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Interview: SINAMORE
Titel: Das Herz voller Wehmut

Nicht wenige Menschen haben bekanntlich ganz einfach einen latenten Hang zur Dramatik, und enorm leidenschaftliche Musiker glücklicher Weise ja ganz besonders. Zu dieser kreativen Spezis zählen auch Sinamore: Das tiefdunkelsinnige Quartett aus finnischen Landen bewies sein umfangreiches Können nach vielen Hindernissen bereits mit dem 2006er Debütalbum „A New Day“.

Jetzt steht der überraschend gehaltvolle Nachfolger „Seven Sins A Second” ins Haus und der verschworene Vierer hält auch mit dieser liedhaften Tränendrüsensäuberung an der Vision von erzdüsterer Schönheit fest. Anmutig zelebrierte Emotionalität scheint ohnehin das Privileg von Metal-Gruppen aus diesem Teil der Erde zu sein. Da machen auch Sinamore keine Ausnahme.

Doch diese Band ist nur scheinbar eine von vielen aus diesem Sektor. Denn der Vierer bettet seine bemerkenswert niveauvolle Nachtkunst ausnahmsweise unten ganz hart und nur oben ganz zart. Gitarrist Tommi Muhli, seit 2002 mit dabei, wirkt im entspannten Interviewgespräch liebenswert kauzig.

„Ja, stimmt schon, unser neues Zeug ist viel härter als die alten Lieder. In gewisser Weise schlagen wir den Hörer damit oft regelrecht mitten heftig ins Gesicht. Das ist auch voll beabsichtigt. Denn auf diese Art und Weise erreichen wir mit unseren Songs eine viel größere Ausdruckstärke und -Vielfalt. Genau genommen tue ich mir ehrlich gesagt recht schwer damit, Musikjournalisten über solche Dinge explizite Auskünfte zu geben. Das ist darum auch schon alles, was ich zu dieser Thematik hier sagen kann beziehungsweise möchte. Fest steht: Am viel zitierten Reißbrett haben wir die neuen Kompositionen für `Seven Sins A Second` jedenfalls trotzdem nicht konstruiert. Vielmehr gaben wir wie immer bislang hauptsächlich unseren künstlerischen beziehungsweise kreativen Intentionen und Trieben nach. Insgesamt kann man sagen, wir erreichten einiges mehr an Tiefgang, Ernsthaftigkeit und Sinnigkeit.“

Zeigte also der Albumvorgänger „A New Day“ noch das berühmte Licht am Ende des langen Tunnels, so kann dies laut Aussage von Tommi vom neuen Sinamore-Langspieler absolut nicht behauptet werden:

„Das ist für uns fürs Erste vorbei. Auf eher positive Stimmungsschattierungen wie Hoffnung oder weitere ähnlich warme Klangnuancen hatten wir absolut keine Lust. Ich schätze, das liegt ganz massiv daran, weil wir es schon lange satt haben, jeden Morgen nach dem Aufstehen die ganzen negativen Nachrichten aus aller Welt anhören zu müssen. Mit der Zeit stellt sich da wohl echt unweigerlich eine Art depressive Verstimmung ein, die wir allesamt in der Band teilen. Wir reden da sogar gar nicht mal selten in aller Offenheit drüber, aber was hilft das schon? Gegen die Übermacht der Milliarden von Seelen manipulierenden Massenmedien ist man doch als `normaler` Mensch eigentlich machtlos. Selbst wenn man wie ich das Radio aus lauter Trotz gar nicht mehr anschaltet, überall laufen doch diese verdammten TV-Apparate und transportieren rund um die Uhr auf dem ganzen Globus haufenweise bestialische Gräuelbilder und Lügenpropaganda.“

Der in diesem Punkt vollauf zustimmende Autor schließt sich dieser Aussage restlos an. Mit am allerschlimmsten findet es der Saiten schrubbende Finne, wie er weiter dazu ausführt, dass die Menschen sich von den heutigen Medien so dermaßen den Geist nivellieren lassen, dass es schon als gemeingefährlich einzustufen ist.

„Die Leute konsumieren ja vor lauter Überfluss an Informationen bald nur noch `blind` und stoßen sich immer weniger an etwas. Es wird sozusagen nichts mehr in Frage gestellt geschweige denn kritisiert. So reiht sich Krieg an Krieg, Verbrechen an Verbrechen, Abscheulichkeit an Abscheulichkeit, Skandal an Skandal etc. – ohne, dass sich etwas gravierend zum Besseren ändert. Revolutionen und Umstürze wie in der historischen Vergangenheit der Menschheit sind in dieser momentanen mentalen Ohnmacht und ständig noch mehr zunehmenden geistigen Lethargie auf alle Fälle nicht mehr zu erwarten. Mich macht das immer noch kränker. Ach, ich hasse diesen ganzen Scheißdreck so sehr“, bricht es plötzlich aus dem sich ansonsten besonnen formulierenden Typen mit nun auffallend barscher Tonlage heraus.

Gibt es denn auf diesem von Menschen gigantisch übersiedelten Planeten gar nichts Schönes mehr Tommi?

„Doch, sicherlich“, meint dieser dazu. „Es gibt sogar eine Unmenge an tollen und positiven Dingen hier, mehr als sich viele Leute vorstellen können. Dinge, für welche man aber allerdings erst mal die Augen und anschließend die Sinne öffnen muss, um sie überhaupt erst wahrzunehmen und genießen zu können. Die meisten Menschen haben sich aber doch in Sachen Wahrnehmungshorizont von den ganzen visuellen und akustischen Bordstein- und Klatschmedien dermaßen massiv vereinnahmen lassen, dass sie Tag für Tag nur noch auf all den ganzen (Kriegs)Ekel, all die ständigen Schockmeldungen und (Pseudo)Sensationen zugespitzt sind. Letztere wechseln sich beinahe im Stundentakt ab, sodass mit der Zeit sowieso ein gewisser, meiner Meinung nach auch vollauf beabsichtigter Benebelungseffekt eintritt. Man muss sich also schon ganz schön abschotten von dem ganzen Zirkus, um nicht davon hysterisiert zu werden. Und für den überwiegenden Teil der heutigen `modernen` Menschen ist das schlicht und einfach unmöglich, größtenteils allein schon aus beruflichen Gründen heraus.“

Daher hat sich der manische Gesellschaftsflüchtling Tommi dazu entschlossen, seine Brötchen als Musikpromoter zu verdienen. Er legt dazu dar: „Die Entscheidung dazu fiel sehr schnell, als ich das Angebot bekam. Da musste ich nicht lange überlegen, das geschah rein aus dem Bauch heraus. Ich bin ohnehin ein totaler `Bauchmensch`. Damit fahre ich auch heute noch am besten. Musik ist schließlich mein Leben. Für sie bin ich bereit, alles zu geben, was ich habe beziehungsweise was mir physisch und psychisch zur Verfügung steht. Durch diese gleichermaßen Spaß machende wie in meinen Augen sehr sinnvolle Tätigkeit sammle ich auch nicht zuletzt sehr wichtige Erfahrungen für meine eigene Band Sinamore.“

Viele Musiker glauben ja gar nicht, wie wichtig eine gute und an Zielgruppen orientierte Promotion heutzutage im überlaufenen Musikgeschäft ist, wie der Gitarrist meint. „Durch die einerseits relativ einfachen und auf der anderen Seite auch noch enorm vielfältigen heutigen Möglichkeiten, seine eigene Musik auf Tonträger zu pressen unter die Leute zu bringen, ist beinahe jede Stilistik vollkommen unüberschaubar geworden. Davon ist leider auch unser Genre-Metier sehr stark betroffen – denn durch die riesigen Erfolge von Populärgruppen wie H.I.M. oder Ähnlichen schwappte eine immense Welle an zahllosen Nachahmern hoch. Dass die meisten solcher Retortentruppen nach einer Veröffentlichung schon wieder in der Versenkung verschwinden, sagt ja schon sehr viel über die defizitären Talent-Verhältnisse im Gothic- und Dark Rock aus. Nicht zuletzt meinen die wenigsten der betreffenden Bands ihre Sache richtig ernst und wollen mit möglichst viel Klischee-Staffage und Schminkereien für sich einnehmen. Vieles davon sieht doch einfach nur Panne aus, wenn man ehrlich ist. Doch in erster Linie sollte immer die Musik an sich kommen. Wir kümmern uns darum 100 % um die Qualität und Authentizität unserer Songs – und das, was man auf unseren Bandportraits zu sehen bekommt, sind auch 100 % wir. Ohne speziellen affigen Firlefanz. Wir gehen auch sonst in dunklen Jeans und unseren verschwitzten Rock-Shirts auf die Bühnenbretter. Das ist unsere Welt, wir wollen es nicht anders.“

Das glaubt man ihm gerne. Sowie auch das Folgende: Als die Jungs damit anfingen, sich ans Songwriting für das aktuelle Album zu machen, bemerkten sie recht rasch, dass die neue Scheibe in so einigen Belangen intensiver werden würde als alles, was sie zuvor erschaffen hatten, so Tommi, schwelgend resümierend. „Auf eine geheimnisvolle Weise bekamen wir sogar Lust daran, des Öfteren ein wenig schneller als sonst üblich zu spielen. So entstanden einige wirklich gute und markante Gitarren-Riffs. Zeitgleich holten wir dadurch auch diverse richtig griffige und eingängige Tonfolgen an die Oberfläche. Übergreifend machte sich aber wie erwähnt das kollektiv empfundene Gefühl mit jedem Tag des Entstehungsprozesses zu `Seven Sins A Second` mehr in uns breit, dass es fürderhin keine Hoffnung mehr gibt, nicht für uns, nicht für die Welt da draußen. Wir konnten uns diesen Empfindungen nicht erwehren, dementsprechend geriet uns auch die neue Musik. In gewisser Weise war dies alles auch gut so, denn so konnten wir uns den ganzen verdammten Frust von unseren Seelen spielen. Zwar nicht mit dauerhafter Heilwirkung, doch es wirkte immer wieder ziemlich erleichternd, wenn ich mich so zurück erinnere.“

All den Fans der Finnen wird dieser Fakt nur Recht sein. Denn so werden Sinamore wohl oder übel weiterhin ihre todtraurigen Zornessausbrüche in solch tiefanmutiger Liederform ausleben müssen.

So zogen diese vier finnischen Tränenbefreier die Härteschrauben ihrer Kompositionen im aktuellen Fall um einiges fester zu. Für den manisch melancholischen Stoßseufzertrupp eindeutig eine probate Kanalisierungsmöglichkeit, um das intern lichtlos lodernde Aggressionspotenzial herunterzuskalieren. Der taufrisch fertig gestellte Langspiel-Klangakt „Seven Sins A Second” verdeutlicht dies mit haufenweise höchst markanten Hörmomenten. Den somit künstlerisch noch trittsicherer absolvierten Drahtseilakt zwischen beschwörendem Gothic Rock und deprimiertem Dark Metal beschreitet der Vierer dieses Mal also mit bemerkenswert energischer und vorwärts drängender Attitüde. Um dabei die kreative Balance so derart gut ausgewogen zu halten wie unsere finnischen Dunkelhelden, bedarf es auf jeden Fall schon einiger Selbsttreue. Apropos, seiner sechssaitigen Edelholzbraut ist Strangschrubber Tommi nach wie vor ebenso treu wie dem guten alten Stimmungsaufheller und Krisenhelfer Jack Daniels. Und exakt unter dessen Einfluss berichtet mir dieser skandinavische Kauz mit gewohnt herben Phrasierungsschwankungen weiter, sich mal wieder betont lässig gebend:

„Erste Presse- und Fan-Reaktionen zum neuen Album gingen ja zwischenzeitlich bei uns ein, und das läuft auch wie erwartet. Überwiegend gefällt den Leuten, was wir jetzt so machen, vor allem im Gothic-Bereich. Einige Verrisse haben wir auch schon kassiert, aber eben wie immer von denen, die mit dieser Art von Musik an sich nichts anfangen können“, winkt der liebenswert verschrobene Gitarrist lapidar ab.

So weit so gut. Sinamore stehen jedenfalls unumwunden zu der neuerdings schrofferen Spielart ihres musikalischen Treibens. „Wir haben für die neue Scheibe wieder das einzig Richtige gemacht, nämlich mit aller Aufmerksamkeit auf unsere inneren künstlerischen Stimmen zu hören. Von daher kann man mir beziehungsweise den anderen in der Band über das Album erzählen, was man will – uns gefällt es. Daher werden wir noch weiter in diese Richtung vordringen. Hauptsache, wir behalten unsere schöpferische und stilistische Eigenständigkeit bei. Alles andere juckt uns wenig.“

Viel hingegen liegt dem finnischen Viererbund jedoch an dem Selbstverwirklichungsgrad seiner Musik, so Tommi. Er ringt schleppend nach den richtigen, den einzig wahren Worten. Dann ist er sich hörbar felsenfest sicher:

„Wir wollen uns hauptsächlich bestmöglich emotional und mental mit unserer Musik ausdrücken beziehungsweise vermitteln. Von daher plagen uns keinerlei Selbstzweifel hinsichtlich der Form und Aussage unserer Lieder. Wenn ich mir unsere aktuellen Nummern so anhöre, komme ich sogar immer wieder zu dem Ergebnis, dass wir sogar klanglich und rhythmisch noch um Einiges härter hätten vorgehen sollen.“

Denn Sinamore, diese vor Leidenschaft schier brennenden Herzen, gehen nämlich nicht nur im Privatleben, sondern eben auch eigenmusikalisch gerne an ihre Grenzen, wie der Saitendehner nachfolgend gesteht. Man darf als Anhänger der Band gespannt sein:

„Einige Kompositionen haben wir schon wieder fast fertig, welche dann auf dem kommenden dritten Studioalbum landen werden. Und diese sind schon jetzt verdammt hart angelegt. Und vor allem auch viel dunkler gestimmter, als man es je zuvor von uns vernommen hat. [lacht hämisch] Obwohl die derzeitige Scheibe noch gar nicht mal offiziell auf dem Markt ist, kann ich es ehrlich gesagt bereits jetzt kaum noch erwarten, die nächsten Lieder von uns mit meiner Gitarre hochaktiv und bissig werden zu lassen.“

Gutes Stichwort, so befasste sich der Dialog bei dieser Gelegenheit gleich vorausschauend mit dem künftigen Kompositionsgut der Finnen. Der sympathisch trinkfreudige Tommi gibt zu diesem Kontext mit sorgfältig gewählten Worten präzise beschreibend preis:

„Es zeichnet sich bereits gegenwärtig ab, dass unsere auf das dritte Album kommenden Songs technischer werden.“ Das erstaunt den Autor doch sehr. Technischer, Tommi? „Ja, obwohl wir ja eigentlich atmosphärischen Gothic Dark Metal zocken. Aber das liegt eben in der genannten Anhebung der Härteverhältnisse begründet. Wer instrumentell härter zockt, muss doch automatisch technischer werden, meine ich. Zusätzlich werden wir die Hörer auch noch mit mordsdüster umgesetzten Anleihen aus dem Doom Metal-Bereich überraschen. Wir haben dahingehend schon einige Experimente erfolgreich abgeschlossen, was uns beim Proben wirklich tiefe innere Befriedigung verschafft hat. Solcherlei Kombinationen mit den bestehenden und bewährten Grundfesten unserer Stilistik klappen also hervorragend.“

Dann kommt der Mann mit dem ausgeprägten Faible fürs menschlich Echte unweigerlich ins anhaltende Schwelgen: „Ach, es tut immer wieder so gigantisch gut, das zu spüren beziehungsweise in dem Bewusstsein zu leben: Künstlerisch etwas zu erschaffen, was aus dem tiefsten Inneren der eigenen Seele kommt und dabei auch noch gut wird beziehungsweise auch anderen Menschen gefällt. Ich bin regelrecht süchtig nach diesem einzigartigen Gefühl, und hoffe inständig, dass ich es mir solange wie nur irgend möglich bewahren kann.“ Innerhalb von Sinamore kann Muhli dies sicherlich, kommt es einem beim andächtigen Lauschen von „Seven Sins A Second” in den ergriffenen Sinn.

© Markus Eck, 11.10.2007

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