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Interview: EXODUS
Titel: Von Kalifornien ins Bürgerstüble

Der von vielen Seiten seit langem erwartete Nachfolger zum 1992er Album „Force Of Habit“, einem der schwächsten Werke dieser kalifornischen Bay Area Thrasher, wird demnächst auf die Menschheit losgelassen. „Tempo Of The Damned“ tituliert, führt er den Hörer zurück in die glorreichsten Zeiten von Exodus.

Und die Überraschung scheint vollauf geglückt, denn ein solch gelungenes und von Spielfreude erfülltes Werk wie „Tempo Of The Damned“ hätten sich sicherlich die allerwenigsten der alten Anhänger der Band noch erwartet.

Aufgenommen von Produzentenbekanntheit Andy Sneap in den Prairie Sun and Tsunami Studios im nördlichen Kalifornien, verschaffte Sneap, der bereits bei diversen Acts wie Skinlab, Arch Enemy, Nevermore und Machine Head zu überzeugen wusste, auch den neuen Tracks von Exodus einen zackigen und druckvoll peitschenden Sound.

Aus diesem Anlass heraus lud das neue Label der Jungs am 29. Oktober 2003 ins Schwäbische, genauer gesagt ins dortige Gasthaus Bürgerstüble.

Dessen Inhaber ist ein alter Schulfreund von Labelboss Staiger, und ein sehr erfindungsreicher Geist noch dazu:

Die international angereiste Journalistengilde nimmt nämlich tatsächlich im Schlachthaus, welches dem Bürgerstüble angrenzt, an einer echten Schlachtbank Platz – entsprechend muffelnde Geruchskulisse inklusive.

Wo also sonst Schweinehälften und Rinderärsche fachgerecht und blutig zerlegt werden, finden diesmal also die nagelneuen Powerkracher von Exodus mittels eigens heran geschleppter Musikanlage aufmerksames Gehör. Die gesamte Band stellt sich dabei breit grinsend an der Wand auf, als wolle sie die Reaktionen der Schreiber ganz genau verfolgen.

Als die kollektiv vorherrschende Spannung im dem scheißkalten Tiermörderhaus dann schier nicht mehr auszuhalten ist, macht „Scar Spangled Banner“ endlich den Anfang.

Ein mit forschem und quirligem Beginn versehener Opener, der rücksichtslos vorzupreschen scheint. Rhythmisch gleich außerordentlich barsch aufbrausend, klingt die Band hier ähnlich bissig wie zu besten Zeiten ihres „Fabulous Disaster“-Albums.

Vor allem Sänger Steve Souza vokalisiert aggressiv wie eh und je, chorartig aufmüpfig klingend untermalt von seinen Bandkollegen, als würde man sich in den 80er Hochzeiten der ganzen Thrash-Truppen befinden.

Überhaupt, trotz schwerstem Riffing fällt rasch hervorragende Gitarrenarbeit auf, die begeistern kann.

Präzises und gleichfalls radikales Drumming trägt ebenfalls dazu bei, dass ruckzuck das Feeling der guten alten Tage von Exodus in Vollendung wiederhergestellt scheint – Thrash in Reinkultur also, der sich gewaschen hat.

Nach circa 1,5 Minuten fährt ein vollkommen psychotisches und jaulendes Gitarrensolo dazwischen, wie es seit jeher nur zu typisch für Exodus ist.

Gleich im Anschluss daran ertönt der Knochenbrecher „War Is My Shepherd“, der vom Label auch als Tour EP beziehungsweise Mini-CD ausgekoppelt wurde – allerdings mit völlig unakzeptablem Cover, welches eklig verdorrte Kriegsleichen zeigt.

Beginnt mit donnerndem Drumming und schneidendem Riffing und steigert sich von Sekunde zu Sekunde.

Das Lied offenbart im Weiteren einen für die Band nur allzu typischen Songaufbau, herrlich räudig phrasierter Gesang tut hier neben einigen Death Metal-Anleihen sein Übriges.

Pumpende Instrumentierung unterlegt von der Band gemeinsam gegrölte „War“-Rufe.

Auch der hauptsächliche Gesang ist hier sehr knurrig, könnte genauer gesagt bissiger und aufgebrachter nicht sein.

Der Rhythmusgitarrenkunst dieses Songs kann man sich vollkommen hingeben. Ein einziger Genuss. Ein erneut brillant gespieltes Solo hängt sich dran, dessen erneute Wimmerhakentechnik mich zu verzücken weiß.

Die „Blacklist“ beginnt erstmal mit einem gesetzt gespielten Auftakt, welchem sich mächtig intoniertes Riffing anschließt. Im Weiteren tut sich ein mächtiger Stampfer auf, welcher beschwingt zum Moshen einlädt.

Nachfolgend mausert sich die Komposition zum Midtempo-Kracher, dessen coole Gesangsparts für sich einnehmen können. Nach circa zwei Minuten zeichnet sich so was wie ein roter Faden ab.

„Blacklist“, ein sehr intensives Stück, dessen Grundstruktur sich in den Geist so leicht eingräbt wie eine Krabbe ins Wattenmeer.

Auch hier mischt wieder ein Solo mit, das quälender und gellend schreiender nicht klingen könnte.

Durch einen taktisch überraschend hüpfenden Beginn zeichnet sich der nächste Killer-Track „Shroud Of Urine“ aus.

Obwohl lustvoll tanzendes Schlagzeugspiel mit interessanter Rhythmusgestaltung Mid- und Uptempo-Gitarrenspiel das klangliche Geschehen zu diktieren scheint, wirkt trotzdem alles sehr sauber und präzise gespielt.

Erstmalig erklingt auf diesem Album fast episch melodisiertes Saitenspiel, das auch den anspruchsvollen Hörer aufhorchen lässt.

Ein sehr intensives Lied, dessen Energie mitreißen kann, mit druckvollem und mächtigem Ausklang.

Auf dem nachfolgenden Song „Forward March“ werden Exodus dann endlich mal so richtig schön schnell.

Ein peitschender Break, dem sich temporeiches Riffing anfügt, kracht nur so ins Geschehen.

Hektisch quirlig gespielt, erinnert diese verbissen anmutende Komposition erneut an beste alte Thrash Metal-Zeiten. Hookline und Refrain wurden erfreulich eingängig gestaltet.

Einen bodenständig und erdig gerifften Anfang weist der nächste Song „Culling The Herd“ auf, welcher im Weiteren zu einem schnelleren Mosher wächst.

Die bezwingend schizophrene Gesamtatmosphäre dieses Stücks wirkt wie eine ausufernde Rückblende zu Unglaublichem.

Den Gesang teilen sich abwechselnd Steve Souza und der unbekümmert grölende Bandchor im Hintergrund.

Der gesamte Track gleicht einem Amok spielenden Griffbrettjunkie. Die kompositorische Linie ist dank eingängiger Struktur relativ rasch ausgemacht.

Der siebte Song „Sealed With A Fist“ hämmert ebenso brutal wie schnell los und geht alsbald über in eine stampfende Thrash-Granate.

Der eindringlich intonierte Schimpfgesang von Souza erinnert hier mal wieder an eine wütende Hexe, der man gerade die große Warze von der Nase gezwickt hat. Er ist sowieso einer der meiner Meinung nach besten Thrash-Shouter überhaupt.

Das abgefahrene Kompositionsschemata dieses Songs gibt so einigen brüllenden Mörderriffs gute Darstellungsmöglichkeiten, mit Saitentechniken zu glänzen.

Einen rhythmisch betont distanzierten Track stellt „Throwing Down“ dar, der Gesang wurde dementsprechend in Sachen bissiger Aggressivität etwas herunterskaliert.

Schön jaulende Klampfen sorgen für spannendes klangliches Ambiente, was ich mit Presslufthammer-Feeling gleichsetze.

Eine coole Schlagzeugeinlage von Kesseldrescher Tom Hunting eröffnet ab der Songmitte die Wiederholung der Grundstruktur. Der bisher schwächste Song der neuen Scheibe, mit einem echt nervenden Refrain.

Das gleicht jedoch Schlag Nr. neun, „Impaler“, wieder aus. Durch einen mitreißenden Beginn kesselt dieser Track nach Noten.

Und mittels bestem Old School-Stil ist es hier fast nicht mehr möglich, noch mehr Thrash-Aura der 80er zu verströmen.

Ein feurig furioser Knaller mit einem Funken sprühenden Highspeed-Solo, welches nur so nach allen Seiten fetzt. Total hysterische Vokalisierung duelliert sich mit bollernd donnerndem Saitenangriff.

Der knallharte Rausschmeißer und fulminante Titelsong schließlich, „Tempo Of The Damned“ lässt die kreischende Thrash-Sau dann kilometerhoch durch die Lüfte fliegen.

Die Band scheint zum Abschluss noch mal alles zu geben und bündelt ihre Energien. Die Hölle bricht los, mutmaßt man fast.

Anschließend geht es zurück ins heimelige Bürgerstüble, zum Aufwärmen und für Interviews.

Dort plaudere ich noch ganz entspannt mit Trommler Tom Hunting.

„Ich hoffe, die Fans spüren beim Hören der neuen Platte das Feeling, welches wir beim Komponieren und Aufnehmen der aktuellen Stücke hatten“, gibt er mit einem Lächeln auf den Lippen zu Protokoll.

Und er stimmt mir im Weiteren zu: „Yeah, 'Tempo Of The Damned' ist das bisher aggressivste und energiereichste Album von uns, das kann man wohl sagen. Endlich klingen wir wieder so, wie wir all die Jahre zuvor hätten klingen sollen. Denn obwohl wir härter denn je sind, klingt auch die über die Jahre einhergegangene musikalische Reife von uns allen entsprechend repräsentativ durch.“

Über Produzent Andy Sneap lässt sich der gute Hunting außerordentlich lobend aus. „Andy ist ein wahrer Genius, was das Produzieren von Musik wie der unseren anbelangt. Er holte das Letzte aus den neuen Stücken heraus und wir sind ihm natürlich auch alle sehr dankbar für sein aufopferndes Engangement.“

Toms persönliche Ansicht zum Albumtitel greift in unser aller Leben, wie er mir noch preisgibt: „Tempo Of The Damned“ bezieht sich darauf, wie die Menschheit immer schneller und simultan auch immer unbewusster dahin lebt – das wird uns eines Tages noch alle ins Verderben reißen.“

Und die Zeiten der Drogen scheinen für Exodus nun auch endlich der Vergangenheit anzugehören. „Wir haben diese Zeiten hinter uns gelassen und blicken entschlussfreudig nach vorne. Endlich sind wir wieder voll da!“

© Markus Eck, 01.11.2003

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