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Interview: MOTÖRHEAD
Titel: Unerschütterlich

Eine astronomisch hohe Unzahl an Erklärungsversuchen wurde ja von allen möglichen Seiten seit dem damaligen 1975er Karrierebeginn dieser Szene-Urgesteine immer wieder bemüht.

Doch so recht auf den Punkt bringt es eben nur Bandboss Ian Fraiser „Lemmy“ Kilmister selbst: „Ich liebe eben das, was ich mit der Band tue!“ Und Liebe an sich ist erfahrungsgemäß grenzenlos. Sämtliche Hardrocker, Schwermetaller und Krachliebhaber dieses Erdballs haben nun weltweit wieder etwas zu feiern, denn das völlig zurecht als praktisch unzerstörbar geltende Rock’n’Roll-Trio bringt mal wieder ein neues Studioalbum an den Start: „Motörizer“, der sage und schreibe 24. (!) Langspieler in der selten langen Laufbahn von Motörhead.

Typischer geht’s wohl nicht. Denn seine beiden langjährigen musikalischen Weggefährten, Gitarrenprofi Phil „Wizzo“ Campbell und Trommeltier Mikkey Dee, gingen Tieftöner, Stimmband-Schinder und Whiskey-Schluckmaschine Kilmister dazu abermalig bestens zur kreativen Hand. Und er, der mittlerweile 63-jährige Weltberühmte, der vor über 18 Jahren von England nach Los Angeles übergesiedelt ist, hat auch im aktuellen Falle wieder mal ganze Sache gemacht.

Kein Zweifel, knallhart rocken hält halt einfach länger jung: Kernige Titel wie beispielsweise der ergötzlich schmissige Opener „Runaround Man“ oder „Teach You How To Sing The Blues, aber auch „Rock Out“ oder „Back On The Chain“ jedenfalls sind als Motörhead in absoluter Reinkultur zu bewerten.

Für den dauerhaft trink- und qualmfreudigen Lemmy läuft es nach wie vor ohnehin bestens, denn unerschütterliche Linientreue zahlt sich über kurz oder lang eben doch immer aus.

So erhielt er am 16. Juni dieses Jahres den britischen Mojo Icon Award in Großbritannien. Verdienter Maßen, denn eine menschlich wertvolle Ikone des gesamten Rock-Bereichs ist er mittlerweile auf alle Fälle.

Und vor nicht allzu langer Zeit wurde Lemmy bekanntlich gar ein biografisch aufgebauter Film (www.lemmymovie.com) gewidmet, welcher derzeit noch seiner kommerziellen Veröffentlichung harrt.

Und der ebenso kauzig-eigenwillige wie gerade dadurch immens beliebte humorige Attitüden-Großmeister kann dazu seit Neuestem schmunzelnd auch noch auf eine eigens auf den Markt gebrachte Action-Figur seiner Person blicken.

„Mir geht es gut, und dir?“, beginnt der stets sozial- und weltkritische Jack Daniels-mit-Cola-Fetischist den gemeinsamen Dialog in aller Knappheit, dazu genau entgegengesetzt in gewohnt trockener Gesprächsmanier. Und dass die nagelneue Motörhead-Platte mittlerweile bereits die 24. ist, scheint den bekanntermaßen sehr schlitzohrigen Briten recht kalt zu lassen: „Darüber denke ich glücklicherweise überhaupt nicht nach, niemals“, und, wie er in diesem Sinne herzlich lachend fort fährt, bekennt er auch gleich noch: „Ich gebe einfach immer das Beste, was ich mir selbst abringen kann, das ist mein einziges Ziel mit Motörhead, und das ist es auch seit jeher gewesen und wird es stets sein.“

Wie mich der angenehm gut gelaunte Mr. Kilmister dann im Weiteren in allerbestem diffusem England/US-Slang informiert, enthält „Motörizer“ den gewohnt puren und unverfälschten Motörhead-Stoff, nicht mehr – aber auch nicht weniger. Der Chef fabuliert in aller liebenswürdigen Bescheidenheit:

„Die bei uns bereits altbewährte musikalische Mischung eben wieder, gespickt mit meinen Texten, welche sich ebenfalls wie gewohnt um Krieg, Sex und das tagtägliche Leben samt seinen ganzen verdammten Widrigkeiten drehen. Irgendwie erinnert mich `Motörizer` persönlich in vielerlei Hinsicht an unser 2004er Studioalbum `Inferno`, was den Fans vorab bestimmt ein ganz guter Anhaltspunkt zur neuen Motörhead-Veröffentlichung sein dürfte. Trotzdem, Motörhead bleiben natürlich Motörhead – und somit gleicht genau genommen keines unserer Alben dem anderen, denn wir zocken unser Zeug ja stets mit neuen frischen Ideen und unterschiedlichen Eingebungen.“

Man muss ihn einfach für seine Echtheit lieben, diesen durch und durch menschlichen Kerl, wie er da seine kurzen, aber herzlich vorgetragenen Wort-Ketten so vor sich hin raunzt.

Ein wahrer Hochgenuss für jeden Rock’n’Roll-Vollblutcharakter. Lemmy, überhaupt nicht lange zögernd, expliziert nachfolgend nur zu gerne den voran gegangenen Kompositionsprozess zur neuen Silber-Bulette:

„Mann, um hier ganz ehrlich zu sein: Das war alles in allem mal wieder wirklich höllisch harte Arbeit für mich. [Originalzitat: `…was pain in the ass…`] Ich hing teilweise Tag und Nacht an den Songs, ja, konnte gar nicht mehr aufhören daran zu werkeln – bis ich’s dann letztlich alles beisammen hatte. Abschließend fühlt sich das dann immer noch wie eine regelrechte Erlösung an [lacht]. Besonders viel Mühe hatte ich mit dem Lied `Back On The Chain`, zu welchem der Entstehungsprozess schier gar kein Ende nehmen wollte – soll ja öfter vorkommen, aber ich konnte mich selbst einfach nicht zufrieden stellen mit diesem verdammten Song, was mich bald schier wahnsinnig gemacht hätte.“

Glücklicherweise war dies nicht mal ansatzweise der Fall, und so kann der obersympathische Altrocker und Cowboystiefel-Dauerträger hier noch über eine Komposition berichten, die ihm ganz besonders am ehrlichen Herzen liegt. Wir erfahren vom Boss:

„Für mich persönlich ist der allerbeste neue Song auf `Motörizer` unweigerlich `1000 Names`! Aber das ist ja nur meine Meinung, Phil oder Mikkey werden das vermutlich anders sehen.“

Wie mein Gesprächspartner dazu noch tiefer gehender expliziert, befasst sich „1000 Names“ mit einem heißen Eisen, nämlich dem leidigen Thema Irak-Krieg. Lemmy:

„Ja, und eigentlich sollte diese Nummer ja `1000 Names Of God` heißen. Mich regt diese ganze verdammte Scheiße mit jedem Tag mehr sowieso immer mehr auf, denn es bestand meiner Ansicht nach niemals ein berechtigter Anlass für die USA, den Irak derart massiv anzugreifen, in einen Krieg zu verwickeln und nachfolgend ein korruptes Besatzer-Regime dort zu installieren. Totaler Bullshit! Ich kann das ganze Heucheln und all die Lügen der weltweit entsprechend geschmierten System-Presse dazu schon lange nicht mehr hören. Ich sehe beziehungsweise höre mir sowieso schon lange keine täglichen Nachrichtensendungen mehr an, ist ja alles derselbe miese Dreck, der die Leute krank im Kopf macht! Und, das Internet ist da nicht minder schlimm, wie ich denke – denn am Ende wird es mit seinen ganzen Perversionen die Menschheit genauso irre machen wie all die verdammten Fernsehgeräte.“

Bislang sind ja schon einige Tausend junger und unschuldiger amerikanischer Soldaten dort unten für den „ganzen inszenierten Mist“ zum Opfer gefallen, so Lemmy, was für den Pfarrerssohn nichts weniger als ein gigantisches Verbrechen darstellt, wie er sagt:

„Die blutjungen Kerlchen, die dort auf militärischen Befehl hin geschickt werden, um für `Amerika` und für den `Frieden` zu `kämpfen`, sind ja in der Regel noch Kinder, die, kaum der Schule entrissen, zu den Waffen abgesendet werden. Damals in Vietnam war es ja genau die gleiche verbrecherische und perfide verlogene Vorgehensweise der dafür verantwortlichen Interessengemeinschaften – sie hetzen und hetzen, sie inszenieren und inszenieren – solange, bis die Völker hasserfüllt aufeinander losgehen und sich gegenseitig bestialisch umbringen – und sie liefern ihnen sogar noch die erforderlichen Waffen dazu und verdienen mächtig viel Geld mit diesem schändlichen Treiben. Ich verabscheue es auf tiefster Seele!“

Vor lauter innerlicher Aufregung über diese schlimme Thematik unterbricht ein weiterer lauter Hustenschwall den Redefluss des langjährigen und unbelehrbaren Zigarettenrauchers. Doch Lemmy, ganz Profi, fängt sich recht schnell wieder:

„Ja, gut, lass` uns über angenehmere Dinge plaudern – das mit besagter Lemmy-Actionfigur beispielsweise, damit bin nicht zufrieden, denn das lief ja überhaupt nicht nach meinem Wunsch: Weil, ich persönlich war von Anfang an dafür, einen riesigen steifen Plastik-Schwanz auf dem Bodensockel zu platzieren; ich meine, schließlich soll damit ja doch `Action` gemacht werden können!“

Ein dezenter Lachanfall im Anschluss an die Aussage krönt dieses erheiternde Statement des Bassisten. Typisch. Aber: Unverkrampft lustig und daher ja auch immer wieder nur allzu gerne gehört.

Wie der Tieftöner und Sänger noch zu dieser peripheren Thematik verlauten lässt, gehen ihm selbst solcherlei Action-Figuren sowie ähnlicher Merchandise-Nonsens ohnehin komplett am Arsch vorbei.

Das Gespräch geht munter weiter, und es folgt eine weiteren deftige Lektion an Unbekümmertheit in unverblümter Reinform:

„Yeah, ich denke, wir sind noch immer die hässlichste Band der Welt, um was sonst sollten wir uns also schon groß kümmern als um unsere Musik an sich?“

In der Tat, eine absolut berechtigte Gegenfrage, welcher Urvieh Lemmy selbst, nicht minder lässig, mit ergötzlich schelmisch lachendem Unterton noch anfügt:

„Wir sind halt ganz einfach nur wir selbst, und das können wir auch am allerbesten. Es gilt ja nach wie vor: Entweder man liebt oder hasst uns. Dazwischen gibt es nichts. Und das soll auch so sein. Uns selbst ist das jedoch absolut scheißegal – wir haben beileibe Wichtigeres zu tun, als uns den ganzen lieben langen Tag um all die Meinungen der Leute da draußen über uns zu kümmern. Wenn man damit erstmal anfängt, wird man ja sowieso nicht mehr fertig damit. Ich selbst kann ja sowieso nichts anderes im Leben, da bin ich ganz ehrlich, also mache ich aus der ganzen Sache eben so gut es geht das Beste! [lacht herzerfrischend laut auf] Ich bin nun mal eiserner Rock’n’Roller, ich möchte ja auch gar nichts anderes sein. So bin ich selbst ziemlich glücklich mit meinem Leben, das ich so führe. Es hat sich somit auch in der Band an sich nichts verändert: Wir sind noch immer drei literweise Whiskey trinkende Rabauken, welche von dem verdammten Zeug einfach nicht genug kriegen können – genau das macht Motörhead doch am Ende aus, dafür lieben uns die Fans, und das wird sich auch nicht verändern“, verspricht der eiserne Rocker und bekennend lebenslange Beatles-Fan seinen zahlreichen Anhängern.

Ja, genau, richtig gelesen, „The Beatles“ – die unvergessenen Hit-Garanten sind nämlich noch immer Gevatter Lemmys absolute Lieblinge in Sachen private Hörvorlieben. Und das auch noch nach all den Jahren, seitdem der trinkfeste britische Backenbart-Bär den stimmigen Sound der beiden genialen Gitarristen John Lennon und George Harrison sowie von Bassist Paul McCartney und Trommler Ringo Starr das allererste Mal hörte.

Er verkündet in aller Offenheit: „Wenn ich Zeit habe, bei mir daheim mal Musik zu hören, kommen da eben nur die Beatles für mich in Frage – ich wüsste echt nicht, was ich dir hier dazu sonst noch für Bands nennen soll. Die beträchtlich hohe Anzahl ihrer zeitlosen Kompositions-Erfolge stellt auch heute noch eine immense Vielzahl an anderen Gruppen deutlich in den Schatten.“

Recht hat er, und entgegen den erwähnten populären Pilzköpfen aus Liverpool, welche sich 1970 zum Leidwesen von Abermillionen Anhängern auflösten und nachfolgend Solo-Karrieren anstrebten, möchte der erfahrene Spirituosen-Spezialist laut eigenem Bekunden am liebsten niemals mit seinem musikalischen Treiben aufhören.

„Wozu auch, Mann?“, entgegnet er der Frage mit recht raubeinigem Tonfall, „ich werde immer spielen, immer auf der Bühne stehen – solange ich lebe, genau bis zu dem Tag, an dem ich irgendwann einmal sterbe. Ja, so lautet zumindest mein persönlicher Plan für mich; aber, mal sehen, was letztlich daraus wird. Gegenwärtig ist jedenfalls noch lange kein Ende in Sicht. Damit lebe ich meinen großen Dank an den glücklichen Umstand aus, solch ein Dasein als Musiker überhaupt führen zu können, was ja beileibe keine alltägliche Selbstverständlichkeit ist. Ich liebe mein Leben.“

Bleibt hierzu innig zu hoffen, dass der wahrlich endlose Jack Daniels-Konsum dieses englische Unikum, der desinfizierenden Alkoholwirkung entsprechend, möglichst lange noch konserviert.

Und auch das Räuchern ist ja als entsprechende Methode zur Haltbarkeits-Steigerung bekannt, ein weiterer Gedanke, welcher einem beim hohen Zigarettenkonsum Kilmisters in den Sinn kommt.

Geht es hingegen um neuzeitlichere stilistische Ausformungen der übergreifenden Spielart Metal, spezifischer gesagt um die darin seit Anfang der 90er ständig neu nach oben definierten Härte- und Gewaltgrade, winkt „Mr. Motörizer“ selbst recht gleichgültig ab:

„Der ganze Zirkus da draußen kümmert mich überhaupt nicht. Sollte er denn? All die ständig neu von den großen Plattenfirmen gesetzten Trends und Moden im Rock und Metal sind mir ein absoluter Graus, es geht den Leuten ja immer noch weniger um die Musik an sich. Schon seit sehr vielen Jahren habe ich aufgehört, dorthin irgendeine Aufmerksamkeit zu vergeben – ich kann das Ganze überwiegend einfach nicht für voll nehmen. Ich fühle mich damit ganz einfach überhaupt nicht verbunden, in keiner Weise. Klar, es gibt auch heutzutage schon noch rühmliche Ausnahmen bei all den Bands, wenn auch wenige, die das ernst meinen, was sie tun und die sich selbst treu bleiben. Und denen wünsche ich alles Glück der Welt für ihre Sache. Das alles, mehr habe ich dazu wirklich nicht zu sagen. Ich werde in Interviews ziemlich oft danach gefragt, was mir an neuerer Rock-Musik gut gefällt, aber da gebe ich immer dieselbe Antwort.“

Im kommenden September 2008 läuft die ausgedehnte US-Tour mit Heaven & Hell und Judas Priest an, so Lemmy, und der unerschütterliche Motörhead-Chefdenker freut sich laut eigenem Bekunden schon jetzt immens darauf.

„Yeah, ganz einfach die perfekte Kombination aus Bands und Stilen, sage ich – das wird ein einziges Fest! Im Herbst kommen wir dann auch mal wieder nach Europa, sowohl für diverse große Festivals als auch für einige andere Konzerte. Und im Zuge dessen spielen wir auch mal wieder in `Good Old Germany`, bislang stehen Danko Jones und Saxon als Tour-Support fest.“

Dass sich Kultfigur Kilmister abschließend noch für das geführte Interview höflich bei mir bedankt, spricht wohl einmal mehr für seine riesengroße charakterliche Wertigkeit und seine absolute Vorbildfunktion für ein ganzes Rock’n’Roll-Universum.

© Markus Eck, 10.07.2008

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