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Interview: VOGELFREY
Titel: Mit allem Anspruch

Lange mussten die Anhänger dieser aufgeweckten Hamburger Mittelalter-Rocker auf das nun endlich vorliegende Vogelfrey-Debütalbum warten – doch nun endlich haben die sechs Beteiligten ihr „Wiegenfest“ zum ausgelassenen Abfeiern fertig- und bereitgestellt.

Dabei noch immer mit mordsstarker Schwermetallkomponente zwischen allerlei genretypisch-folkloristischem Klangkolorit unterwegs, zockt das 2004 ins Dasein gehobene Idealistensextett auch sein aktuelles Material mit Schmiss und Biss.

Dass derlei überraschend hohe Härtegrade natürlich auch haufenweise rohe und ergiebige Energien freisetzen, versteht sich von selbst. Und Vogelfrey wissen diesen erfreulichen Umstand auch noch mit ergötzlich unverblümten Lyriken zu forcieren.

Während nicht wenigen Metier-Repräsentanten mit den Jahren also sozusagen nicht selten die kreative Puste ausging, kreuzt dieser labend kecke Musikantentrupp künstlerisch eindeutig viel lieber in wilden und frischen Gewässern.

„Ich denke ich kann für jeden von uns sprechen, wenn ich sage, dass Musik den zentralen Einfluss auf unser Leben einnimmt. Jeder von uns hat auch vor Vogelfrey Musik gemacht und die meisten von uns befinden sich auch in einem musikalischen Studium. In der heutigen Zeit, in der die Musikwelt in meinen Augen in vielen Bereichen sehr abgestumpft und uninteressant geworden ist, sehe ich Vogelfrey als Möglichkeit, ein bisschen Farbe ins Grau zu bringen. Deshalb legen wir ja auch viel Wert auf Abwechslungsreichtum und Vielfalt in unserem Sound. Die Kombination aus Altertum und Moderne bietet ein großartiges Fundament für kreative Prozesse und wir wollen mit den verschiedenen Elementen aus beiden Welten die Dimensionen des Genres erweitern. Außerdem macht das ganze einfach einen Höllenspaß“, lässt Frontmann und Sänger Jannik eingangs frohgemut verlauten.

Da Vogelfrey bisher noch keine Scheibe veröffentlicht hatten, beschränkten sich die Reaktionen, die sie direkt mitbekommen haben, weitestgehend auf Konzerte. Man erfährt: „In der Regel sind wir dabei angenehmerweise sehr positiv aufgenommen worden. Das freut uns natürlich sehr und motiviert uns ungemein. Vor allem dieses Jahr bei unserer Tour mit Cumulo Nimbus und Ingrimm, waren wir angenehm überrascht, dass das Publikum, obwohl wir meistens den Opener gemacht haben, sogleich mitgezogen hat. Es ist auch immer wieder schön, mitzubekommen, dass wir auch von Leuten gerne gehört werden, die Metal oder Folkrocksachen sonst gar nicht mögen.“

Wie mir Jannik im Anschluss daran zu berichten weiß, konnten sich Vogelfrey dieses Jahr durch besagte Tour und diverse Festivals, auf denen auch Bands wie Tanzwut, Coppelius, Haggard und Schelmish dabei waren, ohnehin wirklich nicht beschweren, was das Thema Konzerte anging.

„Dennoch würden wir definitiv gerne noch viel mehr spielen. Wir konnten nun schon mal Blut lecken und etwas Tourluft schnuppern, aber wir haben bei weitem nicht genug. Wir sind die letzten Jahre zwar schon etwas herumgekommen, aber das reicht uns bei weitem nicht. Die Live-Angebote halten sich momentan noch in Grenzen, aber dann müssen wir uns halt selbst in Bewegung setzen. Von nichts kommt ja bekanntlich nichts. Ich denke, auf den Album-Release wird sich dies positiv auswirken. Eigentlich finde ich es nachträglich höchst rätselhaft, wie wir es so lange ohne CD geschafft haben“, weiß er unter einem scherzhaften Grinsen zu berichten.

Der Bandname ist sehr einprägsam. Fühlt sich ein Mensch wie Jannik selbst auch hin und wieder „vogelfrei“, betreffs dem ganzen Schwachsinn und Ekel, den moderne Massenmedien rücksichtslos über einem heutzutage auskippen? Die Antwort kommt rasch:

„Ja, dafür muss man ja nur einmal den Fernseher anmachen. [grinst] Ein Lehrer in meiner ehemaligen Schule meinte mal: `Fernsehen macht dumme Menschen dümmer und kluge Menschen klüger. Kann sein, aber manchmal kann man über den heutigen Schwachsinn noch nicht mal mehr lachen, da spürt man seine Gehirnzellen förmlich absterben. Die meiste über Massenmedien verbreitete Musik finde ich derartig langweilig und stumpf, dass ich mich echt frage, warum das so vielen Leuten gefällt. Naja, aber anstatt sich dauernd darüber zu beklagen, dass die Kunst zumindest scheinbar im Sterben liegt, sollte man sich lieber sein Instrument schnappen und wie viele andere Bands auch versuchen dazu beizutragen, dass es nicht nur Fließbandmusik gibt. Ich bin kein grundsätzlicher Kommerzgegner oder so etwas, aber es ist schade, wenn Künstler, die eigentlich im weitesten Sinne Kunst machen wollen, am Ende doch nur Dienstleistungen erbringen. Das sollte sich irgendwie die Waage halten.“

Apropos, beim Touren mit den Jungs und Mädels ist der Sänger bei der Musik von Cumulo Nimbus ziemlich auf den Geschmack gekommen. „Ich weiß gar nicht, warum die mir früher nie aufgefallen sind. Die Alben `Stunde der Wahrheit` und `Totensonntag` kann ich sehr empfehlen. Ansonsten immer mal wieder die alten Klassiker von In Extremo und den üblichen Verdächtigen. Coppelius hab ich noch viel gehört, geile Band! Leuten, die es auch gerne etwas knüppelig mögen, kann ich Ingrimm ans Herz legen.“

Es hat ja bekanntlich ganz schön lange gedauert, bis das Vogelfrey-Debütalbum fertig war. Wie Jannik dazu zu konkretisieren weiß, lag dieser Umstand auch beim musikalischen Anspruch der Band begründet. Er resümiert:

„Wir hatten von Anfang keine Lust ein halbgares Album auf den Markt zu werfen, nur damit es überhaupt was Hörbares gibt. So sind wir auch generell drauf. Mit dem ersten Konzert nach der Gründung 2004 haben wir zwei Jahre gewartet, weil wir halt auch wirklich einen guten ersten Gig und kein bemitleidenswertes Anfängerdebakel hinlegen wollten. Genauso wollten wir ein zünftiges Debüt. Dass wir erst nach guten sechs Jahren das erste Album heraus bringen, hat auch mit vielen Formationswechseln zu tun. Außerdem wollten wir erstmal unseren Stil finden. Gut Ding will eben Weile haben. In der Planungsphase der CD haben wir dann die Jungs von unserem Label Trollzorn kennen gelernt, das war natürlich super und für uns eine tolle Entwicklung. Letzten Endes haben wir aber doch immer wieder grobe Release-Planungen über Bord geworfen, weil wir möglichst alles realisieren wollten, was wir uns vorgenommen hatten. Das Scheibchen sollte gemütlich ausreifen. Wir sind sehr froh ein so geduldiges Label zu haben. Das war bestimmt nicht immer ganz einfach mit uns“, bekennt der Gesangskerl offenherzig.

Die Songs von Vogelfrey schreibt er in der Regel mit Bassist Chris, wie aus Jannik herauszubringen war:

„Chris komponiert meistens anfänglich auf dem Klavier. Ich komponiere viel auf der Gitarre, weil das mein eigentliches Instrument ist, auch wenn ich bei Vogelfrey nur ab und zu zur Klampfe greife. Alex, unser Geiger hat nun auch begonnen erste Songansätze zu schreiben, was sicherlich ein interessanter zusätzlicher Einfluss auf unseren Sound sein wird. Songs entstehen bei uns immer zunächst in Einzelarbeit zuhause, selten auch mal zu zweit. Wenn ein weitestgehend vollständiges Arrangement steht, bringen wir den Song in den Proberaum mit und verfeinern ihn dort mit der ganzen Band. Das bewegt sich dann aber meistens schon auf einer ziemlichen Detailebene, weil wir uns mittlerweile angefangen haben anzugewöhnen, die anderen Musiker während der Entstehung eines Songs auch schon mal zu fragen, ob diese oder jene Melodie für sie umsetzbar ist beziehungsweise ob das rhythmisch möglich ist. Gerade für unsere Cellistin Johanna und und unseren Geiger Alex gibt es oft nicht viel zu lachen, weil sie bei uns als eigentliche Musiker aus der Klassik sehr ungewöhnliches Zeug spielen müssen.“

So hatten die sechs Vogelfreyen ihre künstlerischen Ambitionen und Ziele für das neue Werk sehr hoch gesteckt. Jannik: „Wir wollten keine halbe Sache. Wenn man sich dann schon so viel Zeit mit dem Debüt lässt, dann muss das auch wirklich reinhauen. Mit Danny hatten wir genau den richtigen Mann in der Produktion, der denselben Perfektionismus besitzt. Man könnte sich ja sagen, dass von einer ersten CD ohnehin nicht viel erwartet wird und man auch mit weniger als 100 % ein vorzeigbares Ergebnis erzielen kann, aber diese Denkweise widerspricht ganz entschieden unseren Ansprüchen. Man hat ja auch eine Art väterliche Beziehung zu seinen Songs und der fürsorgliche Vater würde seinem geliebten Kind ja auch keine Lumpen anziehen.“

Mit dem aktuellen „Wiegenfest“ ist er selbst jedenfalls mehr als zufrieden: „Ich hatte anfangs noch keine richtige Vorstellung davon, wie wir uns wohl auf Platte anhören, wir kannten bis vor kurzem ja auch nur unseren Live-Sound, unsere Proben und Mitschnitte. Das Ergebnis hat mich echt umgehauen. Die harte Arbeit hat sich definitiv bezahlt gemacht und ich glaube, dass das Endresultat auf jeden Fall das verkörpert, was wir dem Publikum präsentieren wollen und sich hören lassen kann. Wir sind, wie man merkt, sehr stolz auf unser Erstgeborenes!“

Was nun seine eigene Faszination an der mittelalterlichen Historie mit all ihren Umständen, Mysterien und Legenden anbelangt, so kann man von dem Vokalisten erfahren: „Ich lese gerne historische Romane und hab auch früher im Schulunterricht viel Spaß an Geschichte und der deutschen Sprache gehabt. Gerade beim Songwriting inspiriert mich persönlich besonders neben dem Inhalt die altertümliche Sprache an sich. Der Aberglaube hat in früheren Zeiten für echt tolle Geschichten und leider auch für sehr tragische Ereignisse wie beispielsweise die Hexenverbrennungen gesorgt. Ich finde es neben den lyrischen Ausdrucksmöglichkeiten und der schönen Sprachform auch sehr schön, ein Stück Vergangenheit aufleben zu lassen. Manche Missstände lassen sich auch in heutigen Zeiten noch oft finden, was einer Gesellschaft schon mal den Spiegel vor's Gesicht hält. Trotzdem geht es hauptsächlich um Musik und Poesie oder Lyrik und den Spaß daran, wir machen keinen künstlerischen Geschichtsunterricht. Bei uns lässt die Hexe das ganze Dorf in Flammen aufgehen und überlebt als Einzige auf dem Scheiterhaufen. Ich schätze, das war damals eher der Ausnahmefall.“

Ein Teil ihrer Songs befasst sich auf metaphorischer Ebene mit der Situation der modernen Musik. Der Sänger tut hierzu kund:

„Die Vogelfreyen, womit wir bei weitem nicht nur uns meinen, musizieren fröhlich und voller Seele im Wald, bedroht durch die Häscher der Inquisition oder direkt gesprochen den grauen Einheitsbrei der modernen Musikindustrie. Ein Beispiel hierfür ist der Opener unseres Albums, der den Titel `In Acht und Bann` hat. Lieder über Liebe, Krieg, Tod und all die anderen großen Einflüsse auf den Menschen gibt es natürlich auch bei uns. Manchmal vertonen wir auch Gedichte, die uns faszinieren wie zum Beispiel Heines `Belsazar`. Den Anstoß geben oft historische Begebenheiten, über die einer von uns zufällig liest oder auch manchmal nur ein markantes Wort. Immer häufiger finden bei mir aber auch eigene Erfahrungen ihren Weg in meine Texte. Allerdings metaphorisch stark verzerrt. Tiefe Empfindungen gebe ich ungern unverschlüsselt preis.“

Wir gingen zur Bedeutung des Albumtitels „Wiegenfest” über. Sieht die Band ihr neues Werk gar als Wiege dessen, was von ihnen noch kommt? „Das ist eine gute Beschreibung. Als unser Erstling legt das Album quasi den Grundstein für alle kommenden Schritte. Wir freuen uns darauf, an hoffentlich immer größeren Aufgaben weiter zu wachsen. Außerdem stellt es für uns eine Art Geburt da, einen Punkt in der Geschichte unserer Band, an dem es richtig losgehen soll. Was könnte einen solchen Punkt besser markieren als das Debütalbum? Durch den Produktionsprozess des Albums haben wir eine Menge über uns als Musiker und unsere Musik gelernt. Wir wollen unseren Stil noch weiter ausprägen, dabei aber experimentierfreudig bleiben. Auf den neuen Erfahrungen werden wir sicherlich gut aufbauen können und ich bin sehr gespannt was dabei rauskommen wird. Natürlich wollen wir nächstes Jahr so viel spielen wie möglich. Mal sehen, was da so kommt.“

Mich interessierte noch, welches seit Kindesbeinen an sein liebstes Buch beziehungsweise sein liebster Comic ist. „Extrem genial fand und finde ich noch immer Michael Endes `Unendliche Geschichte`. Ein großartiges Buch, egal wie alt man ist.“ Und gibt es einen Kinofilm, der ihn nie wieder losgelassen hat? Klar: „`Dark Knight` hat gut gerockt, eine gelungene Batman-Interpretation. Ich war nie ein extremer Comicleser, vielleicht gefällt mir deshalb diese recht un-comic-hafte Inszenierung. Ansonsten natürlich `Herr der Ringe` und `Fluch der Karibik` mit grandioser Filmmusik.“

© Markus Eck, 31.10.2010

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