mann, das Genie, das mit seinen Vorhersagen so weltberühmt wurde, zu erfassen, müssen wie erwähnt um jeden Preis alle zwei Silberscheiben am Stück konsumiert werden. Die ganze Story auf dem Doppelalbum baut sich vom Anfang bis zum Ende auf, ich habe es textlich wie eine Lebensbiographie gestaltet. Es ist eine wundervolle Reise durch die bewegte Vita eines großen Mannes. Dazu erzähle ich dir später gerne ein wenig mehr. Unseren Fans gaben wir ja bereits mit dem zuvor ins Netz gestellten Titeltrack `Nostradamus` einen ersten Vorgeschmack auf das, was sie auf dem aktuellen Doppelalbum erwartet. Alles in allem kann ich jedoch getrost sagen, dass wir ein Werk erschufen, welches typisch Judas Priest ist. Und, dass es ein schlüssiges und gehaltvoll-gutes Konzeptalbum geworden ist – eines, das man sich immer und immer wieder anhören kann, um dann doch noch neue Feinheiten und Überraschungen zu entdecken. Insgesamt ist `Nostradamus` nicht zuletzt auch enorm sicher ausbalanciert: Aufbrausend, ungestüm und rigide-dynamisch, aber eben teilweise auch schmerzvoll, niedergeschlagen, besinnlich und voller Hingabe. Ein bisschen von allem, könnte man sicherlich auch dazu sagen. Komponiert habe ich die Songs diesmal allesamt mit Glenn und K.K. in höchst ergiebiger Kooperation, und wir drei Männer zogen dabei stets an einem gemeinsamen gestalterischen Strang.“ Auf jeden Fall entstand ein beachtlich reifes Schaffensdokument einer mittlerweile bemerkenswert reifen Band.

Wie Rob dazu noch zusätzlich informiert, produzierten seine beiden genannten kreativen Spießgesellen die 23 Kompositionen der aktuellen Scheibe dieses Mal auch noch mit allem Fleiß, und das Resultat kann sich mehr als hören lassen.

Mein Gesprächspartner betont in diesem Zusammenhang gleich auch den seiner Ansicht nach nicht zu unterschätzenden Wert der vielen frischen neuen Ideen, welche er zusammen mit den beiden Gitarristen in die Lieder einbrachte. Wir erfahren vom Zeremonienmeister des Metal:

„Oberstes Ziel von uns war es eindeutig, ein vordergründig klassisches Judas Priest-Album entstehen zu lassen. Wir wollten so was in der Art ja schon seit Längerem machen, ganz speziell das Konzept-Ding, konnten das aber leider so noch nicht realisieren bisher. Uns fehlte dazu aber nicht die Inspiration oder das künstlerische Können, sondern schlicht und ergreifend die Summe der Vielzahl an dazu nötigen Entfaltungs-Möglichkeiten. Genauer gesagt: Man braucht einfach seine Zeit dazu, um sich dem Leben einer so berühmten Person entsprechend würdig zu widmen, zumal ja eben mit einer Heavy Metal-Platte. Denn wenn es songtechnisch ebenso hochwertig sein soll wie historisch authentisch und fundiert, geht das nicht von heute auf morgen. Wir waren uns dabei auch über eines ganz bewusst: Beinahe jeder auf diesem Planeten hat in irgendeiner Art und Weise schon den Prophezeiungen des Michel de Nostredame gehört oder gelesen, von daher sollte die Sache von unserer Seite aus alles andere als oberflächlich über die Bühne gehen. Gerade mein persönlicher Hauptanspruch war es von vornherein, das sowieso sehr gut dokumentierte Leben der Hauptfigur bestmöglich mit dem typischen Judas Priest-Handwerkszeug darzustellen. Doch nicht nur seine Prophezeiungen, ich wollte genauso den Menschen dahinter beziehungsweise seine Emotionen beschreiben. Und das ist mir gut gelungen. Das ganze Songwriting an sich sowie die gesamte aufgewendete Studiozeit zu `Nostradamus` gestaltete sich daher für uns als Aneinanderreihung von wunderbaren Erlebnissen, kreativen Erfolgen und damit verbundenen Eindrücken“, lässt mich der Mann mit der schillernden Persönlichkeit wissen, der zeitweise selbst als Solist Metal-Geschichte geschrieben hat.

„Im Lebenslauf von Nostradamus ist viel Metal enthalten, um es mal mit meinen eigenen Worten auszudrücken. Und genau das hat mich schon immer immens an ihm gereizt. Denn der Mann hatte durch seine ganz spezielle Gabe zeitlebens mit einer erdrückenden und nicht selten tragischen Fülle an teils lebensgefährlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Oftmals passte den damaligen Regierenden nicht, was unser Held so zu sagen hatte – so war Nostradamus immer wieder starken Repressionen ausgesetzt. So eben wie zahllose Metal-Fans auf diesem Globus – auch dieser Fakt reizte uns an der Konzept-Geschichte. Wir als Heavy Metal-Band können auch von solchen Schwierigkeiten berichten, welche wir im Laufe unseres Werdegangs immer wieder durchleben mussten – allein schon von daher fühlten wir schon seit jeher gewisse Parallelen mit der Geschichte von Nostradamus. Auch er musste stark an sich selbst und seine Ideale glauben, um nicht unterzugehen.“

Nachvollziehbar. Wir zwei kommen durch den vorherigen Gesprächskontext angeregt nun umgehend auf den ungewöhnlich hohen balladesken Anteil in den Songs auf der neuen Veröffentlichung zu sprechen, mit welchen Judas Priest die relevante emotionale Komponente ihrer musikalisch umschriebenen Hauptfigur ausleuchten wollen.

„Wo soviel Licht und Schatten zusammenkommt wie bei Nostradamus, sind wahrlich extreme Höhen und Tiefen in aller Konsequenz zu durchleben. Unvorstellbar intensive Ängste, deren prägnante Auswirkungen auf das betreffende Gemüt beziehungsweise deren verantwortliche Ursachen man sich heutzutage wohl nur noch schwerlich begreiflich machen kann. Faszinierend. Und das fordert seinen emotionalen Tribut. So balancieren auch wir auf dem Doppelalbum stets mit den Gegensätzen der Gefühle beziehungsweise Empfindungen. Denn: Waren wir als Heavy Metal-Band Judas Priest nicht immer schon berühmt dafür, sehr emotional zu sein? Von daher fühlten und fühlen wir uns mit dieser Platte genau auf dem richtigen künstlerischen Weg. Nicht zuletzt wünschen wir uns von den Fans, die neue Scheibe von Song zu Song als emotionale Reise des Nostradamus zu sehen beziehungsweise zu erleben. Die neue Musik, die wir hierfür so einfühlsam schufen, erstreckt sich daher in der Basis über viele unterschiedliche Stufen von Interessen und Empfindungen. Wir erforschten als Band definitiv neue Grenzen. Für uns war es somit eine echte Herzensangelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes, Nostradamus’ ein musikalisches Denkmal zu setzen. Das gesamte Leben dieses grenzenlos mutigen Freigeistes mit den Ausdrucksformen des Heavy Metal zusammenzuführen, war dazu auch ein echtes Abenteuer für uns. Wenn man wie wir seit so vielen Jahren diese Art von Musik macht, sehnt man sich ja geradezu danach, so etwas zu machen. Die drei Jahre der gesamten Arbeit daran vergingen daher für uns beinahe wie im Flug“, so Halford in recht entspannter Manier.

Wie mir der Mann nachfolgend in aller Selenruhe erläutert, hat er im Zuge der umfassenden Vorbereitungen eine ganze Menge an Schriftenmaterial über Nostradamus verschlungen.

„Mir erschloss sich mehr und mehr eine gleichfalls hochinteressante Person als auch eine unruhige Seele, aber auf alle Fälle ein einzigartiger Ausnahmemensch. Altkluge Leute, die ihn als irren Phantasten und diffusen Spinner abtun, urteilen dabei eindeutig vorschnell. Denn wenn auch nicht alle seiner zahlreichen apokalyptischen Theorien und beängstigenden Vorhersagen eindeutig auf die Gegenwart übertragbar sind, so war ich teilweise doch immens überrascht, wie viele Begebenheiten letzten Endes doch noch bittere Wahrheit geworden sind, die er schon vor fast 500 (!) Jahren in seinen Visionen gesehen und vorhergesagt hat. Die riesige Faszination für Nostradamus wird bei mir persönlich daher wohl auch lebenslang anhalten. Ich kann mich letztlich einfach bestens mit ihm identifizieren. Bei meinen umfassenden Recherchen zu seiner Person fühlte ich mehr als oft inniglich mit ihm, ich kann und möchte das auch gar nicht von der Hand weisen.“

Kurz nach Veröffentlichung des aktuellen Doppelalbums, präziser am 23. und 24. Juni, werden Judas Priest Düsseldorf beziehungsweise München laut abschließender Aussage des erzählfreudigen Ausnahmesängers mit zwei aufwändig umgesetzten Hallenkonzerten beglücken. Und der 28. Juni wird die legendären Briten als Headliner des Balinger Bang Your Head-Festivals sehen.

© Markus Eck, 13.05.2008

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