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Special: Mittelalter Rock
Titel: Harte Huldigungen an düstere Zeiten

Wer sich als Rocker und geschmacklich offener Metaller auch dem immensen Reiz von entsprechend zeitlosen Stilmitteln wie beispielsweise Marktsackpfeifen, Geigen, Blockflöten, Drehleiern, Tin-Whistles, Schalmeien und teils sogar Harfen nicht entziehen kann, der ist hierbei richtig.

Ebenso richtig erscheint einem die Erwägung, dass eine so dermaßen spezielle Stilart wie Mittelalter Rock wohl auch nur aus Deutschland kommen kann. Im Ausland jedenfalls verhält es sich seit jeher verdächtig ruhig, was solche beziehungsweise artverwandte Gruppen anbelangt. 



Und wenn heutzutage von der oberbegrifflichen Stilistik Mittelalter Rock gesprochen wird, so fallen im Zuge dessen größtenteils fünf illustre Bandnamen: In Extremo, Subway To Sally, Schandmaul, Letzte Instanz und Saltatio Mortis. Denn ‚geschafft‘ haben diese fünf Genre-Repräsentanten mit viel Mühe letztlich das, was über die Jahre nicht wenige Musikanten ebenfalls versuchten. Nämlich, zu großer Popularität zu gelangen, ohne sich hierfür in inhaltlich seichte oder gar artifizielle Ausschweifungen zu verzetteln. 



So richtig bekannt wurde das Metier vor circa einer Dekade, und ein Ende der Beliebtheit solcherlei Musik ist bislang noch nicht mal ansatzweise abzusehen. Eher ist das exakte Gegenteil der erfreuliche Fakt, was Jahr für Jahr neue Kapellen aus dem Nährboden des Genres sprießen lässt, welche hoffnungsvoll nach vorne schauen.

Doch wie begann das Ganze eigentlich? Blicken wir also nun einmal zurück.

Nachweislich der allererste Protagonist überhaupt, welcher in Deutschland ebenso ernst- und dauerhaft damit begann, Klassik- und Mittelalter-Ingredienzien mit schwermetallischen Beigaben zu vermischen, ist Asis Nasseri.

Letzterer gründete 1989 in München das Renaissance-Ensemble Haggard.

Anfänglich berechtigt noch als betont schöngeistig ausgerichtete und ästhetisch orientierte Progressive Death Metal-Version kategorisiert, wuchsen Haggard mit den Jahren sowohl in Sachen Besetzungsvielfalt als auch stilistischer Bandbreite. Vor allem das 1997er Debütalbum „And Thou Shalt Trust… The Seer“ versetzte damalig sehr viele HörerInnen in angenehme Aufruhr.

So trug Meister Nasseri mit seinen Musikanten massiv dazu bei, den historisch basierenden Stromgitarren-Gewalten den künftigen Weg zu ebnen. Gegenwärtig zählt das bajuwarische Metal-Symphonie-Orchester zu den weltweit erfolgreichsten und beliebtesten Acts in dieser Sparte.

Als die anhaltend erfolgreichen Berliner Spielleute und lebenslangen Idealisten Corvus Corax dann vor ungefähr 20 Jahren damit begannen, ihrer ureigenen Vision von möglichst authentisch vertonten Historienklängen zu frönen, steckte selbst die rein folkloristisch angelegte Mittelaltermusik hierzulande noch in den Kinderschuhen.

Dem Schaffen von Corvus Corax schlossen sich in diesem ewig reizvollen musikalischen Segment zwar über die Jahre diverse ähnlich vorgehende Gruppen an.

Doch sollten solcherlei Künstler außerhalb von einschlägigen Veranstaltungen wie beispielsweise Mittelaltermärkten etc. für einige Zeit noch ein Schattendasein führen. Der Grundstein war jedoch erst einmal gelegt.

Beinahe simultan dazu, also um 1998 herum, fingen in der Münchner Gegend ebenfalls einige Kerle, genauer gesagt sechs an der Zahl, emsig damit an, diesem Sound Entsprechung zu verleihen: Schandmaul.

Erste Auftritte trugen den Namen des Sechsers schon mal über die Grenzen ihrer Region hinaus.

Einige Zeit später, 1992, begannen im Raum Potsdam einige entflammte Enthusiasten ebenfalls damit, auf alten Instrumenten derlei überlieferte und auch selbst kreierte Tonleiter-Konstrukte zu spielen: Subway To Sally.

Anfänglich wurden ihre Stücke überwiegend in englischer Sprache besungen, wie es damals üblich und geboten war.

Doch mit nachfolgender Existenz der Band fanden auch entsprechende Vokalisierungen in Latein und Gälisch dazu, welche mittlerweile komplett in deutscher Sprache verfassten Texten weichen mussten.

So richtig ins Rollen kam der nicht selten sehr liebevoll bespielte alte Zeitgeist des düsteren Mittelalters aber erst, als 1995 die Siegerländer Band In Extremo erstmal breitenträchtig damit begann, verspielt tradierte mittelalterliche Notenkunst mit hartem Rocksound ins Kombinat zu bringen.

Zunächst bestand der kreative Korpus aus zwei Gruppen mit jeweiligem Projektcharakter: So agierte eine reine Mittelalter-Truppe neben einer fidelen Rock-Horde. Live aufgetreten wurde von beiden auf Mittelaltermärkten etc., was das Zeug hielt, und dies brachte auch mehr und mehr Erfolg - was letztlich zu einer Verschmelzung beider Bands führte.

In Extremo waren geboren, und damit der Siegeszug des Mittelalter Rock, der bis heute als typisch deutsche Spielart gehandelt wird.

Die Formation erfreut sich bis heute über den Status als erfolgreichste überhaupt im Metier.

Schließlich war dieses ergötzlich kernig-harte Mittelalter-Klangbild mitsamt seinen nicht selten ergeben romantisierten Inhalten nicht mehr wegzudenken aus dem musikalischen Zeitgeschehen.

Mehr noch: Mehr und mehr Fans schlossen sich dem verschworenen Zirkel aus Bands und Musikfanatikern an, welche allesamt ein riesengroßes Herz für mittelalterliche Gegebenheiten und Legenden in sich tragen.

Ein regelrechter Boom entstand, an dem auch die bis heute populäre und auf Festivals ebenso begehrte Formation Letzte Instanz aus Dresden teilhaben sollte. 1996 fanden die Urheber dort zunächst unter dem recht programmatisch erscheinenden Bandnamen Resistance zusammen, um fortan ebenfalls einen sehr individuellen Mix aus historisch orientiertem Folk-Rock und Klassik zu kreieren. Letzte Instanz zählen zwar auf stilistischer Ebene nicht zu den reinen Mittelalter-Härtekerlen, doch kommt man bei einer Abhandlung über das Genre nicht um die Gruppe herum.

Regelrecht nach allen Seiten zu explodieren begann das willkommene Areal des Mittelalter Rock dann um die Jahrtausendwende, als scheinbar plötzlich eine Band nach der anderen damit begann, solcherlei Alarm zu veranstalten - allen voran die beiden Truppen Saltatio Mortis und Morgenstern.

Und während die im Jahr 2000 ins Leben gerufenen Saltatio Mortis bis heute ebenso aktiv wie erfolgsverwöhnt sind, scheint der kreative Morgenstern besagter ostdeutscher Band leider nicht mehr so hoch wie zu ihren besten und produktivsten künstlerischen Zeiten.

Bis 2004 brachten Morgenstern es auf vier nach wie vor sehr empfehlenswerte Alben.

In diesem Zusammenhang sollten auch Adaro Erwähnung finden, welche sich 1997 gründeten und sehr melodischen und knackigen Mittelalter Rock spielten.

2006 lösten sich Adaro aber auf, nachdem gemeinsam und recht erfolgreich einige Alben veröffentlicht wurden. Doch Saltatio Mortis aus dem Raum Karlsruhe machen hingegen Jahr für Jahr mehr von sich reden. Anfänglich noch als reine Mittelalter-Spielleute recht puristisch am löblich beflissenen Werk, zeugten Langspiel-Veröffentlichungen wie beispielsweise „Tavernakel“ oder „Das zweite Gesicht“ von den frühen und zuweilen recht experimentellen - elektronischen - Ambitionen der Beteiligten. 



Mit der Zeit wurde Sound von Saltatio Mortis härter und härter, was sie neben den populären Größen In Extremo, Subway To Sally, Letzte Instanz und Schandmaul etablieren konnte. Aktuell haben diese Vollblut-Spielleute und Herzblut-Rocker um Sänger und Galionsfigur Alea der Bescheidene ohnehin wieder mal ein reines Mittelalter Rock-Album veröffentlicht, „Sturm aufs Paradies“ betitelt.

Eine interessante und auch hörenswerte Parallele dazu bilden die Berliner Mannen von Tanzwut.

Deren Frontmann und Vokalist Teufel, welcher 1999 aus der Besetzung von Corvus Corax mit seiner neuen Band ins Rampenlicht trat, verknüpfte zunächst jahrelang allerlei elektronisches und betont modern gehaltenes stilistisches Beiwerk mit altertümlichem Grundnoten, um nun aktuell in Form von „Weiße Nächte“ ein nagelneues reines Mittelalter Rock-Opus in Albumform und hartem Inhalt auf den Markt zu bringen. 



Apropos, wo der Name Corvus Corax fällt, dürfen Cultus Ferox natürlich nicht fehlen!

Die drei Mitglieder Brandanarius - früher bekannt als Brandan -, Strahli und Donar spielten nämlich zuvor bei Corvus Corax, um sich ab dem Jahr 2002 künstlerisch neu und frei unter dem Banner der ‚wilden Lebensart‘ zu betätigen.

Der so genannte ‚Dudelsack-Rock-Stil‘ ist das Pläsier von Cultus Ferox, welcher geneigten RezipientInnen zuweilen knackend hart überwiegend in stilistischer und optischer Piraten-Manier dargeboten wird.

In beinahe übereinstimmender Form zu Saltatio Mortis, was den stilistischen Werdegang anbelangt, formierte sich 1999 eine Irish Folk-Band in Bonn, welche unter dem Namen Schelmish zunächst rein traditionelle Musik zelebrierten. Später fanden vermehrt harte Elemente in ihrer Musik Einzug, was den Beteiligten bis heute anhaltenden Erfolg und Zuspruch beschert.

Im Jahr 2000 gründeten diverse Musiker aus dem oberbayerischen Landsberg am Lech die Band Cumulo Nimbus, nach einer speziellen Wolkenform benannt. Doch bis es mit ihren Kompositionen an die Öffentlichkeit ging, sollte es für die Landsberger noch dauern.

Anhaltende Beständigkeit und auffallend wenige Veröffentlichungen zeichnen Cumulo Nimbus aus, von denen man dementsprechend auch relativ wenig in den einschlägigen Medien liest.

Ebenso weitgehend unbekannt dürften bis heute die 1999 entstandenen Berliner Schwermetaller Volkstrott sein, welche Dudelsack und Violine in ihre teils sehr heftige Musik inkludierten. Zwei Alben sprangen dabei heraus, 2010 gingen die Beteiligten auseinander.

In den stilistischen Dunstkreis der letzten Absätze fallen auch die aus aus Hamburg-Bergedorf kommenden Mannen von Vogelfrey.

Die Mittelalter-Rocker mitsamt ihren ebenso dominanten wie prägnanten Metal-Einflüssen wurden im Winter 2003 aus dem kreativen Taufbecken gehoben und liefern bis heute immer wieder aufreibende Lieder auf ihren Werken ab.

Relativ neu im vermehrt beachteten Geschehen der letzten Jahre mischen die Franken Ignis Fatuu und die aus Nordrhein-Westfalen stammenden Rabenschrey mit.

Zwar bereits 2004 als Gruppe zusammengewürfelt, finden die bislang zwei Ignis Fatuu-Alben mitsamt oftmals hymnisch intonierten Kompositionen interessanter Weise erst die letzten drei Jahre Beachtung im Genre. Letzteres zeichnet sich allerdings neuerlich tendenziell vermehrt ab.

Rabenschrey hingegen, eigentlich seit bereits einer Dekade aktiv, offenbaren massive Einflüsse aus dem Bereich Neue Deutsche Härte.

Kommen wir nun noch zu den drei musikalisch härtesten Mittelalter-Repräsentanten aus deutschen Landen, welche ganz eindeutig Ragnaröek aus Norddeutschland sowie die Regensburger Ingrimm als auch die Frankfurter Kerle von Nachtgeschrei sind, und das auch in dieser Reihenfolge.

Alle drei Bands gründeten sich gegen Mitte der 1990er Jahre, und ihre Alben erfreuen sich auch nicht wenig Beliebtheit. Ragnaröek gar schleuderten kürzlich ganz aktuell mit ihrem frischen Album „Eiskalt“ den bislang härtesten Mittelalter Metal-Brocken ins Volk.

Erholen kann man sich von solcherlei frenetischen Attacken zum Glück auf betont humorvolle Weise mittels der fidelen Werke von Feuerschwanz: Heitere und schlüpfrig lyrisierte Mittelalter Rock-Comedy aus Erlangen, wobei weder Augen noch Hosen trocken bleiben.

Wo also in alten verblendeten Zeiten inquisitorisch gefoltert und sadistisch gequält wurde, da sorgen all die flott aufspielenden Nachfahren dafür, dass diese inhalts- und schmerzreiche Zeitspanne nicht in Vergessenheit gerät.

Wo früher also Scheiterhaufen lichterloh brannten, da lodern heute Fackeln am Bühnenrand und schießt Pyro-Technik in den Nachthimmel. Wo so genannte ‚Hexen‘ dabei vor Schmerzen geschrien haben, da grölt und johlt heute das Auditorium all den klangkräftigen Mittelalter Rock- und Metal-Schmieden zu.

© Markus Eck, 25.10.2011

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