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Interview: VOGELFREY
Titel: Mit ureigener Identität

Die mitreißende Wildheitsmusik dieser fidelen Mittelalter-Rocker kracht mit mordsstarkem Metal-Einschlag ins Gebälk, und dabei zieht das schmissige Knallmaterial des Trupps auch einen dicken Schweif an zünftigen Folkloreanleihen nach sich.

Die Rede ist von Vogelfrey, und diese Hamburger Spielleute gründeten ihren agilen Haufen offiziell im Frühjahr 2004 in Bergedorf. Unter „Vogelfrei“ versteht man auch heute noch bekanntlich die mittelalterliche Ächtung einer Person, welche auch die Tilgung aller gesellschaftlichen beziehungsweise bürgerlichen Rechte des so verurteilten Menschen beinhaltete – sowie den Erlass, ihm kein reguläres Begräbnis zu gewähren, sondern im Falle des Todes seinen Leichnam den Vögeln zum Fraß zu überlassen. Doch in vorhergehenden heidnischen Zeiten stand der Begriff stets für das angenehme Befinden, sich frei wie ein Vogel zu fühlen.

Mit letzterer Definition können sich unsere stilecht gekleideten Hamburger Helden schon viel eher identifizieren, was man ihren Kompositionen auch vollauf anhört. Für Mitte 2010 ist die Veröffentlichung des Debütalbums auf dem Plattenlabel Trollzorn geplant, und nicht nur deswegen sprach ich mit Kraftvokalist und Flötenrohrmann Jannik sowie Tieftöner Chris.

„Selbst die Inquisition, singt uns're Lieder schon!“ lautet das spaßige Motto der Nachwuchsgruppe und mich interessierte, wie tief sich die Beteiligten mit diesem leidigen Thema bislang auseinandergesetzt haben. Jannik hierzu:

„Schon bevor wir 2004 Vogelfrey gegründet haben, habe ich mich persönlich sehr für das Mittelalter interessiert. Da kommt man an der Thematik der Inquisition natürlich nicht vorbei. Im Leistungskurs Geschichte, den ich in der Oberstufe meiner Schule besucht hab, wurde beispielsweise das Thema „Hexenverhöre“ durchgenommen, wo sich ganze Dörfer gegenseitig denunziert und der Inquisition ausgeliefert haben. Das war mal eine sehr nüchterne Auseinandersetzung mit dem Thema im Vergleich zu pathetischen Filmen oder Romanen. Im Grunde genommen haben wir uns da nur die Verhörprotokolle der verschiedenen Tage angesehen, also was gefragt und was geantwortet wurde. Beim ersten Verhör hat die vermeintliche Hexe noch alles verneint, was ihr vorgeworfen wurde, beim zweiten Mal auf einmal alles zugegeben, später dann widerrufen. Es liegt natürlich auf der Hand, dass sie zwischendurch tagelang gefoltert wurde. Wenn man das aber mal nicht in Bild oder Text vorgekaut bekommt, sondern das anhand von historischen Quellen, die auch noch echt sind, analysiert, dann trifft einen das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Thema umso mehr, ganz ohne schmachtende Musik im Hintergrund oder feurige Wortkunst.“

Wir diskutierten weiter noch darüber, warum genau die Kirche in ihrer Geschichte Abermillionen von unschuldigen Menschen beziehungsweise Ureinwohner und Tiere zum globalen Machtaufbau gequält und getötet hat. Jannik zeigt sich erneut informiert:

„Mit einem Machtapparat wie der Inquisition, der aktiv gegen Häretiker und Ketzer vorgehen konnte, war es der katholischen Kirche im Mittelalter möglich eine gewisse Kontrolle über die christliche Welt und die darin lebenden Menschen zu erlangen. Man hatte eine Institution erschaffen, die relativ flexibel agieren konnte, vor allem nachdem die Inquisitionsaufträge nicht bloß den Bischöfen zukamen, sondern auch Mönchsorden wie den Dominikanern. Ideen, die nicht der katholischen Lehre entsprachen, stellten eine Bedrohung dar, weil sie die zum Großteil ungebildete und abergläubische Bevölkerung des Mittelalters beeinflussen und manipulieren konnten, ebenso wie es die Kirche im Grunde selber tat. Deshalb begann man aggressiv gegen solche "Irrlehren" vorzugehen und Andersglaubende zu bekehren oder zu vernichten. Die Grausamkeit mit der die Inquisition einerseits dem Volk mit dem Fegefeuer drohte und so ohnehin vorhandene Ängste zur Kontrollierbarkeit der Menschen bediente, ließ sich auch in weltlichen Verfahren wie dem "peinlichen Verhör" unter Folter oder der Todesstrafe durchs Feuer auf dem Scheiterhaufen erkennen. Natürlich tat man dies in dem scheinbaren Selbstverständnis, die Seelen der Ungläubigen zu retten. Eine Verurteilung ohne Schuldgeständnis war nicht erlaubt, also erfolterte man sich dieses Geständnis. Auch aus finanzieller Sicht war die Inquisition lukrativ, da die Besitztümer des Angeklagten zu Teilen der Kirche übergeben wurden und der Finanzierung des Tribunals dienten. Die zeitgenössische Unterdrückung der Frau fand ihren Ausdruck in der Hexenverfolgung, der allerdings auch Männer, die der Zauberei bezichtigt wurden zum Opfer fielen. Dadurch, dass lange Zeit die christliche Lehre der Wissenschaft und damit dem Fortschritt im Wege stand, blieb das Volk ungebildet und weitestgehend kontrollierbar. Dann kam im 16. Jahrhundert Luthers Reformation und komplizierte die Sache ein Wenig. Nichtsdestotrotz ist Vogelfrey natürlich kein Verein von Hobby-Historikern, die immer zu 100 % über jeden Hintergrund informiert sind – darunter würde für mich persönlich auch die künstlerische Freiheit leiden, die notwendig ist, um etwas Neues zu schaffen. Es geht uns um Musik!“

Mythos Kreuzritter: In cineastischer Verklärung doch stets als mutige Helden und tapfere Streiter dargestellt, waren diese ja am Ende doch nichts anderes als brutale Söldner, die für andere, also auch die Kirche, raubten und töteten. Jannik bezieht Stellung zum Kreuzrittertum:

„Mal ganz abgesehen davon, dass ich generell nichts von Kriegen halte, aus welche Gründen sie auch immer geführt werden, ist es ja nun wirklich absolut heuchlerisch einen religiös motivierten Krieg zu führen, der von Grund auf im Widerspruch zu seiner eigenen Motivation steht. Nach dem Motto: "Ich weiß, eigentlich verbietet mein Gott mir das Töten, aber wenn es um die gottlosen Sarazenen in Jerusalem geht, dann kann man ja mal eine Ausnahme machen." Und wenn man schon mal unterwegs ist, kann man sich ja auch gleich noch anderer Leute entledigen, die einem im Weg scheinen. Darüber haben wir auch einen Song geschrieben, "Deus Lo Volt" (deutsch: "Gott will es"). Der Titel stammt daher, dass im November des Jahres 1095 der damalige Papst Urban II in Clermont auf einem Konzil eine Rede hielt, in der er zum Kreuzzug ins gelobte Land aufrief. Danach sollen die Anwesenden voller Begeisterung "Deus lo volt!" gerufen haben. In dem Song geht es um die Doppelmoral dieses Unterfangens und die Verblendung des Volkes, falsche Hoffnungen und das böse Erwachen der Erkenntnis. Im Grunde finde ich es aber in Ordnung, wenn ich mir Hollywood-Filme über die Kreuzzüge angucke. Man muss nur in der Lage sein, dass ganze als das zu sehen, wozu es einzig und allein taugt: Als Unterhaltung. Leider gibt es ja auch heutzutage noch im politischen Geschehen verschiedene ähnliche Gedankenkonstrukte wie den Kreuzzug, wodurch unser Song auf die Gegenwart bezogen traurige Aktualität erlangt. In solchen Ideen gibt es wahrlich nichts zu bewundern.“

Die internationale Kirche selbst hat sich für diese unglaublichen Völkerverbrechen, ihre gierig-kriminellen historischen Raubzüge beziehungsweise Landnamen und Kulturnivellierungen bislang nicht angemessen bei den Völkern dieser Erde entschuldigt – während die Vatikanbank vor einigen hundert Jahren dafür mit unermesslichen zusammengerafften Reichtümern bis heute erfolgreich ins internationale Bankgeschäft einstieg. Doch die Welt betet bis heute weiterhin verblendet das Kreuz aus der Wüste an. Ich fragte meinen Gesprächspartner, wie dieser Kontext seiner Meinung nach wohl weitergehen wird. Wir erfahren: „So wie ich das mitbekommen habe, sinkt, zumindest in Deutschland, die Anzahl der Leute, die Mitglied in der Kirche sind. Auf der anderen Seite entwickeln sich parallel seltsame Auswüchse, wie die Kreationisten in Amerika. Ich denke, traditioneller Glaube in Form von Religionsangehörigkeit wird sich mit der Zeit weiter dezimieren. Für viele moderne Menschen spielt das heutzutage schon von Kind an keine Rolle mehr, wie bei mir zum Beispiel. Wahrscheinlich werden letztlich nur Grundideen bestehen bleiben, weil der Zeitgeist die Religion überholt. Das ist aber reine Spekulation. Vielleicht setzt sich ja auch endgültig die Schöpfungslehre gegen die Evolutionstheorie durch und wir verdummen vollends. Vielleicht bis zur Degenerierung auf mittelalterliches Niveau“, verkündet Jannik schelmisch lachend.

Den aktuellen Labelvertrag mit Trollzorn konnten Vogelfrey eigentlich auf der CD-Releaseparty von Ragnaröek in Schwerin ergattern, so Jannik. Der Sänger resümiert hierzu:

„Im Februar dieses Jahres haben wir auf besagter Releaseparty von Ragnaröek gespielt, die ja auch bei Trollzorn unter Vertrag sind und mit denen wir schon seit ein paar Jahren befreundet sind. Da hat mich Kai von Trollzorn dann direkt nach dem Konzert, während ich noch meine Tröten zusammengeräumt habe, angesprochen. Das war recht lustig, weil ich weder das Label kannte, noch so richtig begriffen habe, was Kai mir da anbieten wollte. Wir sind beide schon etwas bierselig gewesen, was die Verständigung nicht unbedingt erleichtert hat. Ich hab ihm dann etwas verwirrt meine Email-Adresse gegeben. Ein paar Tage später, nachdem wir schon ein paar Mails hin und her geschickt hatten, wurde mir dann langsam klar, dass da Interesse an einer Zusammenarbeit besteht. Zuerst war der Plan, eine Demo-CD zu produzieren und die über Trollzorn unters Volk zu bringen, aber nachdem wir im Juni beim BlackTroll Festival aufgespielt hatten, waren die Jungs zu unser aller Freude so überzeugt von uns, dass wir uns gleich an die richtige Album-CD machten, die momentan wächst und gedeiht.“

Und wie mir Bassist Chris dazu berichtet, sind die Mitglieder der Gruppe bislang sehr zufrieden mit dem neuen Songmaterial. „Unsere Erwartungen wurden jetzt schon weit übertroffen! Danny, unser Studiotechniker leistet ganze Arbeit. Uns war zwar auch vorher klar, dass er sehr fähig ist, aber dass die Aufnahmen so fett und druckvoll klingen würden, hatte ich nicht erwartet. Als ich die ersten Rough-Mixes gehört hab, war ich schon schwer begeistert. Es macht auch einen Höllenspaß, sich einfach zu den Aufnahmen zu treffen und dann neben der eigentlichen Studioarbeit noch zu überlegen, wie man alles noch komplexer und interessanter gestalten kann. Hier mal einen Flanger auf die Becken, hier nochmals eine dezente zweite Geige. Das fordert unsere Kreativität und lässt uns die Lieder nochmals von einer ganz anderen Seite betrachten. Auf jeden Fall, erwarte ich nur das Beste von der Endproduktion!“

Ein bestimmter Satz, den Chris laut eigener Aussage immer wieder nach Konzerten hört, ist: „Also, bisher konnte ich mit dieser Art von Musik ja nicht so viel anfangen, aber euer Konzert hat mir echt gut gefallen!“ Er geht dazu noch in die Tiefe:

„Und das ist eines der schönsten Komplimente für mich. Wir scheinen irgendetwas an unserer Musik zu haben, das auch die Leute reizt, die sonst keinen Folk Metal, Mittelalter Rock oder mittelalterliche Marktmusik oder so etwas hören. Das sind dann aber auch oftmals die Leute, die sich beschweren wenn wir gutturalen Gesang einsetzen, á la "…aber dieses Geschrei ist ja nicht so schön." Das ist glaube ich auch der Punkt: Da sich in unseren Musikstil sehr viele verschiedene Elemente integrieren lassen, ist für fast jeden was dabei. Auf der einen Seite haben wir Lieder, die mehr im Folk- und Viking Metal anzusiedeln sind, wo sich die Hörer des härteren Genres erfreuen, auf der anderen Seite gibt's bei uns auch Folk Punk-lastige Stücke für Freunde des Pogo-Tanzes sowie Balladen für die Anhänger der eher gediegeneren, mystischeren Musik. Dazu natürlich auch schnelle Stimmungsmacher für Leute, die einfach saufen und feiern wollen. Daher machen wir uns auch immer sehr viel Gedanken beim Schreiben der Setlisten für Konzerte. Bei Metal-Festivals spielen wir dann zum Beispiel eher unser härteres Repertoire oder wenn wir in einem linkspolitischen Club spielen, spielen wir eher schnelle fröhliche Stücke. Dennoch geben wir uns größte Mühe, um die Abwechslung aufrecht zu erhalten und aufgrund der zumeist positiven Rückmeldungen, denke ich auch, dass wir das ganz gut schaffen. Allen kann man es nie recht machen, aber jeder der Eintritt bezahlt, hat auch das Recht unterhalten zu werden – und genau das bieten wir. Und so hatten wir bisher live eigentlich fast immer eine Bombenstimmung. Klar gibt es auch Leute, die weiter hinten stehen und sich die Show angucken oder auf unsere technischen Fertigkeiten achten, aber das ist ja auch in Ordnung. Wichtig ist nur, dass die Leute, die feiern wollen auch feiern können. Wenn jemand kein Freund von Moshpit oder Headbangen ist, dann stellt er sich halt nach hinten und genießt die Show auf seine Art und Weise, während vorne die grölende, Hörner schwenkende Meute wütet und sich richtig abreagiert. Da denken wir nach der Devise "Erlaubt ist was gefällt!" – und wir unterstützen unsere Fans in jeder Hinsicht, was das Feiern bei unseren Konzerten angeht.“

Aus dem Ausland bekommen Vogelfrey bislang noch keine Fanpost, so Chris. „Was auch nicht weiter verwunderlich ist, weil wir ja bisher nur zwei uralte Demos auf der MySpace-Page hatten und zu dem unsere Liedertexte in deutscher Sprache sind. Wir sind sowieso sehr gespannt, wie unsere Musik im nicht deutschsprachigen Raum ankommen wird. Aber dazu können wir wohl erst nach den ersten Auslandsauftritten beziehungsweise der Veröffentlichung des Albums mehr sagen.“

Apropos, Jannik erläutert im Folgenden, worum genau sich die Liedertexte bei Vogelfrey so drehen: „Im Grunde geht es um dieselben Themen wie man sie seit Jahrhunderten in allen lyrischen Werken entdeckt: Freiheit, Tod, Krieg, Liebe, Hoffnung, Kunst, Tod, Alkohol, Wahrheit und Lüge, Angst, Sex, Tod, usw. [schmunzelt] Was sie von den meisten anderen modernen Songtexten unterscheidet, ist natürlich ganz klar die altertümliche Sprache. Wir schreiben immer in Deutsch und wenn wir keine historischen Werke vertonen, was selten mal vorkommt, schreiben Chris und ich die Texte. Meistens versuchen wir uns vom Pathos und der Romantisierung fernzuhalten. Oftmals gelingt uns das allerdings nicht, denn im Vordergrund steht der Song und wie er am besten funktioniert. Wir schreiben keine historischen Berichte oder Zeitungsartikel. In der Regel ergibt das Ganze schon einen durchdachten Sinn, aber es zählt für mich vor allem die Ästhetik des Wortes. Neue Textideen bekomme ich oftmals durch historische Romane oder dergleichen. Da gibt es dann manchmal ein Wort, dass ich so ausdrucksstark finde, dass ich es zu einem Songtext machen möchte. Chris ist sehr an der nordischen Mythologie interessiert und bringt dadurch zusätzliche Aspekte ins Songwriting ein. Abgesehen von hohen künstlerischen Zielen, habe ich aber auch schon typische Liebestexte geschrieben, mit denen ich versucht habe, eine unglückliche Liebe zu vergessen. Vom Sinn her sind die, wie alle Liebeslieder, nur etwas komplizierter ausgedrückt“, entfährt es ihm mit sanft-selbstzynischem Lächeln.

Ein ganz wichtiger Punkt bei der Band ist also, so Jannik, eben die Sprache. Er holt dazu auch gerne weit aus:

„Ich mag es sehr gerne so altertümlich zu schreiben. Historisch ist das sicher nicht korrekt, aber darauf kommt es uns ja auch nicht an. Ansonsten ist es interessant sich in eine Zeit herein zu denken, in der völlig andere Maßstäbe galten. Der Mensch wusste einen Bruchteil von dem, was er heute weiß und durch Aberglauben entstanden die merkwürdigsten Geschichten. In fast jedem Bereich stolpert man über prädestinierte Inhalte für Songtexte. Zudem finde ich auch mittelalterliche Musik und die Rolle der Musiker zu solchen Zeiten interessant, die ja in unserem eigenen Stil auch ihren Platz hat, obgleich wir das Mittelalter ausdrücklich als Einfluss und nicht als festgelegte musikalische Richtung sehen. Das wäre einfach unzutreffend, wie unser Album bald zeigen wird. Zudem transportiere ich, in den meisten Fällen in Metaphern versteckt, durch die Vogelfrey-Texte in mittelalterlich-lyrischem Gewand meine Meinung über die Gesellschaft und insbesondere die moderne Musikkultur. Die Entwicklung der Musik heutzutage ist für mich ein sehr komplexes Thema. Das Künstlerische und Geniale gerät immer mehr in den Hintergrund und macht Platz für kurzlebige Fließbandmusik. Musik, die nicht stört. Auf dieser Sichtweise hat sich auch diese ganze Vogelfreyen-Sache als Bandimage gebildet, die sich größtenteils über unsere Texte und den allgemeinen Auftritt manifestiert. Wir als so genannte "Underground"-Band verbreiten quasi den wahren Geist der Musik, mehr oder weniger im Verborgenen, als Vogelfreye im Wald könnte man sagen. Unser Widersacher, die moderne Anspruchslosigkeit in der Musik verfolgt uns in Gestalt der Inquisition. Diese Grundmetapher bietet natürlich reichlich Raum sich originell auszudrücken. Sicherlich gäbe es Wege, unsere Meinung deutlicher und einfacher zu formulieren, aber da setzt dann der künstlerische Anspruch ein. Das Mittelalter als Thema gibt mir den nötigen indirekten Rahmen, um auf lyrischem Wege Texte mit oder ohne Bezug auf das Heute zu schreiben. Das gefällt mir. Es wird immer häufiger gesagt: "Ich höre eben, was gerade in den Charts läuft". So etwas muss verhindert werden! Zum Glück sind wir mit dieser Meinung eine von vielen Bands!“

Für Jannik als Mittelaltermetaller ist die selbst kreierte Musik immer eine völlig individuelle Sache: „So lange ich am Komponieren oder Texten bin, denke ich auch sehr bewusst über viele Aspekte unserer Musik nach. Wie mache ich aus den Einflüssen einen Vogelfrey-Song? Ist das denn spielbar? Wie arrangiere ich das am besten? Komplett nüchtern, im einen oder auch anderen Sinne gesagt, findet aber auch diese kreative Phase nicht statt. Auch hier fließen Emotionen und Impressionen ein, anders wird daraus bei mir auch kein guter Song. Sobald der Song dann im Proberaum zum Leben erwacht, verbessert wird, die Einzelarbeit im stillen Kämmerlein aufhört und zur Zusammenarbeit mit meinen Mitmusikern wird, dann beginnt man die wahre Gestalt des neuen Liedes deutlich zu sehen und da fängt sozusagen die echte Magie für mich an. Als Weltflucht würde ich unsere Musik nicht im Speziellen bezeichnen. Musik im Allgemeinen stellt für mich die Möglichkeit dar, allem zu entfliehen, wenn man das möchte oder sogar im Gegenteil dazu der Welt ohne Umschweife direkt ins Auge zu sehen. Wenn wir dann auf der Bühne stehen und eine Horde Haare schüttelnder Menschen davor abrockt, dann gibt es diese Momente, in denen ich mich als Sänger tatsächlich im Song verliere. Außerdem kann es auch passieren, dass ich tierisch abdrehe auf der Bühne – fast als würde ich in eine andere Rolle schlüpfen. Solange so etwas nicht zu wirklicher Schauspielerei wird, ist das aus Musikersicht echt was Feines. Das ist aber nicht immer so und auch nicht auf Vogelfrey beschränkt.“

Mich interessierte auch noch, wie hoch die Band sich ihre künstlerischen Ziele für das kommende Albumwerk überhaupt gesteckt hat. Chris geht dazu in die Vollen:

„Das Album wurde schon angefangen, bevor wir von Trollzorn unter Vertrag genommen wurden. Da stellt sich natürlich immer die Frage, wie viel Geld wir locker machen können und was wir dafür an Qualität erwarten können, denn es war von Anfang an unser Anspruch, eine Platte aufzunehmen, die keine schmierige Demo ist, sondern ein richtiges Studio-Album. Daher hängt die künstlerische Messlatte recht hoch. Mit viel üben, einer langen Vorbereitungsphase und einem äußerst fähigen Studiomischer lassen sich diese Ziele in die Tat umsetzen. Das wird schließlich unser Debüt, das muss den Leuten in die Ärsche treten!“

Anfangs waren die Ziele bei Vogelfrey wie wohl bei jeder jungen Band, wie Chris mich wissen lässt:

„Wir wollten klingen wie unsere Helden! In unserem Fall damals eben wie In Extremo. Zu Beginn hatten wir auch noch kein Cello mit an Bord, dafür aber einen Dudelsackspieler. Mit den ersten beiden Jahren Proberaumarbeit entwickelten sich dann andere musikalische Horizonte, die vom anfänglichen Kurs abwichen. Zum Glück. Als Ino, unser Dudelsacker dann für eine Ausbildung nach Leipzig ziehen musste, standen wir da und haben uns erst einmal nach neuen Dudelsackspielern umgesehen. Dennis kannte damals eine Cellistin, Johanna, die voll auf Folk Metal und Mittelalter Rock abfuhr. "Wie wäre es also den Dudelsack durch ein Cello zu ersetzen", fragten wir uns. "Wäre doch mal was Neues", sagten wir uns! So hat sich also unser Sound von dem Standard Mittelalter Rock hin zu dem entwickelt, was es heute ist: Rock und Metal mit einer Vielfalt verschiedenster Elemente, in die kräftig die Folkgrätsche rein getreten wird. Das lässt natürlich viel Raum für weitere Entwicklungen. Das war uns auch wichtig! Unabhängig vom Genre findet man immer wieder Bands, bei denen man einen Song hört, der richtig toll ist. Dann kauft man sich das Album und stellt enttäuscht fest, dass die anderen Songs zwar auch gut sind, aber alle gleich klingen. Das wollten wir auf keinen Fall – und ich glaube, das haben wir auch bisher ganz gut unterbunden. Selbst Musikstile wie Humppa beziehungsweise Polka, Power Metal oder Rockabilly sind in unseren Songs wieder zu erkennen und das ist auch gut so. So kann es zwar leicht passieren, dass hier und dort ein Lied dabei ist, das einem Zuhörer nicht so gut gefällt, aber es ist für jeden etwas dabei. Dahinter steckt nicht der Drang es allen recht zu machen, sondern vielmehr, die Konzerte und Alben abwechslungsreich zu gestalten.“

In erster Linie schreiben Chris und Jannik und die Lieder für Vogelfrey, wie mich der Tieftöner informiert: „Jeder hat natürlich so sein "Hauptinstrument", das ist bei Jannik die Gitarre und bei mir das Klavier. Ich setz mich dann an das Klavier und probiere erst einmal herum. Es wäre gelogen, zu sagen, dass ich mich gezielt ans Klavier setze um einen Song für Vogelfrey zu schreiben. Es ist viel mehr so, dass ich am Klavier sitze und ein wenig rumdaddele und irgendwann kommen dann eine nette Melodie oder ein paar interessante Harmoniefolgen zustande. Die werden dann am Klavier ausgefeilt und in ein Tabulatur-Programm namens "Guitar Pro", welches wir alle benutzen, eingetragen. Bei uns ist es so, dass derjenige, der den Song schreibt, auch die Noten für die anderen schreibt. Also hat man die Melodie und schreibt sie für die Geige, die Rauschpfeife, das Cello oder ein anderes, von uns verwendetes Melodieinstrument auf. Dann schreibe ich grob die Harmonien oder die Zweitstimme dazu, bis ein etwaiges Arrangementgerüst steht. Dann ist es eigentlich nur noch Feinarbeit. Die Melodien werden ausgefeilt, die Schlagzeugnoten werden geschrieben und so weiter. Dann am Ende überleg ich mir ein Thema, welches ich mit dem Song assoziiere und fange an, einen Text zu schreiben. Oftmals ist es aber auch so, dass ich eine altertümliche oder folkloristische Melodie höre, die mir gefällt und die einfach zu einem Vogelfrey-Song umarrangiere. Genauso wie ich altertümliche Gedichte nehme und diese vertone beziehungsweise für meine Lieder verwende.“

Jannik fügt dem hinzu: „Für ein paar Songs haben wir lyrische Werke von Heinrich Heine ("Belsazar" und "Die schlesischen Weber") sowie von Arthur Rimbaud ("Ball der Gehängten") mit einbezogen oder vertont. Die nordische Mythologie hat mittlerweile aber auch ihren Einfluss bei uns. In "Waffenbruder" schreibt Chris beispielsweise über zwei nordische Krieger, von denen einer im Kampf fällt und nach Asgard gelangt. Bei "In Acht und Bann" geht es um uns, die Vogelfreyen, als häretische Musiker. Zu dem Text hat mich die Gestalt eines Goliarden aus "Narrenturm" von Andrzej Sapkowski inspiriert.“

Wir sprachen nachfolgend noch ein wenig übers (künstlerische) Leben an sich – beziehungsweise darüber, ob man seine Sinne nun dem Künstlichen, dem Falschen oder dem Natürlichen beziehungsweise dem Ursprünglichen hingeben soll. Für Jannik steht dabei fest: „Ich selber fühle mich in Bezug auf meine Musik im Echten weitaus wohler und denke, das lässt sich auch auf die Band beziehen und ist auch ein Grund dafür, warum wir "echte" Musik machen, also in dem Sinne, dass sie handgemacht ist. Das Echte und das Falsche sind aber im Prinzip ja nur die beiden Enden einer Skala. Dazwischen gibt es ja auch Schattierungen. Kunst erfordert für mich ein gewisses Maß an Echtheit, das ist aber ein weites, variables Feld. Was der eine als echt tituliert, bezeichnet der nächste dann wieder als falsch. Es ist Geschmackssache. In meiner Sichtweise muss Musik authentisch sein, etwas vom Interpreten abbilden und sei es nur sein Sinn für Humor. Festgelegte Images, die je nach Marktnachfrage, wie Unterhosen gewechselt werden, tun das nicht und lassen die so genannten "Künstler" in meinen Augen zu Puppen werden, denen je nach Trend ein neues Kleidchen angezogen wird. Ich empfinde meine Musik als Ausdruck meiner künstlerischen Identität und somit als echt.“

Er selbst hört immer noch sehr gerne ältere Alben von In Extremo, Subway To Sally, Schandmaul und Co. Doch mit den neueren Scheiben aus dieser Richtung kann sich Jannik laut eigenem Bekunden größtenteils nicht so gut identifizieren, weil die für seinen Geschmack einiges an Originalität einbüßen mussten.

„Gerade textlich haben viele nun erfolgreichere Bands nachgelassen. Aus der ganzen Folklore-Metal-Ecke im weitesten Sinne höre ich auch gerne Ensiferum, Turisas, Korpiklaani, Equilibrium, Haggard und dergleichen, auch wenn das teilweise nicht allzu mittelalterlich ist. Sehr gerne mag ich auch Coppelius aus Berlin und das "Zaubererbruder"-Album von ASP.“

Seit der Bandgründung im Jahr 2004 erlebten Vogelfrey laut Aussage des Sängers so viele Formationswechsel, dass mittlerweile nur noch Schlagzeuger Dominik, Bassist Chris und er selbst als Sänger von den Gründungsmitgliedern übrig geblieben sind.

„Wir haben sogar mehr ehemalige Mitglieder als aktuell vorhandene. Da musste man natürlich mit vielen verschiedenen Musikern zusammenarbeiten und bei manchen hat sich dann herausgestellt, dass es mit der Kooperation nicht so gut funktioniert. Der eine war zu unzuverlässig, der nächste vielleicht voller Herz und Motivation dabei, aber an seinem Instrument hinterhinkend. Mit der momentanen Besetzung bin ich sowohl aus menschlicher als auch aus musikalischer Sicht definitiv so zufrieden wie noch nie. Die einzelnen Leute bringen sich mehr denn je ein, die Zusammenarbeit klappt besser und so langsam findet jeder seine Aufgaben und erfüllt sie auch meistens. Früher blieb das häufig an Einzelnen hängen, aber mittlerweile trägt die Band sich mehr gegenseitig und dadurch kommen wir natürlich viel besser voran. Wir wohnen alle im Großraum Hamburg und haben somit nicht allzu weite Distanzen zwischen uns. So ist für das regelmäßige Proben natürlich sehr von Vorteil. Wir proben in einem alten Luftschutzbunker.“

In der Mittelalter-Szene an sich ist man im Allgemeinen einem edlen Tropfen der Brau- oder Destillatskunst nicht gerade abgeneigt. Und auch Chris schaut hin und wieder tiefer ins Glas beziehungsweise Krug oder Horn.

„Mein letzter Vollrausch? Das müsste vor ungefähr einem Monat gewesen sein. Ich war mit einigen Leuten aus der Band und anderen Freunden in einer Mittelalter-Taverne hier in Hamburg und hatte schon ordentlich Pils getrunken, als dann ein guter Bekannter vorbei kam. Er hatte gerade eine Semesterarbeit oder so etwas Ähnliches bestanden und gab uns einige Kurze aus – und da war auch schon Schluss! Das war der so genannte "Ostsibirische-Telegrafenmast-Wurzelschnaps“. Das ist glaube ich eine Mischung aus Korn, Wodka, Tabasco und Ingwer. Es endete damit, dass ich erst einmal eine Viertelstunde lang Brocken gelacht habe und dann nach Hause getorkelt bin. Vom Morgen danach, oder eher Tag danach will ich hier gar nicht erst anfangen! Meine Lieblingsbiere wechseln ab und zu. Manchmal trinke ich gerne Hamburgisches Bier wie Holsten oder Astra, manchmal trinke ich am liebsten polnische und tschechische Biere. Im Moment sind meine Lieblingsmarken Jever und Flensburger. Marken sind aber auch nicht so wichtig, Hauptsache Pils. Nur kein Becks und kein Weizen! Pfui Spinne! Mein Lieblingssorte Met ist der "Hanfi der Wikinger"-Met, den es in der "Tandeley" in Hamburg zu kaufen gibt. Ich glaube "Hau weg!" heißt die Marke. Angeblich Met mit Hanfaroma, schmeckt aber nicht wirklich nach Hanf, ist nur einfach sehr milde und nicht so süß wie die meisten Metsorten.“

Für den Platz der letzten Frage behielt ich mir eine ganz Besondere auf. So erkundigte ich mich danach, welches das Lieblingstier von Chris ist und warum. „Das ist, wer hätte es gedacht, der Rabe! Ein wahnsinnig majestätisches und unglaublich intelligentes Tier. Im Hamburger Randbezirk Bergedorf, wo ich aufgewachsen bin, gab es viele Raben, Krähen, Elstern und andere Rabenvögel. Schon damals, als ich noch nicht viel mit dem düsteren Mittelalter, Hugin und Munin und nicht zuletzt "Vogelfrey", wo der Rabe als Wappentier fungiert, zu tun hatte, haben mich diese Vögel schon fasziniert. Wir hatten direkt vor unserem Wohnzimmerfenster eine riesige uralte Birke, worin die Raben immer saßen. Nicht selten habe ich gesehen, wie einer der Raben eine Nuss nahm, sie in der einen Klaue festhielt und mit dem Schnabel versuchte, sie aufzuhacken. Schaffte er das nicht, nahm er sich einen Stein und schlug damit auf sie ein. Und hat auch das nichts geholfen, hat er die Nuss einfach auf die Straße gelegt und gewartet bis ein Auto darüber gefahren ist. Das fand ich schon immer faszinierend. Ich denke, mich reizt auch einfach dieses Mystische und Majestätische, das von einem Raben ausgeht. Der Anblick eines Raben, der alleine auf einem Pfahl von einer Feldbegrenzung sitzt und kräht, das wirkt einfach unnahbar.“ Wunderbar. Ein sehr schönes und gleichsam lehrreiches Schluss-Statement, was mich unweigerlich zum baldmöglichsten Feld- und Waldspaziergang animiert.

© Markus Eck, 02.11.2009

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