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Interview: EISBRECHER
Titel: Harte Erhabenheit

Was lange (be)währt, wird endlich so richtig gut, könnte man hierbei zweifellos konstatieren: Denn Sänger, Fernsehmoderator und Sympathieträger Alexander „Alexx“ Wesselsky sowie seine löblich standhaften Electro Rock-Matrosen konnten einen viel versprechenden Major-Deal mit dem Industriegiganten Sony Music an Bord der Mannschaft holen.

Und letztere Vertrags-Fracht kann zweifellos verdienter Maßen von den Beteiligten im identitätsreichen Laderaum verstaut werden - war doch die Zeit nach überaus arbeitsreichen und mühevollen künstlerischen Jahren wohl niemals zuvor reifer für den ganz großen Eisbrecher-Vorwärtskurs!

Apropos, stilistisch liniensicher und authentisch gelungen sind auch die 13 kühlneuen Kompositionen geworden, deren Veröffentlichung auf dem kommenden Studioalbum „Die Hölle muss warten“ für den dritten Februar 2012 geplant ist. Aus genau diesem willkommenen Anlass heraus luden Band und Label einige Musikjournalisten für Samstag den fünften November direkt ins Herz des geschichtsträchtigen Skisport-Paradieses Garmisch Partenkirchen.

In einem extra hierfür hergerichteten Konferenzraum des dortigen großen Dorint Hotels fanden sich zwei Mitarbeiter des Musikverlages und die angereisten Schreiber zusammen, um besagten neuesten Kompositionen von Alexx und seinem langjährigen kreativen Kompagnon Jochen „Noel Pix“ Seibert zu lauschen.

Unsere beiden NDH-Helden zogen es allerdings laut nachfolgend gemachter Aussage bewusst vor, während dieser Hörprobe draußen vor dem Raum zu verweilen.

Gegen 13:00 Uhr beginnt die Listening Session, und der optimal gewählte Opener „Tanz mit mir“ erschallt mit glasklarer Klangtransparenz. Martialische und kantige Anmut, scharf treibende Rhythmik und schlüssiges Songwriting zeichnen diesen erfreulich von eingängiger Melodie betonten Song aus, sowie eine auffallend fette Produktion. Ein heftiger Stampfer, dessen Beats schier die Schuhe ausziehen, und dessen auflockernde Parts für interessante Kontraste sorgen.

Den Anschluss macht der nicht minder mächtige Track „Augen unter Null“, welcher sphärisch beginnt, und einen dann rasch niederdrückt mittels rabiat böllernden Takten. Ein schwärmerisch sehnsüchtiger und rüde rockender Refrain zeichnet die Nummer aus, von Alexx perfekt maskulin besungen.

„Die Hölle muss warten“ sorgt im Weiteren bestimmt für einige Furore in zugeneigten Hirnen, denn das bisher am meisten einnehmende Highlight des Albums war in Form dieses Titelsongs zu hören! Anfänglich fein orchestriert, schlägt diese clever strukturierte und massentaugliche Komposition dann unvermittelt mit allem Biss um in einen typischen und betont emotional ausgerichteten Eisbrecher-Song.

Regelrecht „Verrückt“ macht selbiger Song einen echten Eisbrecher-Anhänger, denn nach einem wuchtig-schmissigen Beginn überrollt einen hierbei eine tolle Symbiose aus Niveau und Erdigkeit. Alexx phrasiert seinen Gesang dabei ebenso voluminös wie bissig, aus der Reserve lockende Lyrik tut ein Übriges. Der Mittelteil erinnert auf wohltuende Weise an Rammstein zu ihren besten Zeiten.

Ein „Herz aus Eis“ wird den Anwesenden danach zuteil, welchen sich im Zuge dessen ein Kinderlied-artiger Beginn eröffnet, gefolgt von schwerstem Electro- und Industrial-Geschütz; hypnotische Passagen inklusive. Der Abrissbirnen-Charakter des Tracks knallt voll durch. Schon wieder ein kompositorischer Volltreffer, dazu triumphal vokalisiert!

„Prototyp“ scheint zunächst recht leichtfüßig instrumentiert, doch das damit ausgelöste Erdbeben an tonnenschweren Electro Rock-Taktfolgen erschüttert den Hörapparat. Zackige Riff-Kanonaden erdonnern, mitsamt listig eingeflochtenen Electronics. Einmal mehr steht fest: Hier präsentiert sich eine verdammt gut, wenn nicht perfekt aufeinander eingespielte Band vor dem Hintergrund absolut homogenen Songwritings.

Dann ist es Zeit für „Ein Leben lang unsterblich“: Große Gefühle in hartem Klanggewand.

„Ein Leben lang unsterblich“ ist ein vom Fleck weg erhebender, wenn auch teils auffallend bedrohlicher Song mit grimmiger Attitüde. Betont hymnisch gehalten, bietet dieser famose siebte Track Alexx sehr viel Raum für wunderbar klare Stimmband-Leistungen. Und das bestechende Lied führt einen auch sogleich schon in den „Abgrund“: Der Song ist auch gut geeignet, um den nächsten staubigen Road-Movie als Soundtrack zu komplettieren. Eine enorm lässig umgesetzte Komposition, mit unermesslich viel Wumms, scheinbar gemacht, um damit mühelos durch die nächstbeste dicke Stahlbeton-Mauer zu marschieren.

Denn so gelangt man zu „In meinem Raum“, dessen unglaublich griffiger Refrain fesselt. Ein unaufhaltsamer Slo-Mo-Rocker mit Berührungs-Garantie, was nicht zuletzt am aufwühlend psychotischen Text liegt. „Keine Liebe“, jedoch alles andere als lieblos konstruiert, mausert sich binnen sehr kurzer Zeit zu einem weiteren Top-Track, welcher die Hörermassen mittels raffiniertem Innenleben mühelos bewegen wird. Ein durch seinen brillanten Spitzen-Refrain sehr erfolgreicher Verführer.

Im „Exzess Express“ hält man sich ebenfalls gerne auf als Rammstein-Fan, denn unter der liedhaften Fahrt desselben zitieren Alexx & Co. auf markante Weise, auch lyrisch betont lasziv, erneut Till Lindemanns Truppe. Schnell gehauen, barsch gerifft - die Nummer ist ein herrlich schmutziger Duselei-Zerstörer hoch zehn, mit einem catchy Refrain und mit Rhythmen wie Donnerschläge.

Höchste Zeit scheint es also für „Rette Mich“, dessen touchierend balladesker Beginn recht melancholisch einhergeht, und wo Alexx seine Stimme erneut wie ein tragendes Instrument einzusetzen versteht. Auffallend besinnlich gebaut, von eher zurückhaltender Natur ist dieses Lied, und jederzeit bestens nachvollziehbar.

So türmt sich wiederholt Gewaltiges auf. Zum Schluss so weit oben angelangt, ist schließlich „Der Atem“ der Band in Form einer finalen Ballade zu spüren: Anfänglichen Friedhofs-Tonfolgen hängt pure musikalische Melancholie nach, was in einen verzweifelten Abgesang auf ein großes Glück mündet. Dermaßen schonungslose Offenlegung von bittersüßer Trauer wurde in diesem Genre wohl allzu selten inszeniert.

Dann betreten Alexx und Noel Pix in betont entspannter Schrittfolge und mit spitzbübisch grinsenden Gesichtern den großen Raum, um sich neugierig den Fragen und Kommentaren der Angereisten zu stellen.

Und nachdem der neue Eisbrecher-Langspieler angeregt diskutiert wurde, begibt sich der ganze Tross zum Hotelausgang, um mittels mehrerer Autobusse zum Startpunkt der Garmisch Partenkirchener Zugspitz-Zahnradbahn gefahren zu werden.

Denn auf dem Gipfel der Zugspitze, des mit knapp 2.600 Metern höchsten Bergs in deutschen Landen, wollen Eisbrecher in der obigen Panorama Lounge ab 18:30 das einzigartige Abschlusskonzert zum Album „Eiszeit“ geben.

Ehrensache, dass Alexx und sein Lead-Gitarrist Pix, die sich für die Bahnfahrt brav nebeneinander gesetzt hatten, mir ein Interview zu den Gegebenheiten rund um ihr kommendes Albumwerk sowie zum anstehenden Konzert geben wollten. „Die Erwartungen sind sehr gespannt“, so der Saitenmann, „und meine Knie sind irgendwie ganz schön wackelig. Denn ich war gestern schon mal da oben, und es ist schon verdammt hoch und auf eine gewisse Weise fühlt es sich für mich auf dem Gipfel der Zugspitze auch luftleer an.“

Blitzschnell schaltet sich Spaßvogel Alexx ein, er spricht zum Gitarristen: „Hoch und luftleer, das hast du schön gesagt, du sprichst ja wie über das, was ich da oben habe.“ [lacht] Dann wird der Sänger jedoch ebenso rasch wieder ernst. „Wir haben ja nun zuvor innerhalb einer ganzen Dekade vier Alben auf dem Indie-Sektor hinter uns gebracht, und für Eisbrecher beginnt nun in gewisser Weise eine neue Zeitrechnung, eine Zäsur sozusagen. Was nun das Songwriting für ,Die Hölle muss warten‘ angeht, so ist dies absolut wie immer bei uns sehr individuell geschehen. Wir bemühen uns ja immer darum, eine neue Platte so gut und so eigenständig werden zu lassen, wie es nur möglich ist. Doch wir hatten diesmal durch die erfreulichen neuen Begleitumstände ein merklich größeres Budget zur Umsetzung der Lieder zur Verfügung, was uns viel entspannteres und tiefer gehendes Arbeiten daran ermöglichte.“

Dazu kann sein Sitznachbar nur anhaltend zustimmend nicken. Und wie der populäre kahlköpfige Vokalist dazu in von ihm gewohnter schlitzohriger Coolness fortfährt, will er die neuen Eisbrecher-Songs selbst ohnehin nicht bewerten.

„Mir fehlt schlicht der nötige Abstand dazu. Es ist ja alles noch relativ frisch. Ich lasse das daher viel lieber die Fans entscheiden, bin aber wirklich sehr guter Dinge zu ,Die Hölle muss warten‘.“

Somit gehen dem sich ergötzlich quirlig gebenden Geist die eigentlichen musikalischen Stärken von „Die Hölle muss warten“ schon um einiges leichter von der umfassend geübten Zunge. Alexx lässt die Leser diesbezüglich wissen:

„Was ich hinsichtlich unserer neuen Veröffentlichung persönlich sehr schön finde und was ich auch als relativ konsequent und mutig empfinde, ist die Tatsache, dass wir vor Beginn des Songwritings eben nicht groß darüber nachgedacht haben, in welche Richtung das neue Eisbrecher-Material gehen wird. Wir haben nämlich zu Beginn einfach unbefangen losgelegt, mit Freude weitergemacht und das Ganze schließlich zur heutigen Form hin vollendet. Sehr vieles geschah dabei also ganz und gar intuitiv. Sicherlich, und dessen sind wir uns ja auch vollauf bewusst, wird sich schon der eine oder andere bisherige Eisbrecher-Fan erst an die neue Ausrichtung der Stücke gewöhnen müssen. Aber das nehmen wir gerne in Kauf. Für mich und Pix war es neben dem bisher Genannten nämlich auch von riesiger Wichtigkeit, und voll und ganz auf unsere eigenen neuen Songs einzulassen. Mehr noch, wir zwei wollten und wollen auch künftig mit der Band den Mut und die Stimme dafür aufbringen, den uns einst aufgedrückten NDH-Stempel von uns herunter zu bekommen; also das Neue Deutsche Härte-Signum nun endlich mal nachhaltig abzustreifen. Denn von diesem obligatorischen ,Eins, zwei, drei, vier-und-dann-Lalalala‘-Ding beziehungsweise von zweisilbig aufgebauten ,Uka-uka‘-Refrains, welche von Sprechgesängen gefolgt werden, haben wir uns mit Eisbrecher mittlerweile ja ziemlich verabschiedet. Das ist salopp gesagt einfach so passiert, auch hierzu liegen keine vorangegangen nächtelangen Erwägungen zugrunde.“

Auf dem Gipfel: Wenn der im wahrsten Sinne des Wortes große Wortmeister mit dem spitzen Eispickel in der Hand zum Gipfelsturm ruft, dann kommen sie nur zu gerne zu ihrem Alexx, die Fans.

Und so geschah es, und zwar am Abend eben jenes fünften Novembers, als eine wirklich großartige Idee in den bayerischen Alpen ihre wunderbare alpine Electro Rock-Entsprechung finden sollte.

Denn kein Geringerer als Deutschlands allerhöchster Berg, nämlich die Zugspitze, sollte der reizvolle Veranstaltungsort für einen absolut einzigartigen Eisbrecher-Gig sein!

Und tatsächlich, direkt auf dem vom scharfen Eiswind umtosten Gipfel der weltberühmten malerischen Zugspitze, genauer gesagt in der dortigen exklusiven Panorama Lounge mit atemberaubendem 180° Bergpanorama, wurde für Alexx, Pix und Co. eine leistungsstarke Beschallungsanlage aufgebaut. Jeder der Ticket-Käufer erhielt nach der aufregenden Anreise mit der Zugspitz-Bergbahn und der Weiterführung mittels einer großen Gondel der hiesigen Seilbahn zum obersten Bergpunkt erstmal einen Begrüßungsdrink.

Alexx, Band und sonstige Crew waren ebenfalls auf diesem Wege gleich mit hochgekommen, daher sah sich der immens beliebte eloquente Sänger beim Meet & Greet-Event rasch mächtig von den Fans umringt. So viele breit grinsende Gesichter hat man wohl bislang dort oben allzu selten gesehen. 2.962 Meter über dem Meeresspiegel rockten Eisbrecher dann ab 18:30 aber mordsmächtig ab.

Bergsteiger-Legende Reinhold Messner wurde zwar nicht im Publikum gesehen, aber dennoch kroch der Geist der großen Höhe allen Anwesenden deutlich ins Bewusstsein. Was als offizielles Abschlusskonzert zum erfolgreichen „Eiszeit“-Album geplant war, begann dann vor circa 350 - die Tickets waren streng limitiert - gut gelaunten und immens erwartungsfrohen Besuchern ganz programmatisch mit dem Album-Hit „Eiszeit“.

Der wie immer auch hier an diesem Abend enorm charismatische Frontmann entert mit obligatorischem Schnee-Parka etc. die Bühne der Panorama Lounge, und los geht die opulent ausgeleuchtete Show mit Karacho.

Das Stageacting lässt nichts zu wünschen übrig, daher gerät die Stimmung im bemerkenswert laut johlenden Auditorium blitzschnell ins Frenetische über.

Der Live-Sound ist dank eines wahren Top-Mixers an den Reglern überragend, vor allem unter solcherlei Umständen.

Tosender Beifall folgt dem Stück nach, und nahtlos weiter geht es in aller Professionalität, inklusive wie immer knackiger Ansagen von Alexx, mit den umjubelten Electro Rock-Songs „Willkommen“, „Angst“, „Leider“, „Antikörper“ und „Heilig“.

Eisbrecher haben einen Riesenspaß auf den dortigen Brettern, die Band ist regelrecht eins mit dem dauer-juchzenden Publikum.

Dennoch lässt es sich Alexx zwischendrin nicht nehmen, mitsamt den Konzertbesuchern eine kurze Gedenkzeit der Stille abzuhalten, für „alle diejenigen, denen der Besuch dieses Konzertes aufgrund trauriger Umstände nicht möglich ist“.

Auf gewisse Weise kann der nächste Track „Schwarze Witwe“ dann so hoch dort oben nachfolgend sein ohnehin mystisches Flair noch um einiges besser entfalten, als es „on stage“ ohnehin schon so oft der Fall war.

Daran angeschlossen präsentieren Eisbrecher „Schlager“, und einen Platz weiter in der Set-List dieses Abends kommt dann endlich auch noch „Verrückt“, eine superbe Nummer vom im Februar 2012 kommenden neuen Studioalbum „Die Hölle muss warten“.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die angereiste Menge sofort begeistert mitgeht und im Takt mitfiebert, obwohl das von der Band wirklich fulminant exerzierte Stück seine Bühnenpremiere hatte. Weiter wird nach Maß mit für diese Band typischem elektronischem Klang-Beiwerk abgerockt.

So bringt sich die druckvolle Komposition „Engel“ ins spielfreudige Geschehen mit ein, gefolgt vom eingängigen Eisbrecher-Erfolg „Vergissmeinnicht“, welcher nicht nur mittels griffigem Refrain zu einem weiteren vollen Erfolg werden soll.

Im Weiteren laufen Eisbrecher songmäßig „Amok“, zelebrieren „Ohne dich“, und vor dem Lied „This Is Deutsch“ springt Spaßmacher Alexx im Hopserlauf mit hochgehaltener Bayern-Fahne quer über die Bühne.

Der letzte Song erschallt als „Miststück“, nach Beendigung desselben verteilt der groß gewachsene Sänger in Kavaliermanier leuchtend gelbe Rosen ans weibliche Publikum. Hinterher geht es wieder zurück nach Garmisch-Partenkirchen, wo ab 23 Uhr in der Bar „Servus Manous – Die Bayerische Lounge“ eine exklusive Aftershow Party stattfindet.

© Markus Eck, 17.11.2011

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