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Interview: LOVE LIES BLEEDING
Titel: Von trauriger Schönheit erfüllte Melodramen

Die französischen Dunkelromantiker Love Lies Bleeding haben ihre Anhänger scheinbar sehr lange auf ihr neues Werk warten lassen. Zu gut war schon das Erstwerk, um nicht ungeduldig nach mehr zu verlangen. Aber das Ausharren und Warten haben sich gelohnt, soviel gleich vorweg.

Das vorangegangene Debütalbum „Behold My Vain Sacrifice“ zeigte die anscheinend in tiefe manische Depressionen verfallene Black Metal-Band scheinbar schon gleich von ihrer opulentesten Seite. Wobei der lyrisch überaus anspruchsvolle Inhalt ihrer bitterbösen als auch wunderschönen Oden an die alles verzehrende Dunkelheit der menschlichen Seele weniger als das akustische Erscheinungsbild diesem bizarren Metier zuzurechnen ist. Was aber schon aufgrund des Bandnamens nahe liegt.

Auf dem neuen Album mit dem kurzen aber ausdrucksstarken Titel „S.I.N.“ haben die vier anscheinend nicht wenig träumerischen Musiker von Love Lies Bleeding nun unter dem Protektorat ihres geistigen Anführers und Schmerzpoeten Adrastis wieder einige an symphonischer Klangfülle schwerlich zu übertrumpfende Kompositionen vertont.

Dauernd dominierende alptraumhafte Tragik leitet wieder die in allen Liedern heraus zu hörende zerbrechliche und leicht verletzliche Sensibilität der Verursacher über in reißerische Schwarzmetall-Kracher. Diese sind erfüllt von faszinierend polarisierter Extremität. The Beauty And The Beast geben sich ständig gesanglich duellierend die Ehre.

Und beide Gesangsarten bestechen durch ihre jeweilige ureigene Charakteristik.

Die das Gemüt tief berührende haßerfüllte Musik der keinen Frieden findenden Franzosen erinnert somit wirklich an die berühmte abscheuliche Bestie mit dem gefühlvollen Inneren, die auf der ständigen Suche nach Zuwendung und Liebe scheint.

„Ich gründete Love Lies Bleeding 1996 in Paris. Wenig später veröffentlichten wir schon unser erstes selbstbetiteltes Demo. Unser zweites Demo `The Lady Who Didn't Want To Be` stellten wir erst zwei Jahre später fertig. Es erschien auf Demonion Productions und fand mehr als 500 Abnehmer. 1999 fanden zwei neue Members den Weg in meine Band: Sänger Emrys und Basser Ereshkigal erwiesen sich als tapfere Mitstreiter und sind auch heute noch an Bord. Mit ihnen nahm ich nachfolgend das erste Full Length-Album `Behold My Vain Sacrifice` auf, welches dann im März 2000 erschien. Ein Jahr später enterten wir dann erneut das österreichische CCP Studio, um das neue Album `S.I.N.` aufzunehmen. Auf diesem ist nun erstmals unsere neue Sängerin Jeanne und gegenüber dem Debüt auch ein realer Drummer zu hören. Denn diesmal haben wir mit einem richtigen Schlagzeuger gearbeitet: Hydraoth hat keinen von uns enttäuscht und ganze Arbeit geleistet. Ich möchte ihn auch auf der folgenden CD wieder dabei haben“, gibt Adrastis mir eröffnend preis. Überhaupt, die Band ist sein ganzer Lebensinhalt, wie der Maestro ergänzend darlegt.

Der Bandname regt den einen oder anderen Anhänger dieser Musikrichtung bestimmt zu vielerlei Spekulationen hinsichtlich seiner Bedeutung an. Wir erfahren:

„Der Gruppennname Love Lies Bleeding ist für mich das Symbol der endlosen humanen Leere und tragischer Gefühle hinsichtlich unserer irdischen Existenz. Sogar ein dermaßen typisch menschliches Gefühl wie die Liebe bringt am Ende mehr Pein als freudige Erfüllung. Ich denke, die Liebe, und ich spreche von wahrer Liebe, kann eigentlich nicht während unseres Lebens gefühlt werden. Vollendete Liebe im klassischen und dichterischen Sinne würde uns über kurz oder lang töten. So sind wir trotzdem ständig an das vorherrschende Ideal über dieses Gefühl gebunden, um ein Leben lang immer und immer wieder enttäuscht zu werden. Die einzige Möglichkeit einer grenzenlosen Liebe zu einem anderen Menschen wäre die Verlorenheit in der völligen mentalen Leere. Erst wenn wir unseren Verstand, unsere Vernunft und unsere Angst verlören, könnten wir uns als wahrhaftig Liebende bezeichnen. Doch das ist einem intelligenten Menschen doch eigentlich unmöglich. Love Lies Bleeding ist somit die Stimme, die sagt: Öffne deine Augen und sehe, aber halte an der Erkenntnis der Leere deiner Existenz fest! Der Titel unseres Debüts sollte dahingehend veranschaulichen: Wir alle existieren in dem Glauben an einen Sinn oder an ein Ziel unseres Daseins. Aber diejenigen, welche tragische Erkenntnis erlangten und dieses Narrentum durchschaut haben, wissen, daß diese anerzogenen Leitsätze doch nur Trugbilder sind, die uns am Leben erhalten sollen. Doch Love Lies Bleeding bedeutet auch die negative Essenz des Bewußtseins und soll dies im übertragenen Sinne verdeutlichen. Sich mancher Dinge bewußt zu sein und sie zu verarbeiten, war die erste Gedankenregung im humanen Individuum seit Menschengedenken. Dies ist die Ursache der reinen Verzweiflung in uns. Der Existenz aller Trauer, allen Leids und aller Schande. Das Bewußtsein in uns allen legt vieles Unvollkommene frei. Die Unfähigkeit mit Schwäche oder Pein umzugehen. Oder mit Feigheit. Alles Tabuthemen, derer man sich damals wie heute entledigte und sie fürchtete. Wer aber Erleuchtung erlangt hat, für den sind alle unsere Gefühle notwendig und zu akzeptieren“, führt der Gitarrist und Keyboarder in erschütternden, aber nachvollziehbaren Worten weiter aus.

Adrastis läßt noch tiefer blicken:

„Das Leben, der Tod, das Gute und das Böse. Für mich alles das Gleiche. Es sind unsere Gefühle, ohne die wir nicht existieren könnten. Wir sollten sie alle zulassen und auch akzeptieren. Ohne die Einen zu preisen und die Anderen zu verdammen. Love Lies Bleeding bedeutet deswegen: Die Liebe, dieses armselige und verklärte menschliche Gefühl ist – nur ein Traum! Eine geschaffene Phantasie, um das Leben und seine Mysterien zu entmystifizieren. Wahre Liebe, die immer wieder hochstilisiert wird, gab es niemals und wird es niemals geben. Es wäre die Aufgabe aller Vernunft; ja, des Lebens an sich. So lassen wir sie in unseren Songs sterben.“

Der Mann sieht daher den Sinn seines Daseins gemäß eigenen Worten ausschließlich in der kreierten Musik. Es ist für ihn aber beileibe nicht leicht zu sagen, woher die Inspirationen für die ausschließlich von ihm verfaßten Songs stammen.

„Alles was ich niederschreibe, ereilt mich aus meinem tiefen Inneren. Möglich, daß ich in der Lage bin, mehr zu fühlen als ich zu sagen vermöge. Die Sprache als Mittel zum Ausdruck kann mich nicht allein zufrieden stellen. So sage ich mit meiner Musik, was ich nicht mit Worten formulieren kann.“

Gefühle, ganz besonders tiefe, waren ihm schon seit jeher ein mannigfaltiger inspirativer Quell. „Denn ich war schon immer mehr an den tiefen Gefühlen als an den scheinbar oberflächlichen Emotionen interessiert. Und tief wiederum muß aber auch nicht immer extrem bedeuten. So kann letztendlich nichts in uns verallgemeinert werden. Dasselbe hat es mit meiner Musik auf sich. Ich will keinesfalls die schnellsten oder gewalttätigsten Stücke der Welt schreiben. Mir sind solche unsinnigen Dinge völlig egal.“

Wir erfahren weiterhin: „Eine oberflächliche Betrachtungsweise der Dinge reichte mir ebenfalls noch niemals aus. Ich will ständig entdecken, was hinter allem steckt, was sich verbirgt. Und tiefere philosophische Ansichten stecken voller Schattierungen: Wenn du schwarz siehst, sehe ich gleichzeitig viele schillernde Nuancen dieser Farbe. Das ist die eigentliche Essenz der Musik von Love Lies Bleeding: Nuancen.“ Und Düsterkapellmeister und Schmerzromantiker Adrastis, der die Gitarren ebenso versiert kreischen läßt wie er die Position am Keyboard besetzt hat, schreibt dieser Tage schon wieder an Songs für das nächste Album: „Jedoch ist es noch zu früh, um schon etwas definitives darüber zu berichten.“ Der kreative Franzose kann es nicht lange ohne Arbeit an neuen Stücken aushalten, wie er mir bekennt.

Ich bekomme Zustimmung des Maincomposers für meine Einschätzung hinsichtlich gesteigerter Härtegrade auf dem neuen Opus. „Absolut, das ist völlig richtig und war auch vollstens beabsichtigt! Das war mein Ziel vor dem Komponieren der aktuellen Stücke. Als ich die Songs für `Behold My Vain Sacrifice` erarbeitete, war ich in einer ganz anderen Gesamtstimmung als jetzt. Ich wollte damals einfach meiner Verzweiflung freien Lauf lassen und mitteilen, wie schwarz und trostlos ich alles sah. Nun habe ich langwierige Denkprozesse in meine Ansichten einfließen lassen und bin um einiges optimistischer geworden. Obwohl mir bewußt geworden ist, daß reiner freigeistiger Optimismus auch keine Lösung der von mir aufgezeigten Seelenzustände ist. Ich habe auch ehrlich gesagt noch keine endgültige Lösung gefunden. Dadurch steigerten sich aber trotz aller Hoffnung mein ohnehin schon sehr ausgeprägter innerer Haß und meine Abneigung gegen die heuchlerische und verlogene Gesellschaft. So fielen die Tracks für `S.I.N.` um einiges härter aus als die auf dem Debüt.“, erläutert Dramatiker Adrastis die letzten kreativen Ergüsse seines von massivem Weltschmerz geprägten Seelenlebens.

Wie steht er denn dann eigentlich zum immer wieder zitierten unheiligen Okkultismus, den viele seiner Zunftkollegen vor ihre Lieder schieben? „Es ist ziemlich einfach: Ich glaube an gar nichts. Vieles aus dieser Ecke ist sicher ganz interessant, bedeutet jedoch nichts für mich. Für mich ist das alles doch nur von Menschen geschaffene romantisch basierende Illusion. Sogar die Philosophie, welche ich seit Jahren an der Universität studiere, hat eigentlich keinerlei Substanz für mich. Im meinem gedanklichen Universum existiert nur die unendliche Leere. Gott soll diese `vollendete` Welt kreiert haben? Ich spucke ihm ins Gesicht.“ Hoffentlich wird es ein Volltreffer.

© Markus Eck, 21.08.2001

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