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Interview: EVEREVE
Titel: Ambivalenter Zynismus

Nach einiger Zeit des einfallsreichen Experimentierens mit zahlreichen moderneren Einflüssen haben sich diese Gothic- und Dark Metal-Spezialisten nun wieder auf ihre wirklichen Stärken konzentriert.

Erquickliches Resultat der höchst ergiebigen Rückbesinnung ist das neue Studioalbum „Tried & Failed“ geworden: Eine in vielen Belangen (ausdrucks)starke und unter die Haut gehende Düstermetall-Scheibe von aufrüttelnder Charakteristik, wie man sie von routinierten Könnern wie Evereve auch erwartet.

Schmückte das tiefsinnige Quartett um Sänger Michael alias MZ die vielfältigen Evereve-Lieder auf den beiden vorherigen Studioalben „E-Mania“ sowie dessen Nachfolger „Enetics“ gerne mit elektronischem Beiwerk, geht es nun also wieder mehr zurück zu den emotional orientierten Wurzeln.

„Unsere sarkastische, gesellschaftskritische Attitüde wurde uns bereits schon mehr als einmal zum Verhängnis. Wir hatten ja auch seit jeher ein ausgesprochenes Faible für ambivalente Wortspiele: Bei unserem ´99er Album `Regret` hatten wir beispielsweise das Bekenntnis `Evereve exclusively plays Deca-Dancefloor` verkündet, woraufhin nicht wenige Leute, welche uns zur Veröffentlichungszeit des Albums nur oberflächlich kennen lernten, ernsthaft dachten, wir würden poppige Dancefloor-Mucke machen. Unser Schlagzeuger, der lange Zeit in Amerika verbracht hat, nahm dann danach das Pseudonym `MC Wifebeater` an. Rasch rief dies einige superschlaue Menschen auf den Plan, die daraus genau das interpretierten, was nicht von uns beabsichtigt war, nämlich plumpen und Frauen verachtenden Chauvinismus. Denn `Wifebeater` ist in den Staaten lediglich ein Slang-Begriff für ärmellose Shirts. Und genau solche trägt unser Schlagzeuger eben immer sehr gerne. Natürlich fanden wir diese Doppeldeutigkeit auch lustig, doch das darauf so dermaßen ernst reagiert werden würde, darauf wären wir nicht im Traum gekommen“, kommentiert Michael meine neugierige Anfrage bezüglich des neuen Albumtitels „Tried & Failed“.

Der Vokalist ergänzt dazu: „Somit ist der aktuelle Albumtitel ja fast schon wieder ein klassisches Eigentor geworden. Wir haben ihn jedoch natürlich ganz bewusst gewählt. Er steht eindeutig für den bittersüßen Beigeschmack des Scheiterns, den wir alle mehr oder weniger gut kennen. Für die Fans, die uns wohl gesonnen sind, dürfte die Bedeutung ohnehin klar sein, denn unsere Lieder handeln ja auch von tiefen menschlichen Versagensängsten. Der Titel drückt somit die Grundstimmung der neuen Scheibe aus. Für Journalisten und Leute, die uns sowieso nicht mögen, stellt der Titel natürlich eine Steilvorlage im negativen Sinne dar. Doch wir sind nun mal ausgesprochen provokante Zyniker, Sarkasten und auch Hedonisten, die ihr Leben mit einem gewaltigen Maß an Selbstironie sehen.“

Und dies kam auch bei den aktuellen Promo-Fotos zum neuen Werk zum Tragen, wie zu erfahren ist. Michael hierzu:

„Wer diese Shots aufmerksam betrachtet und versteht, was wir damit ausdrücken wollen, kann meine Aussagen sicherlich gut nachvollziehen. Warum wir genau so sind, kann ich ehrlich gesagt nicht genau beschreiben. Wir sind eben so. Das war niemals bei uns geplant. Von Anfang an, gleich nach der damaligen Bandgründung, kristallisierte sich diese Einstellung zum Leben heraus, die alte sowie neue Bandmitglieder miteinander teilen.“

Eine solch zynische Einstellung macht das Leben sicher nicht einfacher, stellt der Evereve-Frontmann fest.

„Der typische Zyniker sitzt ja stets hoch erhobenen Hauptes in seiner mentalen Ecke und hat alles, was geschehen ist, bereits schon vorher gewusst. Alles Negative passt ihm perfekt ins Bild. Meiner Ansicht nach ist das einerseits sehr einsame und sehr limitierte Geisteshaltung. Auf der anderen Seite sind wir aber extreme Lust- und Genussmenschen. Wir versuchen jedenfalls daher, als Künstler immer den goldenen Mittelweg zu gehen. Wenn es Dinge im Songwriting von Evereve gibt, die ausgiebig besprochen werden müssen, gehen wir daher immer mit einer zynischen und einer humorvollen Art an das jeweilige Problem heran. Das macht die ganze Sache ja auch letztendlich sehr lebhaft, wie auch das neue Album aufzeigt. “

Als das Quartett vor nicht allzu langer Zeit die erfolgreichen US-Dunkelmänner Type O Negative auf ihrer Konzertreise als Support-Band begleiteten, taten sich überraschende Gemeinsamkeiten auf, wie Michael sich freudig daran zurückerinnert.

„Zwischen uns allen hat es sehr gut gefunkt damals, sowohl musikalisch als auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Die sind so ähnlich drauf wie wir mit ihrer trockenen, unnahbaren und auch ziemlich zynischen Einstellung zu den Dingen. Wir konnten uns damit vom Fleck weg voll identifizieren. Denn wenn wir nicht immer so dermaßen rein auf uns selbst achten würden, sondern mehr auf das, was andere über uns sagen, dann hätten wir mit Evereve wohl schon längst einpacken können. Aber da ziehen wir schon viel lieber unser Ding durch und trotzen allen Widrigkeiten.“

Das kann er laut sagen. Weder abgebrannte Probenräume noch der tragische Freitod seines Sänger-Vorgängers Tom Sedotschenko im Jahr 1999 konnten Evereve zum Erliegen bringen.

Zurück zur neuen Veröffentlichung des Vierergespanns: „Meine Grundeinstellung zum Leben trifft auch den Kern der aktuellen Songs. Ich versuche das Leben auszuschlürfen und strebe dabei wie erwähnt nach einem hohen Lustfaktor. Dabei reicht es mir jedoch nicht aus, mir jeden Tag aufs Neue Genüsse anzuhäufen, sondern ich versuche im selben Zuge auch meine ganz persönliche Tiefe im Leben zu finden. Die neue CD ist daher wieder ganz bewusst spiritueller und tiefgründiger geworden. Dutzende von neuen Sinnfragen in Songform, könnte man auch sagen. Man kann jeden Tag scheitern. Man kann aber auch jeden Tag gewinnen. Das finden wir enorm spannend.“

© Markus Eck, 27.05.2005

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