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Interview: KADAVAR
Titel: Eigen

Mit ihrem neuen und vierten Album gelingt den Berlinern das seltene Kunststück, eine so nebulös wabernde und obskur penetrierende Hippie Hard Rock-Aura auszustrahlen, als säße man damit mitten in den frühen 1970ern in einer spiritistischen Kifferrunde.

Denn das auf beseelende Art erfrischende „Rough Times“, alles andere als modrig, altbacken oder gar plagiatorisch, gibt sich drückend doomig, kantig krautig, entrückend spacig und entkernt sich simultan selbst auf samtig emotionale Weise. Alles wertvolle Attribute, die Genrejünger sämtlicher Altersklassen in psychedelisch produktive Unruhe versetzen können.

Das hochgradig originelle Trio, bestehend aus Sänger und Gitarrist Christoph ‚Lupus‘ Lindemann, Drummer Christoph ‚Tiger‘ Bartelt und Bassist Simon ‚Dragon‘ Bouteloup, untermauert damit seine absolute Ausnahmestellung im Vintage Rock-Areal.

Wie Tiger zu berichten weiß, ist eine Menge in der Band seit dem 2015er Vorgängeralbum passiert.

„Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, als ‚Berlin‘ rauskam. Wir waren natürlich sehr viel unterwegs. Neben Europa und Nordamerika haben wir unsere erste Südamerika-Tour gespielt und waren über drei Monate durch die halbe Welt auf Achse, beziehungsweise zwischen Turbinen. Also wieder mal sehr viel erlebt, lange von zu Hause weg gewesen und kaum zur Ruhe gekommen. Aber es gibt natürlich auch noch andere Sachen, um die man sich als Band kümmern muss. Der geschäftliche Teil von Kadavar war etwas, was wir in der Vergangenheit lieber abgegeben haben. Wir haben uns aber Mitte letzten Jahres dazu entschieden, wieder mehr Dinge selber in die Hand zu nehmen und uns von unserem Management getrennt. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo uns niemand mehr erklären muss, wie es läuft. Das birgt eine höhere Verantwortung, aber auch mehr Freiheit.“

Gutes Stichwort. Die Formation proklamiert ‚Freiheit‘ als oberste, künstlerische Prämisse. Und das gilt natürlich auch für die neue Veröffentlichung des überzeugten Dreiers. „Man muss sich vor allem von Erwartungen frei machen. Sowohl die äußeren als auch die eigenen Erwartungen. Das hilft mir zumindest sehr dabei, kreativ zu werden und andere Meinungen innerhalb der Band zu akzeptieren. Auch die Entscheidung, wieder selbst zu produzieren nachdem wir auf ‚Berlin‘ mit namhaften Leuten zusammengearbeitet haben, war eine Freiheit, die wir uns nehmen wollten und ohne die ‚Rough Times‘ sicherlich so nicht entstanden wäre.“

Verblüffend ist es zu erleben, wie identitätsreich sich die neuen Stücke anhören. Laut Tiger ist vieles davon ganz spontan entstanden, auch der Sound der Platte. „Wie sollte es auch anders sein, wenn man in ein komplett neues Studio einzieht? Es war in vielerlei Hinsicht ein ziemlich radikaler Neubeginn. Deswegen finde ich persönlich die Stücke gar nicht antiquiert oder nostalgisch. Zum einen wurde für ‚Rough Times‘ wieder mehr experimentiert, mit Klängen, Stimmungen, Songfetzen, die wir sonst vielleicht beiseite gelegt hätten. Auf der anderen Seite waren wir streng zu uns selbst: Waren wir mit der Struktur eines Songs zufrieden, haben wir drei Takes reingehauen und den besten genommen. Diese ersten Takes merkt man der Scheibe glaube ich an. Früher waren wir oft zu perfektionistisch.“

Der Schlagzeuger kann mit der Technik der Moderne gut umgehen, hegt jedoch ein tiefes Faible für in die Jahre gekommene Audio-Gerätschaften, wie er offenbart.

Und dabei bringt er es optimal und treffend für das musikalische Metier von Kadavar auf den Punkt.

„Ich bin zwar ein Nerd was Equipment angeht und gerade bei Studiotechnik ist alt natürlich immer besser als neu. Aber wenn wir unsere Demos auf dem Computer aufnehmen, klingen die ja nicht automatisch scheiße. Wenn Leute anfangen, die Technik zu benutzen, um ihre eigenen Unzulänglichkeiten als Musiker zu umschiffen, dann ist das zumindest für Rockmusik der Tod. Aber das haben wir ja noch nie versucht.“

Auf nennenswerte Höhen und Tiefen im Songwriting-Prozess für „Rough Times“ angesprochen, eröffnet der Schlagwerker, mit seiner Truppe nicht selten als echte Arbeitstiere am Werk zu sein.

„Nach der Studio-Bauphase waren wir schon ziemlich kaputt. Wir freuten uns zwar, dass es endlich losgehen konnte, aber die Gelenke taten weh, alle Kraft war bereits verbraucht. Es war nicht leicht, da auf Knopfdruck kreativ zu werden. Aber dieser Tiefpunkt war notwendig, um den Druck aufzubauen, glaube ich. Danach ging es von Tag zu Tag besser, und als die Songs fertig geschrieben waren und der Soundcheck beendet wusste ich: das wird gut!“

Die Lieder für „Rough Times“, so tigert der Fellhauer, wurden ganz bewusst in ihrer Reihenfolge platziert.

„Die Platte hat einen gewissen Spannungsbogen, der der Songauswahl geschuldet ist. Es geht so ein bisschen wie von der inneren Hölle durch die äußere Hölle und wir schauen, was am Ende dann noch über ist.“

Darauf, auf was genau es den drei Beteiligten bei der aktuellen Musik von Kadavar letztlich am allermeisten ankommt, könnte er viel antworten, so der Musikus. „Eine sehr allgemeine Frage. Ich glaube, man bewegt sich bei Rockmusik immer irgendwo zwischen Kunst und Entertainment. Und so geht es letztlich darum, diese zwei Elemente miteinander zu verbinden oder den womöglich entstehenden Widerspruch für einen selbst aufzulösen. Das heißt: die Musik muss den eigenen Ansprüchen genügen, sie soll aber auch Spaß machen. Das probiert man immer neu zu definieren. Und man muss es immer wieder schaffen, sich selbst zu überraschen. Allein durch Kontrolle und Disziplin ist das nicht zu erreichen.“

„Die Baby Die“ zählt zu den eingängigeren Nummern auf der Scheibe. „Es ist offensichtlich kein Love-Song. Der Song ist gegen alle, die sich unserem Traum in den Weg stellen wollen. Mehr gibt's dazu eigentlich nicht zu sagen.“

Das für den Autoren schlagartig schlüssig ins Ohr gehende „Vampires“ zählt zu seinen absoluten Favoriten in der Trackliste des Albums, und dies auch auf gesanglicher Ebene. Ein wirklich famoser Song, mit bemerkenswert okkulter Stimmung.

Apropos, worum dreht sich der Track inhaltlich und wie halten es die Berliner selbst mit besagtem Okkultismus, der in dem von ihnen bespielten Genre ja gut und gerne thematisch geplündert wird?

Tiger hierzu: „Ja, diese Genre-Bezeichnungen sind manchmal schön bescheuert. Wir haben vor allem in unserer frühen Phase hier und da mit okkulten Bildern gespielt, aber genauso kann man ja auch christliche Metaphern verwenden, ohne an Gott zu glauben. Das ist das Ding mit solchen Labels: Sie greifen meist zu kurz oder sind sogar komplett falsch. Ich habe für Esoterik jedenfalls nicht viel übrig. Wir sind alle auf unsere Art spirituell, aber es nervt mich, wenn man unsere Musik deswegen als okkult bezeichnet. Ich kann damit nichts anfangen! ‚Vampires‘ ist zum Beispiel lediglich der Songtitel und kommt im Text gar nicht vor. Vampire sind aber doch ein gutes Bild, um zu beschreiben, dass man sich vor der Dämmerung fürchtet, wenn alle Realität zurück auf einen fällt und man merkt, dass der Schutz der Nacht eben nur verdunkelt, aber nicht auslöscht, was man nicht sehen will.“


„Vampires“ hat wahre Hitqualität, das Lied würde sich prima als Vorab-Single eignen.

Auch der Drummer mag den Song sehr gerne, wie er zustimmend wissen lässt.

„Die ganze Stimmung und Energie ist schon besonders auf dem Album und vor allem der Gesang ist sehr catchy. Hätten wir uns nicht für ‚Die Baby Die‘ als Single entschieden, wäre es vielleicht ‚Vampires‘ geworden.“



Was die Inspiration angeht, das ist laut Meister Tiger nicht immer so, wie man es sich von außen vorstellt. „Wir arbeiten mittlerweile ganz anders, als am Anfang unserer Karriere. Jeder Song soll etwas Bestimmtes ausdrücken und man sucht irgendwie nach Gefühlen und Stimmungen, Anlehnung an die Lyrics und sowas. Arbeitstitel können eine magische Kraft auf den Entstehungsprozess haben. ‚Vampires‘ war der Arbeitstitel.“

© Markus Eck, 12.09.2017

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