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Interview: WANDAR
Titel: Primär persönlich

Tapfer in mutiger Eigenregie auf die Beine gestellt, beglückte mich vor kurzem ihre sehr gehaltvolle EP „Vergessenes Wandern“ – denn der darauf blasende Schwarzmetall-Sturm, den Wandar so machtvoll tosen lassen, ist vollauf erlebenswert.

Zudem balanciert austarierte Anteile an Pagan- und Melodic Black Metal machen aus der rigiden Blitz- und Donnerscheibe einen regelrechten Kickstarter für ausladend epische Naturstimmungen.

Überhaupt, das hörbar hoch ambitionierte Quartett um den kehlenstarken Kreisch-Vokalist Skoll von Kallenheim ist von seiner Sache mehr als überzeugt, was das Hören der Scheibe zu einer äußerst tiefgründigen Angelegenheit macht.

Somit spricht für mich rein nichts dagegen, mit einigen Interview-Fragen in den geistigen Dunstkreis dieser spielkulturell anspruchsvollen Truppe zu treten.

Laut Aussage von Schlagzeuger Michael stammen die Beteiligten der Horde musikalisch gesehen alle aus ziemlich verschiedenen Richtungen. Auch aus solchen, die nicht viel mit Metal gemein haben.

„Darüber hinaus spielt bei einigen von uns auch in der Familie Musik eine große Rolle. Spirituell (wenn man es so bezeichnen mag) würde ich es mit einer unserer Textzeilen halten: „Wir halten die Erinnerung von hünenhaften Wäldern, stürzen das Vergessen von den Weiten der Felder“. Das heißt, dass unsere Musik tief geprägt ist von den Impressionen, die wir auf gemeinsamen Wanderungen in der Natur erhalten.“

Gitarrist Yves schließt sich an: „Wandar heißt für uns, Eindrücke, Gedanken und Gefühle in Musik zu kleiden, und oftmals stehen diese im Zusammenhang mit Naturempfinden. Was wir zu sagen haben, ist persönlich.“

Michael erzählt zu den Kompositionen auf „Vergessenes Wandern“:

„Nun, die Lieder sind insgesamt sehr verschieden und abwechslungsreich. Meiner Meinung nach kommt das daher, dass wir die Lieder oft gemeinsam im Gruppenraum schreiben. Es gibt bei uns nicht den klassischen Liedschreiber, der dann den anderen nur noch zeigt, was sie spielen müssen, sondern wir bringen alle unseren Teil mit ein. Das Lied „Vergessenes Wandern“ ist zum Beispiel in Norwegen in der Natur entstanden, was man hören kann, wie ich finde.“

Sänger Kallenheim bringt sich dazu gerne auch noch mit ein:

„Das Stück „Vergessenes Wandern“ spiegelt unsere Naturverbundenheit wider. Es führt zu den Pfaden, die die Menschen vor uns gingen und die in der technisierten Welt in Vergessenheit geraten sind. Je mehr wir uns vom heutigen Menschenideal und Trugbild entfremden, desto tiefer gelangen wir in den ewigen Kreislauf der großen Mutter.“

Yves hierzu noch: „Die Lieder auf „Vergessenes Wandern“ sind über mehrere Jahre hinweg entstanden. Als Musiker entwickelt man sich ständig weiter und würde manche Lieder oder Teile davon später anders schreiben. Das schlägt sich natürlich auch in der Auswahl nieder: Die Stücke auf der aktuellen CD sind letztlich die Quintessenz dessen, was wir für uns selbst als gute und emotionale Musik ansehen.“

Ich erkundige mich im Zuge dessen, wie es in dieser Richtung weitergeht bei der Band beziehungsweise in welche Richtung sich die Musik von Wandar voraussichtlich entwickeln wird; Yves erzählt diesbezüglich:

„Das neue Material ist sehr viel versprechend, und mit Saschko als jüngstem Mitglied der Wandar-Familie ist auch noch mal frischer Wind in den musikalischen Hain eingezogen. Wir sind selbst gespannt, wie wir unsere ganzen Ideen umsetzen werden.“

Kallenheim sieht die Texte der Wandar-Songs als sehr wichtigen Bestandteil in der Musik. „Der Text repräsentiert das innere Ich und die Seele einer Band. Ich bin kein Freund von schnell dahin geschriebenen Texten, wie sie bei 90 % der Metal-Bands existieren. In unserem Lied „Eldar“ geht es um die letzte Bastion des Menschen. Die Welt hat sich selbst verraten, die Ideale liegen brach und der Glauben des Einzelnen ist durch Dummheit ersetzt. „Eldar“ soll dieses alte Feuer wieder entzünden und die Macht des Ichs freisetzen, fernab von jeglicher Religion und sämtlichen Manifesten. Der freie Wille, die Entschleierung des Himmels.“

Der aktuelle Plattentitel „Vergessenes Wandern“ regte mich von Anfang an zum tiefen Nachdenken an; so möchte ich wissen, ob die Mitglieder dieser Horde selbst auch gerne wandern – und wenn, dann wo?

„Ja wir sind mehrmals im Jahr unterwegs in der Natur, aber nicht allein als Band, sondern meist mit guten Freunden, beispielsweise den Natur-Folkern von „Neun Welten“. Wir verbringen dann sowohl im Sommer als auch im Winter meist mehrere Tage im Wald. Unterwegs sind wir dann immer im Harz, dem Thüringer Wald, der Sächsischen Schweiz oder auch in Schweden und Norwegen“, so Drummer Michael.

Yves weiß seinen Bandkollegen zu ergänzen:

„Wir versuchen uns vom Alltag nicht soweit einspannen zu lassen, dass wir dafür keine Zeit mehr finden. Aber um ehrlich zu sein: Früher waren wir öfter, länger und spontaner unterwegs. Heute dauert es schon immer eine ganze Weile, bis wir nur einen Termin finden, an dem wir alle Zeit haben.“

Alle wollen zurück zur Natur, nur nicht zu Fuß – wie lebt eine Gruppe wie Wandar ihre Naturverbundenheit so aus? Yves tut kund:

„Auch das ist eher eine persönliche Angelegenheit. Naturverbundenheit heißt für mich Respekt gegenüber der Natur; wobei ich nicht weiß, was davon Ursache und was Folge ist. Oder zu wissen, dass es Zeiten gab, in denen keine Maschinen durch das Tal fuhren, auf das man hinabblickt.“

Michael hat als Kind im Sommer auch jedes Wochenende draußen verbracht, wie er zu berichten weiß:

„Das lag daran, dass meine Eltern ein großes Grundstück auf dem Land hatten.“

Da die Verschmutzung der Landschaften, insbesondere an Stadträndern, entgegen den beschönigenden Heuchel-Berichten der Massenmedien immer mehr zunimmt, interessiert mich die Einstellung von Wandar dazu. Michael legt los:

„Ich könnt mich da tierisch drüber aufregen. Aber manche Menschen sind halt im Geiste recht schlicht und werden respektvolles Verhalten gegenüber der Natur nie lernen. Man kann eben nur sehr begrenzt Einfluss darauf nehmen, indem man auf sich und das Verhalten seiner näheren Umwelt achtet.“

Yves geht auch darauf ein: „Du befindest dich als Musiker natürlich immer in einem gewissen Spannungsfeld: Du lehnst bestimmte technologische Entwicklungen ab und lässt gleichzeitig deine Musik maschinell vervielfältigen. Du singst von archaischen Wäldern und fährst mit dem Auto zu den Auftritten. Wahrscheinlich geht es um das richtige Maß. Wir sind keine Agitatoren des Naturschutzes, aber ich verstehe uns als Mahner.“

Michael ergänzt dazu noch: „Die Entfernung von der Natur ist einfach bedingt durch unsere Zivilisationsentwicklung. Ich würde das aber nicht durchweg als schlecht betrachten, denn in gewisser Weise ist die Beherrschung des Feuers auch eine Entfernung von der Natur. Wichtig ist nur der respektvolle Umgang. Nicht alle Eltern können ihren Kindern die Natur nahe bringen, daher sollten Dinge wie Heimatkunde, Urgeschichte und Exkursionen immer in die Schule gehören.“

Das lockt auch Kallenheim aus der Reserve, und der Vokalist bringt es mit energischem Stimmfall auf den Punkt:

„Schau` dir doch nur mal unseren „tollen neuen“ Bildungskanon an, die Schulsituation und das große Interesse an der neuen Abstumpfung.“

Laut anschließender Aussage von Gitarrist Yves zu diesem Kontext sind Entwicklung und Fortschritt nicht rein negativ.

„Die Frage ist aber, was dabei auf der Strecke bleibt. Der Bezug zur Natur ist meines Erachtens erst im 19. Jahrhundert gestört worden, durch die voranschreitende Industrialisierung. Mittlerweile sind selbst naturnahe Bereiche naturentfremdet. Ich denke da beispielsweise an die Techniken und Technologien, mit denen Landwirtschaft mittlerweile betrieben wird. In der Schule wird man natürlich auf das Leben in Gegenwart und Zukunft vorbereitet – da bleibt dann wenig Raum für das alltagsfremde Naturerleben. Gerade deshalb ist es wichtig, dem gegenzusteuern, und die Verantwortung dafür sehe ich weniger bei Institutionen, sondern vielmehr bei der Familie und privaten Initiativen.“

Yves selbst denkt aber noch weiter, darauf hoffend, dass es noch viele Gegenden auf der Welt gibt, in denen die Menschen der Natur noch nicht derart entfremdet sind wie in Europa oder Teilen Amerikas und Asiens:

„Die Entwicklung wird dort aber vermutlich in die gleiche Richtung gehen wie in den hochgradig industrialisierten Gebieten. Vielleicht können diese Länder aber von unseren Erfahrungen profitieren und einen ähnlichen Weg einschlagen wie beispielsweise das Königreich Bhutan, das der kopflosen Industrialisierung offensichtlich zugunsten einer behutsamen Entwicklung trotzt, bei der Kultur und Natur nicht überrollt werden.“

Wird Mutter Natur wohl irgendwann sowieso aus dem Bewusstsein des „modernen“ Menschen verschwunden sein? Laut Aussage von Michael möglicherweise ja:

„Aber nur bis zum nächsten Erdbeben oder einer Flutkatastrophe, denn dann fällt den Menschen auf, dass es irgendwie dumm ist, so nah am Fluss zu bauen. Na ja, aber wie immer wird es eben auch dann ein paar erkenntnisresistente Menschen geben.“

Yves hingegen kann sich das nicht vorstellen:

„Es wird immer Leute geben, die irgendwo zwischen einfacher Naturromantik und Umweltschutzaktivismus ihren Platz finden und ihren Teil dazu beitragen, dass es nicht soweit kommt“, platzt es aus ihm heraus.

Ob sie gerne bei Schnellimbissen ihre Futterluken flattern lassen, will ich dann auch noch von meinen Gesprächspartnern wissen. Yves bekennt dazu:

„An mir ist noch kein FastFood-Laden reich geworden, auch wenn ich diese Dinger nicht direkt meide. Selber kochen ist bei mir so eine Sache, weil ich nicht immer weiß, ob die von mir so meisterhaft zubereiteten Lebensmittel hinterher auch wirklich zum Essen geeignet sind“, scherzt der Saitenmann.

Und in nächster Zeit freut sich der gute Yves ganz besonders auf die erste gemeinsame Lieder-Probe der Gruppe im vergrößerten Probenraum, wie er offenbart. „Aber auch auf ein paar Tage Urlaub, eine große Party unter Freunden und auf die nächste musikalische Entdeckung, die mich vom Hocker haut. Na dann, Markus, vielen Dank für das Interview und dein Interesse an Wandar! Lass’ es dir gut gehen!“ Wohlwollende Wünsche, in der Tat, die ich ebenso gerne wie auch dankend registriere.

© Markus Eck, 12.07.2008

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