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Interview: CREMATORY
Titel: Anhaltend hungrig

„Bleibt einfach ihr selbst, werdet nicht arrogant und vor allem: Seid ehrlich zu euren Fans!“ Das rät Crematory-Schlagwerker Markus Jüllich jungen Gruppen, um sich in Sachen Stil und Attitüde selbst zu finden, und vor allem, um dauerhaft dabei zu bleiben.

Und Jüllichs Wort als langjährig erfolgreicher Band-Profi im Metal-Bereich hat Gewicht. Sie selbst sind schließlich definitiv eine der ganz wenigen einheimischen Gothic Metal-Größen, die bis heute mit Beständigkeit, Eigenheit und Klasse in einem aufwarten können.

Nun erscheint das zwölfte Album der bereits 1991 aus dem wabernden Taufbecken gehievten Formation um Vokalist Felix Stass. Und für „Antiserum“ kehrten die weltberühmten Baden-Württemberger Düstermetaller sogar wieder zur massiven Verwendung von EBM-Keyboardsounds zurück, welche zuletzt auf dem 2004er Werk „Revolution“ zu hören waren.


„Wir wollten einen Albumtitel haben, der die gleiche Bedeutung in deutscher Sprache sowie in englischer Schreibweise hat, da wir ja auf unserem neuen ,Antiserum‘-Album deutsche und englische Texte verwenden. Die Idee zu dem Titel kam wie immer von unserem Sänger Felix, der auch die passenden Texte dazu bereits im Kopf hatte und diese Thematik niederschreiben wollte“, gibt Markus zu Protokoll.



Der auch geschäftlich höchst erfolgreiche Familienvater steht mitten im Leben und geht mit offenen Augen durchs Dasein.

Braucht die heutige Gesellschaft seiner Ansicht nach eigentlich sinnbildlich nicht auch ein solches „Antiserum“, um den allgemeinen Werteverfall und die Verdummung der Menschheit aufzuhalten?

„Generell gesehen: Unbedingt! Denn alles wird egoistischer und böser auf dieser Welt. Ein Antiserum gegen alles Böse ist also vonnöten, um sich selbst zu stärken und um sich gegen die schlechten Gegebenheiten von Außerhalb zu wehren.“

23 Jahre Crematory - wie fühlt man sich bei diesem bedeutungsvollen Gedanken?

„Das ist das geilste Gefühl der Welt, denn es gibt nicht viele Bands, die so lange durchhalten und immer noch so erfolgreich sind wie wir. Ich könnte diesbezüglich keine fünf deutschen Bands aufzählen. Wir sind natürlich sehr stolz darauf und auch sehr dankbar unseren Fans gegenüber, dass sie uns so lange treu geblieben sind und uns unterstützt haben.“

Fördergelder aus Etats von Kulturbüros etc. haben Crematory niemals erhalten, so der Drummer.

„Na, das wäre mal super gewesen! Keinen Cent haben wir von irgendwoher bekommen. Wir mussten uns alles selbst erarbeiten. Unterstützung in finanzieller Hinsicht hat es leider nie gegeben, so wie das in einigen anderen Ländern der Fall ist.“

Crematory waren damals die allererste deutsche Death Metal-Band, die mutig Keyboards verwendete. Empfand der Schlagzeuger es als ebenso mutig, für „Antiserum“ erneut in EBM-Bereiche vorzudringen?

„Ja, natürlich, denn Crematory war schon immer richtungsweisend und hat Maßstäbe gesetzt, was wir jetzt auch mit ,Antiserum‘ gemacht haben. ,EBM Metal‘ spielt noch keiner und wir haben damit angefangen. EBM heißt bei uns ,Electronic Blast Metal‘. Nur wer mutig ist, der wird auch belohnt. Und wir hoffen, dass uns die Fans mit zahlreichen CD-Käufen belohnen werden und in großer Anzahl zu unseren Konzerten kommen. Denn wir würden gerne mit vielen Fans auf unseren Konzerten gemeinsam feiern!“

Die erfahrene Band empfand es beileibe nicht als „Routine“, so Markus, für die neue Scheibe erneut gewünscht hohen Wiedererkennungswert der Songs durch die bewährte charakteristische Spielweise zu erreichen.

„Diesmal war alles etwas anders und schwieriger. Denn Elmar Schmidt, Mastermind der Band Centhron, hat uns die Basis-EBM-Keyboardsounds und Samples sowie die Drumloops geliefert, die dann von Katrin arrangiert, ausgebaut und mit Melodien verziert worden sind. Danach kam ich an die Reihe. Und ich musste herausfinden, wo genau ich real Drums spielte, wo ich die Drumloops so stehen ließ und an welchen Stellen der Lieder ich beides kombiniert verwendete, was eine geile neue Herausforderung darstellte. Als ich damit fertig war, kamen dann Matze und Harald mit Gitarre und Bass. Danach waren dann Felix und Matze mit Vocals dran. Und dann hatten wir es geschafft. Unser Meisterwerk war vollendet und wir sind mit dem Gesamtergebnis hochgradig zu frieden.“

Die allerwenigsten Bands aus dem einheimischen Metal-Bereich haben sich künstlerisch über eine so lange Zeit tatsächlich so permanent weiterentwickelt wie Crematory. Höchstens die Schwaben von Atrocity taugen da zum Vergleich.

Nach einem eventuellen Geheimrezept für eine solche Beständigkeit und anhaltende musikalische Frische befragt, erhellt sich die Miene des Trommlers.

„Das wird natürlich nicht verraten! Aber ich kann soviel dazu sagen, dass wir mittlerweile so professionell wie nie zuvor sind und aus dem Topf der Erfahrung zum musikalischen Verständnis schöpfen. Wir sind dazu immer aktuell auf dem Laufenden und musikalisch offen in alle Richtungen.“

So sitzen die Crematory-Mitglieder laut Aussage von Markus noch immer regelmäßig zusammen und fragen sich dabei, wie man weiter nach vorne experimentieren kann.

„Aber natürlich! Denn wir wollen die Band immer weiterentwickeln und nach vorne bringen. Denn Crematory ist sinnbildlich gesehen unser Baby, welches stetig wächst und größer wird.“

Der Mann ist im zivilen Leben außergewöhnlich erfolgreicher Versicherungsmakler.

Sicherlich wird es immer schwieriger für diesen ausgesprochenen Macher, um letztlich Beruf, Familie und Crematory unter einen Hut zu bringen.

Viele werden sich fragen: Wie managt Markus das alles immer wieder so flüssig?

Der bleibt überraschend lässig unter der schwarzen Sonnenbrille:

„Das frage ich mich auch manchmal. Aber bis jetzt habe ich es immer hinbekommen, denn das nennt man Zeitmanagement. Unser Leben ist viel zu kurz und somit ist die Zeit mein kostbarstes Gut, was genau abgestimmt werden muss, um alles zusammen bestmöglich am Laufen zu bekommen. Deshalb setze ich mich zu Beginn eines jeden Jahres hin und mache die komplette Planung für die nächsten zwölf Monate.“

Das letzte Mal, dass elektronische Komponenten bei Crematory so sehr in den Vordergrund traten, war auf dem Comeback-Werk „Revolution“ im Jahr 2004. 



Was haben die Beteiligten diesmal anders gemacht dabei als damals beziehungsweise welchen Rang nimmt das Ganze nun im Metal ein bei Crematory?


„Wir haben die Weiterentwicklung unseres ,Revolution‘-Albums vorgenommen, nur das wir diesmal keine Dance-Trance-Sounds und Samples verwendet haben, sondern voll auf die düsteren und fetteren EBM Sounds gesetzt haben. Somit wurden die Songs fetter, frischer und moderner, wobei der Metal nicht ins Hintertreffen geraten ist. Denn wo Crematory draufsteht ist auch Crematory drin. Und daher wird kein Fan enttäuscht werden von dem, was es auf ,Antiserum‘ zu hören gibt. Wer Songs wie ,Tick Tack‘, ,Höllenbrand‘ und ,Shadowmaker‘ gut fand, der wird ,Antiserum‘ lieben.“

Mein Gesprächspartner tituliert die neue Marschrichtung seiner Formation auf „Antiserum“ als ,EBM Metal‘.

Ist die überwiegend verkopfte und massiv Trend-gesteuerte Metal-Welt seiner Ansicht nach denn überhaupt entsprechend reif dafür?


„Ich glaube schon, denn es muss auch mal wieder was wirklich Frisches und wirklich Neues beigesteuert werden. Und im Jahr 2014 sollte doch jeder auch noch so engstirnige Metaller gemerkt haben, dass die ,80er True Metal Zeiten‘ vorbei sind. Und dass man heutzutage ohne Technik und Elektronik nicht weiter nach vorne kommt, was eben auch genau so bei der Musik ist. Ich denke wir haben eine neue musikalische Richtung ins Leben gerufen, welche die nächsten Jahre noch so einigen Staub aufwirbeln wird.“

Und wie wichtig ist dem Drummer ein satter und markant-schubvoller Groove bei seiner Truppe? „Natürlich ganz wichtig! Denn meine Drums müssen knallen, ob real gespielt oder technisch geloopt. Drums müssen immer einen fetten Sound haben und direkt in die Fresse gehen.“

„Shadowmaker“ wurde im letzten Jahr vorab als Single ausgekoppelt. Markus glaubt an das Stück.

„Ich bin der Überzeugung, dass dieser Song der fette Nachfolgehit von ,Tears Of Time‘ werden kann. Denn wir sind damit seit so einigen Wochen in den Top 10 Clubcharts vertreten, haben in zwei Monaten über 40.000 Klicks bei Youtube für unsere dazugehöriges Video bekommen und das Feedback der Fans ist echt sensationell. Schließlich spielen den Song bereits seit letztem Sommer, als wir diesen bereits im Vorfeld in unsere Setlist aufgenommen hatten.“

Und eigentlich lief für „Shadowmaker“ zunächst noch alles wie immer, offenbart der Kesselwart.

„,Shadowmaker‘ haben wir, wie sämtliche anderen Lieder auch, alle zusammen geschrieben. Nur gab es diesen einen magischen Moment, als Felix den first take im Studio einsang und ich den Song das erste Mal mit Gesang hörte. Da war für mich sofort klar, dass wir mit diesem Stück den absoluten Crematory-Überhit geschrieben hatten! Groß ausfeilen mussten wir das Lied gar nicht. Denn der Song funktionierte auf Anhieb sensationell und dann ist weniger ja oft mehr.“

Das neue Album zeigt die Band auf gewisse Weise ohnehin experimenteller und facettenreicher denn je, allerdings auch gleichzeitig reifer und gefestigter beziehungsweise selbstsicherer.

Das nickt der Fellverdrescher gerne ab.


„Ja genau, das sehe ich auch so. Und vor allem haben wir mal wieder gezeigt, dass wir keine alten Säcke sind. Sondern dass wir allesamt noch immer noch in der Lage sind, musikalisch richtig fett was zu reißen.“

Was ist auf „Antiserum“ eigentlich noch wirklich typisch Crematory, Markus?


„Alles ist eigentlich nur moderner und aktueller. Denn wie erwähnt: Wo Crematory draufsteht ist auch Crematory drin. Und jeder, der sich die neue CD anhört, wird direkt erkennen, das es sich hier um Crematory handelt. Ich bin mir sicher, dass niemand erschreckt sein wird. Aber vielleicht überrascht davon, dass solche alten Säcke wie wir immer noch so moderne Musik machen können.“

Das weitere Gespräch dreht sich schließlich noch darum, wie die raffiniert elektronisierten Nummern von „Antiserum“ wohl letztlich auf der Bühne umgesetzt werden.

Ausschließlich Samples? Oder auch auf dem Keyboard mit Synths?


Sympathisch: „Bei uns wird wie immer alles live von Katrin gespielt und abgerufen. Bei uns laufen keine Playbacks im Hintergrund. Denn wir wollen den Livestyle beibehalten und nicht nach Konserve klingen. Und deshalb gibt es auch das eine oder andere Mal einen kleinen Hänger oder Hacker. Aber das ist halt so wenn man wirklich live spielt.“

Abschließend danach befragt, ob der derzeit schon fleißig übt, um bei kommenden Konzerten zum neuen Album so richtig fit am Start zu sein, erhebt sich der Stockschwinger regelrecht.


„Das kannst Du aber glauben! Denn die neuen Songs sind in Verbindung mit den Drumloops eine besondere Herausforderung für mich. Und zudem muss ich ja auch an meiner Kondition arbeiten. Denn in meinem Alter fast zwei Stunden Live-Programm zu trommeln ist so, als wenn man zwei Stunden Dauersex hat, ohne Schmusen zwischendrin, und immer Vollgas geben muss.“

© Markus Eck, 05.02.2014

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