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Interview: EWIGHEIM
Titel: Bohrender Zynismus

Der Thüringer Ausnahmemensch Ronny Fimmel ist ein sehr eigenwilliger Charakter und wohl alles andere als ein großer Freund von gesellschaftlichen Anbiederungen und geheuchelter Moral.

Ein spezielles Persönlichkeitsprofil also, das den kritischen ostdeutschen Düstermann auf künstlerischer Ebene immer wieder dazu verleitet, sich musikalisch nicht minder individuell zu äußern. Seit 1995 trommelt er bei Eisregen auf die Felle ein, und vier Jahre später gründete er mit dem The Vision Bleak-Protagonisten Allen B. Konstanz die sarkastischen Lebensfreude-Killer Ewigheim.

Hier schrubbt Fimmel unter seinem einschlägig bekannten Pseudonym Yantit das Griffbrett seiner Klampfe. Was 2002 mit dem schauderlich schönen Debütalbum „Mord nicht ohne Grund“ begann und zwei Jahre später vom bewegenden Nachfolger „Heimwege“ stilecht ergänzt wurde, das mündet nun ins neue und dritte Langspielwerk „Bereue nichts“.

Inbrünstig zelebriert wird auf dieser optimal als Beerdigungs-Soundtrack geeigneten Schallscheibe ergötzlich modrige Gothic Doom Dark Metal-Notenkunst, erfüllt von untot umhergeisternden Atmosphären.

Textlich greifen die Beteiligten auch auf dem neuen Sarg-Manifest wieder Themen wie Tod, Untergang, Vergänglichkeit etc. auf.

Was da lyrisch zunächst recht unbekümmert erscheint, stellt sich bei näherem Befassen oftmals jedoch als bitterböse Ironie auf das Leben selbst heraus.

Den herzlichen ultra-düsteren Glückwunsch zur Vollendung der neuen Liedersammlung nimmt Yantit erstmal merklich gelassen entgegen:

„Vielen ultra-düsteren Dank! Wir sind auch glücklich, es endlich geschafft zu haben; und nein, das Feiern überlassen wir lieber den lustigen Menschen“, entgegnet der Mann mit einem schiefen süffisanten Grinsen.

Die kreative Linientreue, wie sie „Bereue nichts“ erfreulich offeriert, wird vom Autoren gerne gelobt.

Ewigheim, die ewigen Überzeugungstäter also?

„Ganz sicher. Trotzdem nehmen wir diese Art von Lob aber nicht als etwas Selbstverständliches hin. Im Gegenteil, ich freue mich immer darüber, wenn Leute die Linientreue - das Wort gefällt mir -, in unserem Schaffen erkennen und sie zu schätzen wissen. Böse Zungen könnten ja auch einfach behaupten, wir treten mit Ewigheim auf der Stelle. Frage man mich nun bitte nicht, worin sie begründet liegt. Unter Umständen sind wir ja auch einfach nur verbohrte alte Säcke.“ [lacht]


Wenn Gevatter Yantit den vorangegangenen Arbeitsprozess zum neuen Ewigheim-Album Resümee vor seinem geistigen Auge passieren lässt, dann fühlt er sich laut eigener Aussage primär vielfach erleichtert.

„Wir haben schon vor langer Zeit festgestellt, dass wir nicht in der Lage sind, ,einfach mal so‘ ein Ewigheim-Album zu machen. Mit der Zeit wurde diese Erkenntnis zur Last und diese mit den Jahren immer größer. Es war nicht so, dass wir kein Album mehr machen wollten, sondern, dass uns immer wieder Dinge, persönliche wie zeitliche, im Wege standen und wir uns sagten ,es drängt uns ja keiner‘. Das darüber ganze acht Jahre ins Land gehen würden, hätte aber auch keiner erwartet. [lacht] Aber auch egal. Vor circa zwei Jahren hatten wir unabhängig voneinander das Gefühl, die Zeit sei reif für einen weiteren Versuch. Wir haben uns versprochen, es zu Ende zu bringen. Der Rest ist Geschichte. Ich habe mich dann sofort an die Arbeit gemacht, die Musik geschrieben und alles vorproduziert. Daraufhin haben wir uns zusammengesetzt und gemeinsam noch einige Stücke umarrangiert, wobei Allen stets das letzte Wort hat, da er für meinen Geschmack einfach das ,bessere Händchen‘ für diese Eingriffe besitzt. Im Herbst 2011 sind wir dann für die Schlagzeug- und Gesangs-Aufnahmen und den Mix ins StudioE gegangen. Also genau an den Ort, an dem damals noch in Zeltingen 1999 alles einst begann. Dort wurde uns auch erst so richtig bewusst, dass wir gerade drauf und dran sind, das dritte Ewigheim-Album zu machen und nun damit quasi zurück ,nach Hause‘ kommen. Es war einfach ein toller Moment und schon fast rührend. Wir haben viel geredet, Produzent Markus Stock war da und plötzlich war alles so, wie es sein muss, damit es sich nach Ewigheim anfühlt.“

Seit 2004 ist so einiges in seinem (künstlerischen) Leben passiert, wie der Thüringer fortfährt.

„Ja, und faul war ich wirklich nicht in der Zeit. Neben gefühlten 15 Eisregen-Alben, habe ich mit Michael Roth von Eisregen für die Split-CDs namens ,Thuringian Supremacy‘ zwei verranzte Black Metal-Stücke unter dem Namen Panzerkreutz gemacht und ebenfalls mit M. Roth als Sänger, das Marienbad-Debütwerk ,Nachtfall‘ veröffentlicht. Wobei für Ewigheim-Hörer ja vor allem Marienbad interessant sein könnte, da es musikalisch in eine ganz ähnliche Richtung geht. Bei Panzerkreutz wie auch Marienbad wurden wir übrigens von Allen am Schlagzeug unterstützt.“


Der weitere Dialog befasst sich im Zuge derlei Erhebungen sogleich mit der ungewöhnlich langen Veröffentlichungspause der beiden Ewigheimer. Und Yantit offenbart Vernünftiges:

„Wir waren mit Ewigheim immer frei vom Korsett einer ,professionellen‘ Band. Somit gab es auch niemals einen Grund, sich an diesen selbst auferlegten, idiotischen Veröffentlichungsrhythmus von zwei bis drei Jahren zu halten. Wirklich wichtig war und ist uns lediglich, das wir beim Musik machen das Gefühl haben, zur richtigen Zeit unter den Richtigen Umständen die richtigen Entscheidungen zu treffen. So ist es mir heute auch lieber auf eine achtjährige Pause, als auf einen Haufen mittelmäßiger, nicht zu Ende gedachter Veröffentlichungen zurück zu blicken. Wenn der Zeitpunkt und die Umstände passen, dann entsteht Ewigheim ganz von selbst.“

Der Albumtitel „Bereue nichts“ bietet dem Hörer, so Yantit im Weiteren, jede Menge Möglichkeiten für eigene Denkansätze.

„Und das ja erst recht, wenn man den Titel gänzlich unabhängig von den Texten betrachtet. Damit das so bleibt, möchte ich auch gar nicht viel mehr dazu sagen.“

Dinge und Geschehnisse in seiner persönlichen Vita, die er selbst tatsächlich wirklich bereut, existieren laut überzeugter Aussage des tiefsinnigen Mannes nicht. Der unbeirrbare Thüringer Querkopf geht tiefer darauf ein:

„Ich mag den Begriff ,Fehler‘ nicht. Er macht es einem zu einfach, wie ich finde. Man gesteht sich einen Fehler ein, kann ihn halbherzig bereuen, womit wir wieder beim Thema sind, und kann dann gleich den nächsten machen. Dadurch habe ich bei vielen Menschen das Gefühl, sie verlernen mit den Konsequenzen ihres Handelns umzugehen. Anstatt zu erkennen, dass man Entscheidungen überdenken und so zukünftige immer wieder verbessern kann, sind sie ausschließlich darauf bedacht, das durch ihr Tun entstandene Bild zu relativieren, um sich in ein ,besseres‘ Licht zu rücken oder eben den vermeintlichen Konsequenzen zu entgehen. Es führt einfach zu nichts, außer, dass man sich kein unverzerrtes Bild mehr von einer Person machen kann und sich die Fehler gegenseitig unter die Nase reibt.“


Die neue Musik von Ewigheim wirkt auf ernsthafte Hörer der ersten Stunde sicherlich bemerkenswert stilsicher, erstaunlich reif und dennoch immer wieder von zerbrechlichem Selbstwertgefühl geprägt.

„Das würde ich so unterschreiben. Die Sache mit der Stilsicherheit ist keine große Kunst, denn, wenn wir über die Zeit etwas gelernt haben, dann ist es, wie Ewigheim zu klingen hat, wir müssen uns dabei ja auch einfach nur an unsere eigenen ,Vorgaben‘ halten. Das mit dem Selbstwertgefühl ergibt sich aus den Texten beziehungsweise daraus, wie ich sie schreibe. Sie stellen nach wie vor nichts anderes als meine ernsthafte, persönliche Sicht auf eine kleine kaputte Welt und die Menschen darin dar. Wenn daran etwas zerbrechlich wirkt, dann, weil ich im Moment nicht gerade vor Kraft strotze … aber das war auch schon immer so.“



Da der einstige große Düster Metal-Boom schon länger vorbei ist und das Ganze in all dem Modern Metal-Brimborium fürs Erste eher eine Nebenrolle spielt, haben es viele Gothic- und Dark Metal-Bands sehr schwer.

Wie erlebt eine Band wie Ewigheim eigentlich diesen Wandel?

„Diese Dinge interessieren mich nicht. Ich höre schon seit Jahren die selben Bands und mache aus Prinzip einen großen Bogen um alles ,Moderne‘. Die letzte Sache, die mir so richtig auf den Sack gegangen ist, war diese ganze Pagan-Scheiße, und das auch nur, weil ich dadurch, dass wir mit Eisregen relativ häufig live spielen, immer wieder damit konfrontiert wurde. Ob sich ein paar New Metal-Kinder die Fingernägel schwarz lackieren oder 13jährige Jungs Netzstrumpfhosen tragen, ist mir persönlich völlig egal. Zur Strafe müssen sie es ja ihren Eltern erklären“, verkündet Yantit lachend.



Anschließend dreht sich das Gespräch darum, wie Ewigheim beziehungsweise ihre Musik von den Hörern und Medien außerhalb des Metal-Bereichs bislang so aufgenommen wurden. Yantit zuckt zunächst ratlos mit den Schultern:

„Keine Ahnung! Da wir mit Ewigheim ja nur selten live gespielt haben, kam das Feedback eher von Leuten auf The Vision Bleak- und Eisregen Konzerten, also auch aus dem Metal-Bereich. Nach der Veröffentlichung von ,Heimwege‘ gab es immer mal ein paar positive Reaktionen von der typischen Prophecy-Käuferschaft, die ich aber auch nicht wirklich einschätzen kann, da mir der ganze Natur- und Akustik-Kram nicht liegt.“ 



Höchste Zeit, die aktuellen Ewigheim-Liedertexte zu thematisieren. Die Frage, aus welchen Situationen und Stimmungen heraus diese Lyriken hauptsächlich entstanden sind, kann der Gitarrist rückblickend gar nicht mehr beantworten, wie er feststellt.

„Die ältesten Texte stammen noch aus der Zeit von ,Mord nicht ohne Grund‘. Den letzten habe ich ein paar Wochen vor den Gesangs-Aufnahmen geschrieben. Zwischen 2007 und 2011 gab es jedoch mehrere, gravierende Situationen, die auch direkten Einfluss auf mein Schreiben hatten. Unter anderem der Tod meines Vaters. Sein ,Leben‘ hatte schon auf ,Heimwege‘ großen Einfluss. Einfluss auf mein Songwriting nahm auch der Tod einer, mir sehr nahe stehenden Bekannten sowie der Tod von Peter Steele. Letzteres empfinde ich als extrem schlimm, da Peter musikalisch nicht zu ersetzen ist und er auf menschlicher Ebene schon mein halbes Leben lang so etwas wie ein Vorbild für mich ist.“


Gibt es also einen oder mehrere Tracks auf dem neuen Tonträger, die dem Griffbrett-Schrubber ganz besonders nahe am Herzen liegen? Er gibt, zunächst schelmisch grinsend, zu Protokoll:

„Eigentlich nicht. Ich muss ja auch sagen, dass ich sie alle toll finde. Aber im Ernst, es gibt sicher ein paar Stücke, bei denen ich das Gefühl habe, sie tragen die Stimmung, die ich beim Machen hatte, besonders gut nach außen. Die Musik von ,Stahl trifft Kopf‘ zum Beispiel entstand in den Wochen nach dem Tod von Peter Steele. Und ich bilde mir ein, man könne dabei hören was an dieser Zeit so schlimm für mich war. Den Text zu ,Mal ehrlich‘, also der Bonus-Track zum Digipak, mag ich auch sehr. Er ist nicht typisch Ewigheim. Aber in sich so perfekt und, wenn man mich persönlich kennt, so lustig, dass ich mir beim Hören des Liedes vor Lachen immer noch in die Hose machen könnte. 



Wie kam der Entschluss, im Jahr 2012 noch eine „Single“ auf den Markt zu bringen? Von Liebhabern für Liebhaber?

„Genau! Eine Single bietet immer die Möglichkeit etwas Spezielles machen zu können. Etwas Spezielles ist dann eben auch nichts für jeden, sondern nur für spezielle Leute. Wir hatten mit Ewigheim schon immer Freude an diesem Format. Und offensichtlich wissen es die Hörer ja auch zu schätzen. Außerdem sind die Dinger so herrlich altmodisch, sodass man sie einfach mögen muss.“



Jetzt wird es ganz persönlich: Wann hatte ein Mensch und Musiker wie Yantit seinen letzten Gefühlsrausch? Die Antwort kommt unumwunden: „Vor etwa dreieinhalb Jahren. Da habe ich zum letzten Mal getrunken und mich dann im Suff ordentlich geprügelt. Danach haben sich die Gefühlsräusche stark verändert. Es gibt ja diese Redewendung, etwas ,nüchtern zu betrachten‘, wenn man dann dazu ,gezwungen‘ ist, alles nüchtern zu betrachten, dann wird es wunderlich, um nicht zu sagen, unerträglich. Das geht dann auch schon wieder in Richtung Gefühlsrausch, nur eben dauerhaft. Und man ist fast nur noch angewidert von dem, was sich einem zur Schau stellt.“

Mehr noch: Was rührt einen Zeitgenossen wie Yantit zu Tränen? „Der letzte Mensch, der mich dazu gebracht hat, war Peter Steele und ich bekomme immer noch Druck in der Nase, wenn ich davon schreibe. Ansonsten bin ich öfter kurz davor, vor allem, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin. Ich hasse es, Tiere sehen zu müssen, die keines natürlichen Todes gestorben sind, oder die, noch schlimmer, angefahren auf der Strasse liegen. In so einem Fall sage ich: Aussteigen und totmachen, Bitte! Der Gipfel war mal ein großer Schäferhund, der von seinem ,Herrchen‘ am Straßenrand entsorgt wurde. Da lag der Hund dann über Monate an derselben Stelle, vergammelte langsam vor sich hin und es schien überhaupt keiner zu bemerken. Und das von Menschen, die um ihren eigenen Tod ein gigantisches Theater machen!“ 



Derzeit schenkt der Gitarrist sehr gerne der italienischen Black Doom Metal-Formation Forgotten Tomb sein Gehör, wie er offenbart.

„Ich habe sie über die Jahre immer mal wieder gehört, ihnen aber nie die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die sie verdienen. Das hole ich gerade intensiv nach. Zwei Bands die ich schon immer höre und für die es mich sehr freut, dass sie endlich wieder wahrgenommen werden, sind Saint Vitus und Autopsy. Vor allem Autopsy bereiten mir gerade richtig viel Freude.“



Das weitere Zwiegespräch behandelt schließlich auch noch den Kontext „Lebensweisheit“. Wir erfahren: „Da ich nicht denke, dass ich sehr weise bin, beschränke ich mich auf’s ,Glauben‘. Die Hoffnung, dass nach dem Tod wirklich nichts mehr kommt, steht bei mir dabei an erster Stelle; ein Gedanke, der mich schon in vielen schweren Momenten trösten konnte, und das erst recht, wenn man sich bewusst macht, dass man den Tod innerhalb von ein paar Sekunden und in fast jeder Situation selbst herbeiführen kann. Der Tod meines Vaters zum Beispiel hat bewiesen, dass es oft besser ist zu sterben als ein unwertes Leben unnötig in die Länge zu ziehen.“

© Markus Eck, 11.05.2012

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