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Interview: SAMAEL
Titel: Vielschichtige Spektren

Als ein Schweizer Brüderpaar 1987 gemeinsam die Band Samael gründet, sich damit auf den Namen eine althebräischen Dämons beziehend, hat sich das damalige Duo den teuflischen Ergüssen von grimmigen Vorreiter-Bands wie Bathory, Hellhammer, Celtic Frost und Venom vollkommen verschrieben.

Dementsprechend puristisch fallen auch Stil und Sound des ersten Demos „Into The Infernal Storm Of Evil“ aus, welches betont blasphemischen und stellenweise bedrohlich schleppenden Black Metal in ergötzlich ursprünglicher Reinkultur bot.

Da waren die gewählten Pseudonyme schon viel fantasievollerer Natur: Vorphalack stand bitterböse kreischend hinter dem Mikro und quälte dazu die Gitarre, während Xytraguptor das Drumkit verdrosch und seinen Keyboards allerlei abartig düstere Tonfolgen zu entlocken vermochte.

Erste Konzert-Touren schlossen sich an, das satanisch-dynamische Doppel bereiste dafür außer der Heimat auch Frankreich, Polen und Deutschland.

Ein ergatterter Plattendeal gab dem besessenen Tun der Gebrüder Recht.

Als dann folglich die Aufnahmen zum legendären Debütalbum, dem tiefschwarzen 1991er Genreklassiker „Worship Him“ beginnen, steigt Tieftöner Christophe Mermod alias Masmiseim in die Band ein.

Einige Zeit später stößt 1995 auch noch Keyboarder Rudolphe H. dazu, vorerst nur für Live-Gigs, um Xytraguptors Tastenkreationen zu reproduzieren. Der Künstlername von Masmiseim wurde nachfolgend wohl öfter falsch geschrieben als Sterne am Firmament stehen.

Mit den Jahren ihrer Existenz erweiterten Samael ihren Klangkosmos mit zahlreichen metier-unüblichen Gestaltungselementen, immer mehr in die elektronische und atmosphärische Richtung driftend, was sich erstmals auf dem 1996er Album „Passage“ angekündigt. Auch wird zukünftig ein immer noch aufwändiger programmierter Drumcomputer verwendet, was innovativen Rhythmusmustern neben immer eingängiger werdenden Tristessen-Tonfolgen ausreichend Entfaltungsraum ermöglicht.

Seine große Klasse hat das Quartett über all die Jahre nicht verloren. Nach ihrem 2004 erschienenen Studioalbum „Reign Of Light” veröffentlichen diese neuzeitlich als Cyber Dark Metal-Innovatoren fungierenden Schweizer nun eine neue Single, betitelt „On Earth“. Und Vorphalack, seit einigen Jahren nur noch kurz unter Vorph agierend, ist mit dem bisherigen Karriereverlauf seiner Band durchaus zufrieden.

„Grundsätzlich machen wir auch heutzutage noch immer die Musik, die wir selber gerne hören. Niemand hört sich über Jahre immer Dasselbe an, da stumpft man doch gefährlich ab. Und an dieser Einstellung hat sich über die Jahre nichts geändert. Wie die Leute uns stilistisch nun kategorisieren beziehungsweise einschätzen, darum kümmern wir uns als Band schon lange nicht mehr. Denn die denken sowieso über uns, was sie denken wollen, das haben wir nicht in der Hand.“

Vorph, der merklich offene Geist, hängt dem an:

„Die elektronischen Elemente in unseren Songs erfuhren auch von den Journalisten in der Vergangenheit oft übermäßig viel Beachtung, doch diese sind ja nur eine Facette unseres sehr vielschichtig gewordenen musikalischen Spektrums. Wir haben auch Gothic Metal-Bestandteile in unseren Kompositionen, doch darum kümmert sich scheinbar kaum jemand. Das liegt wahrscheinlich daran, das Electronics und Samples seit jeher im Metal, und ganz besonders im dogmatischen Black Metal, verpönt waren und noch immer sind“, verkündet mir der Samael-Boss mit gewohnt schneidender Stimme.

Und laut dem langjährigen Gitarristen und Sänger erreichte „Reign Of Light” einen so großen Publikumserfolg, dass sich das düstere Industrial Metal-Quartett nachfolgend spontan dazu entschloss, sich mit „On Earth“ bei den Fans gewissermaßen nachträglich zu bedanken.

„Wir entschieden uns dazu, den Song `On Earth` vom vorhergehenden Album als Titelsong zu verwenden, der jeweils als Album- und `Northern Sommermix`-Version enthalten ist. Zusätzlich einigten wir uns dann noch darauf, eine von mir in deutscher Sprache gesungene Ausführung des Stücks einzuspielen, sinnigerweise umbenannt in `Auf der Erde`.“

Und es dauerte schon einige Zeit, wie er vor mir zugibt, bis Vorph die Textzeilen dazu entsprechend gut drauf hatte.

„Wir tourten im Dezember 2004 für kurze Zeit mit Oomph!. Mich beeindruckte gleich beim ersten gemeinsamen Gig, wie gut die Band mit den deutschen Fans kommunizierte. Was ja allein schon deshalb so gut funktionierte, weil beide Parteien dieselbe Sprache inne hatten. Wir konnten ja lediglich immer nur die Namen der jeweiligen Städte aussprechen, in denen wir gerade spielten. Mir gefiel die Idee daher, auch mal etwas Deutsch zu lernen. Als ersten Schritt dieses Vorsatzes sang ich dann eben diesen Song mit deutschen Texten.“

Wie der Vokalist anschließend erörtert, nahmen Samael mit „I Feel You“ auch eine Coverversion des gleichnamigen Depeche Mode-Stückes von deren 1993er Album „Songs Of Faith And Devotion“ auf. Meister Vorph hierzu:

„Ich besitze lediglich eine Single-Kollektion von Depeche Mode, auf welcher auch dieser großartige Song ist. Doch von allen bekannten Depeche Mode-Liedern hat mich `I Feel You` schon immer am meisten für sich eingenommen. Den anderen in der Band gefällt der Song auch sehr, wie ich weiß. Als ich vor circa zwölf Jahren das allererste Mal Depeche Mode hörte, wusste ich sofort, dass das was für mich ist. Sie hatten schon immer dieses ganz eigene, ganz spezielle Feeling in ihren Kompositionen. Obwohl ich damals schon ausschließlich dem härteren Metal verfallen war, berührte mich ihre Musik nachhaltig. Eines Tages, als wir in Frankreich einen ganz exklusiven Radio-Gig spielen sollten, baten uns die dortigen Moderatoren im Vornherein, irgendeine Coverversion zu spielen.“

Samael entschieden sich anfänglich für einen der alten Klassiker von Alice Cooper, doch dann kam der zweite Gitarrist Makro schließlich mit der Idee zur Depeche Mode-Coverversion an, wie sich mein Interview-Partner zurückerinnert:

„Schon nach den ersten Proben waren wir alle total begeistert davon. Außerdem gefiel uns die Möglichkeit, den Fans einmal etwas völlig Neues von uns zu geben. Wir verpasstem dem Track einen ganz bestimmten Groove beziehungsweise einen ganz bestimmten Drum-Beat, den wir in dieser Art bereits auf der Mini-CD `Rebellion` hatten, nämlich beim Song `After The Sepulture`.“

Auf dem neuen Output ist auch ein Videoclip des „Reign Of Light“-Songs „Telepath“ enthalten. Vorph ist zufrieden damit, wie er vorgibt.

„Ja, ich mag ihn wirklich sehr. Wir verbrachten einen ganzen Tag im schwedischen Göteborg dafür, das Resultat rechtfertigte unsere Mühen vollauf.“

Einen ausschweifenden Rückblick mit den Erfolg der Band charakterisierendem Karriere-Resümee wollte der Eidgenosse eher nicht riskieren.

„Ich bin da eher ein Mensch, der viel lieber in die Zukunft schaut, als sich lange mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Damals war damals, heute ist heute. Und heute machen wir noch immer das, wozu wir Lust haben. Andererseits würden wir mit Samael schon längst keine Musik mehr machen. Jeweilig das zu spielen, was gerade `in` ist; nein, das war doch noch nie was für uns. Im Zweifelsfall gehen wir eher noch ein paar zusätzliche Schritte voraus, um auf alle Fälle unsere künstlerische Eigenständigkeit zu bewahren. Und das brachte in den letzten Jahren nicht wenige gute Song-Ideen mit sich, wie ich finde. Ziel eines jeden Musikers sollte es schließlich sein, sich weiter nach vorne zu entwickeln. Und genau das haben wir ja immer gemacht, bis heute. Uns ist es seit geraumer Zeit sehr wichtig geworden, eine Vielfalt an Emotionen zu vermitteln. Reiner (Black) Metal ist da sehr limitiert, daher ließen wir unsere privaten Hörgewohnheiten mehr und mehr in unsere Kreationen einfließen. Und es gibt eine Unmenge an richtig guter Musik, die nicht aus dem Metal-Bereich stammt, auch wenn das die allerwenigsten Schwermetall-Hardliner wahrhaben wollen. Man muss nur ein wenig über den Tellerrand hinausgucken, dann wird man schnell fündig. Tiefsinnig sollte es jedoch schon sein, was man sich anhört.“

Wie Vorph in diesem Zusammenhang mitteilt, läuft derzeit fast ausnahmslos Musik des berühmten russischen Komponisten Sergej Prokovjef durch seine Lautsprecher.

„Ich weiß, solcherlei Hörgewohnheiten erwarten wohl nur die wenigsten unserer Fans von mir, aber in seinen Kompositionen steckt soviel musikalische Macht und Ausdruckskraft, es ist faszinierend. Doch das bestätigt ja meine Aussage von vorher: Gerade in der Klassik wimmelt es doch geradezu von großartigen Werken, deren ausgeprägte Düsternis und tiefe Klangkraft auch für diejenigen Hörer kompatibel scheinen, die sonst nach allen möglichen stilistischen Extremen trachten: Denn musikalische Extreme, die stammen ja eigentlich aus der guten alten Klassik.“

© Markus Eck, 06.06.2005

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