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Interview: NAILGUN
Titel: Sozialkritischer Tiefgang

Betont eigenständig gehen diese sechs süddeutschen Kraftmetaller auf ihrem aktuellen Debütalbum „Paindustry“ vor.

Der moderat rhythmisierte Mix aus Heavy- und Power Metal bricht mit teutonisch schneidender Stahlhärte in die Gehörgänge ein, wo sich die vielen Ideen des bodenständigen Trupps ebenso rasch wie gut nachvollziehbar ausbreiten. Dezente progressive Tendenzen würzen die Vorstellung der spielfreudigen Formation ab. Und diese ambitionierten Idealisten wissen mit Manuel Bühler und Manuel Blesch ein interessant klingendes Vokaldoppel in ihrer Mitte, was auf der in Eigenregie veröffentlichten Debütscheibe eine unerwartete Vielzahl an überraschend variantenreichen Kehlenergüssen mit sich bringt.

Für letztere errichten auf „Paindustry“ zwei Gitarristen stabile Saitenfundamente: Daniel Morsch und Florian Hahn sind die Namen, homogen ist ihr punktuell versiertes Zusammenspiel.

„Die Band wurde ursprünglich Ende 2007 von mir und zwei Kumpels gegründet. Damals wollten wir einfach nach längerer Zeit mal wieder richtig abrocken. Für mich kristallisierte sich aber schnell heraus, dass es nicht in meinem Interesse ist, nur im Proberaum zu spielen. Ich wollte damals schon mehr. Schließlich kam dann eins zu anderen, Musiker kamen und gingen. Schlussendlich war Mitte 2008 das heutige Line-Up zusammen und wir starteten mit den ersten Songs für unser Debüt-Album „Paindustry“, weiß Tieftöner Sven Rakowitz zu berichten.

Die Kompositionen auf „Paindustry“ muten eigenständig, durchdacht und aufrichtig inszeniert an. Sven offenbart hierzu:

„Ich denke, man muss den Spagat zwischen „Main-Stream“ und den eigenen Vorstellungen von geiler beziehungsweise ehrlicher Mucke auf die Reihe bekommen. Sowohl das eine als auch das andere für sich ist auf Dauer nicht von Erfolg gekrönt. Gerade in der schnelllebigen Zeit ist es meines Erachtens sehr wichtig, eingängige Melodien in den Songs zu haben. Auf der anderen Seite sollen die Songs aber auch nicht nach dem zweiten Durchhören langweilig werden. Für beide Extreme gibt es ja mittlerweile sehr viele Negativ-Beispiele.“

Ich erkundige mich im Weiteren, wie entspannt die Jungs mit unangemessenen Rezensionen beziehungsweise Bewertungen umgehen.

„Prinzipiell bin ich der Meinung, dass man aus Fehlern nur lernen und sich verbessern kann. Andererseits, darf man sich einzelne Kritiken nicht zu sehr zu Herzen nehmen, denn daran kann man zerbrechen. Es ist unmöglich, die Wünsche jedes Einzelnen zu beachten. Ich finde, man sollte den ungefähren Durchschnitt der Kritiken betrachten und versuchen, daraus Lehren für sich zu ziehen, um besser zu werden. Insbesondere ehrliche Kritiken sind hier immer sehr hilfreich. Bei manchen Kritiken merkt man sehr schnell, dass die Kritiker sich nicht wirklich eingehend mit der Musik auseinander gesetzt haben. Diese Kritiken nehme ich zwar zur Kenntnis, versuche aber trotzdem relativ schnell weiterzugehen und mir keinen Kopf darüber zu machen“, so der Bassist.

Alle Gesangslinien und Vokal-Arrangements stammen von Manuel Blesch, wie durch Sven in Erfahrung zu bringen war. „Er hat dafür wirklich ein sehr gutes Händchen. Er hat sehr viele Songs bereits zu Hause schon mal grob eingesungen. Umgesetzt wurden die Songs dann gemeinsam von beiden Sängern, wobei Manuel Bühler den größeren Anteil eingesungen hat. Nur bei sehr wenigen Songs mussten wir bei den richtigen Aufnahmen noch mal was drehen oder gar großartig umarrangieren, damit die Songs noch etwas runder wurden.“

Anschließend ging der Dialog in Richtung der forcierten düsteren Attitüde in den neuen Tracks der Debüt-CD. Sven scherzt zunächst: „Düster? Wir machen doch lustigen Happy Metal! [lacht] Das ist irgendwie ein Faible von mir. Bei mir müssen die Songs allesamt etwas Düsteres oder Schräges haben. Keine Ahnung, warum das so ist; ich find`s aber gut, dass es so ist. Schön freundlich und melodiös kann doch irgendwie jeder. Melodisch und düster beziehungsweise schräg ist da schon `ne größere Herausforderung, damit die Kompositionen richtig geil rüberkommen.“

Wie werden Nailgun ihre Stücke des neuen Albums wohl auf der Bühne darbieten? In spezieller „Endzeit“-Staffage? Wir erfahren von dem Tieftöner:

„Ich muss ganz ehrlich sagen, einen 100-%ig detaillierten Masterplan haben wir hierzu noch nicht. Wir werden auf alle Fälle nicht wie Running Wild in Kostümen die Menge rocken. Wobei, die eine oder andere Idee haben wir aber trotzdem schon. Zu detailliert möchte ich darauf noch nicht eingehen, schließlich wollen wir den Überraschungs- und Aha-Effekt zusätzlich auch noch nutzen. Unsere Zuhörer werden auf alle Fälle nicht nur was auf die Ohren, sondern auch was auf die Augen bekommen, das volle Paket eben. Ich persönlich finde nichts langweiliger als eine Band, die nur auf der Bühne steht und der Meinung ist, die Musik reicht voll und ganz aus, um den gewissen Funken überspringen zu lassen. Dem ist bei weitem nicht so. Ich finde diese Bands sehr schnell langweilig. Von daher lasst euch einfach überraschen, wie wir das Ganze umsetzen werden.“

Da Nailgun eine sehr neue Band sind, konnten die Beteiligten laut Aussage des Bassisten bisher noch nicht sonderlich viel live spielen. Mein Gesprächspartner konkretisiert den Kontext: „Wir arbeiten auf alle Fälle ständig daran, an neue Gigs zu kommen, was ehrlich gesagt sehr schwer ist. Mittlerweile sind aber trotzdem einige heiße Eisen für die zweite Jahreshälfte im Feuer. Da alle Bandmitglieder sehr umgänglich sind, kann ich mich an kein einziges negatives Ereignis mit unserem Publikum erinnern. Unser Ziel ist es immer, eine Party mit unserem Publikum zu feiern. Berührungsängste wären da absolut fehl am Platz.“

Was den weiteren Jahresverlauf von 2011 auf musikalischem Sektor anbelangt, da freut sich Sven am allermeisten auf die Vorbereitung zum nächsten Nailgun-Album, wie er zu Protokoll gibt. „Das wird wieder ein Spaß voller Blödeleien und Gelächter geben, bei dem wir uns halb tot lachen werden. Da haben wir in der Vergangenheit schon die lustigsten Dinge erlebt.“

Und auf privatem Sektor benötigt der Kerl laut eigenem Bekunden gar nicht viel, um froh zu sein: „Ich bin da relativ einfach gestrickt. Ich würde mich über einen geilen, nicht verregneten Sommer freuen. Auch ein paar Tage Urlaub, ohne Job und ohne Musik, wären mal nicht schlecht, um mir einfach mal wieder die Birne frei zu blasen.“

Ohnehin versucht der Bassmann sowieso permanent, wie er verlauten lässt, sofern es die Zeit zulässt, an neuem Songmaterial zu arbeiten. „Meist ist man jedoch einfach zu gestresst vom Job und es bleiben nur die Wochenenden. Momentan starten gerade die ersten Aktionen für unser nächstes Album. Hier habe ich beispielsweise am letzten Wochenende begonnen, einen Cover-Song auf „Metal“ umzuschreiben.“

Da horchte ich doch gleich mal nach, welches wohl sein persönlicher Lieblingssong auf der neuen CD ist und warum. Er überlegt erst einige Sekunden intensiv, um dann hierzu zu verkünden: „Das ist eine schwierige Frage. Ich finde auf unserer „Paindustry“ mehrere Songs sehr gut, auch nach 1.000-mal Anhören. Ohne arrogant oder eingebildet klingen zu wollen, finde ich „Circus“ immer noch saugeil. Das Grundriff hierzu fiel mir vor langer Zeit zufällig beim Duschen ein. Aber auch „Ghost“ finde ich wirklich stark. Hier hat Daniel meiner Meinung nach ein wirkliches Meisterwerk geschrieben. Insbesondere der Mittelteil ist wirklich hitverdächtig.“

Der Tiefton-Erzeuger sieht sich selbst realistisch als „ständigen Band-Nörgler und -Optimierer“. Und so sind ihm, wie er mich wissen lässt, auch schon während der Produktion von „Paindustry“ einige Sachen aufgefallen, welche die Band beim nächsten Album auf alle Fälle besser machen will. Er informiert zu diesem Thema:

„Nennenswert wäre hier auf alle Fälle der Sound der Platte. Da wir alles selbst gemacht haben, hatten wir hier erhebliche Grenzen; betrachtet man die Platte unter dem Gesichtspunkt einer Eigenproduktion, kann man aber nicht meckern. Vergleicht man „Paindustry“ hingegen mit einer professionell produzierten Platte, hinken wir natürlich etwas hinterher. Die nächste Platte wird auf alle Fälle in einem richtigen Studio aufgenommen. Hierüber sind wir uns alle einig. Ein weiterer Punkt, der eigentlich aus dem ersten heraus resultiert, war die Zeit, die wir brauchten, um „Paindustry“ aufzunehmen. Anders formuliert: Wir nahmen uns sehr viel Zeit, um das Bestmögliche aus den Songs rauszuholen. [lacht] Zukünftig müssen wir hierbei weitaus schneller zum Ziel kommen und das noch mit einem besseren Endergebnis.“

Wir setzen uns im Weiteren mit dem Kontext (Email)-Fanpost aus dem Ausland auseinander. Für den kritischen Bassisten mit der geerdeten musikalischen Attitüde stellt dies eine nicht unwichtige Thematik dar:

„Fan-Post? Was ist das? [grinst] Nein, mal im Ernst: Im digitalen Zeitalter, in dem man ohne Facebook und Myspace ja nur noch ein halber Mensch zu sein scheint, bekommen wir häufig Freundesanfragen etc. aus aller Welt. Nennenswert sind hier vor allem die Vereinigten Staaten. Für richtige, also mit der Hand geschriebene Briefe nimmt sich heutzutage so gut wie keiner der Metal-Fans mehr die Zeit. Wir sind natürlich auch bemüht, das aktuelle Geschehen bei Nailgun soweit wie möglich dort zu posten, um unsere Fans auf dem Laufenden zu halten.“

Für den Plattennamen „Paindustry“ haben die sechs Süddeutschen sehr lange gebraucht, so Sven: „Wir wollten was, dass kurz und prägnant ist, aber auch den Inhalt der Platte so gut wie möglich verdeutlicht, ohne abgedroschen zu klingen. Unser Manuel kam irgendwann mit dem Wortspiel „Paindustry“ um die Ecke. Wie man unschwer erkennen kann, handelt es sich hierbei um ein Wortspiel aus dem Worten „Pain“ und „Industry“. Der Titel passt optimal zur Platte, bedient aber keine typischen Klischees. In nahezu allen Songs geht es um Ängste, Zwänge, psychische Probleme, Krieg, Wut beziehungsweise gescheiterte Visionen.“

Apropos, die Lyrics wurden alle von Sänger Manuel Blesch geschrieben: „Die Lyrics beinhalten hautsächlich sozialkritische Themen, die Auswirkungen von Angst oder Vorurteilen, Kritik am System. „Circus“ beispielsweise erzählt die Geschichte eines Toten, der in die Hölle kommt. Die Hölle ist allerdings in absolut keiner Weise so, wie man sie sich vorstellt, sondern ein Zirkus und der Teufel ist der Direktor. Der Gestorbene erlebt somit die tollsten Sachen.“

Ursprünglich ist die Formation laut informativer Aussage von Sven ohne großartiges Konzept an die Sache rangegangen. „Wir wollten einfach mal sehen, was dabei rauskommt, wenn wir unsere Inputs bündeln und auf einer Platte zusammenpacken. Selbstverständlich haben wir mit der Zeit gemerkt, dass wir die Songs und die Lyrics in irgendeiner Weise kanalisieren müssen, damit am Ende was rauskommt, dass wie aus einem Guss wirkt. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass die meisten Songs wirklich gelungen sind und wir nicht nach Band XY klingen.“

Und da Nailgun mehrere Komponisten in der Band haben, komponiert jeder auf dem Instrument, das er selbst am besten spielen kann, so der auskunftsfreudige Bassist. „Unsere Gitarristen komponieren beispielsweise hauptsächlich mit ihren Klampfen. Ich nehme dann lieber einen meiner Bässe: Denn auch hiermit kann man sehr gut komponieren. Unsere Sänger singen auch schon mal `ne Melodie ein und schicken sie dann zur Weiterarbeit an einen der anderen in der Band.“

Selbstverständlich dürfen alle Bandmitglieder den Weg und den Klang von Nailgun beeinflussen, so der Viersaiten-Reißer abschließend. „Wir sind der Meinung, dass man nur so eine möglichst große Vielfalt in die Songs packen kann, ohne sich zu wiederholen oder schnell langweilig zu klingen. In der Regel setzt sich einer von uns hin oder es tun sich auch zwei bis drei Leute zusammen, und dann wird etwas ausgearbeitet und nachfolgend den anderen Nailgun-Musikern vorgestellt. Gemeinsam wird dann schließlich entschieden, ob der Song etwas taugt oder ob noch etwas daran gefeilt werden muss.“

© Markus Eck, 16.05.2011

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