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Interview: REMEMBER TWILIGHT
Titel: Unterschiedliche Blickwinkel

„Zerrissen“: Eine der ungewöhnlichsten Veröffentlichungen harter und dunkler Musik überhaupt springt die Hörer mit diesem neuen kauzigen Debütalbum an.

Ein Leutenbacher Open Minded-Sextett musiziert darauf dermaßen eigenständig und abwechslungsreich, dass laut Ansicht der beteiligten Musiker nur eine einzige stilistische Kategorisierung zutreffend genug dafür sein kann: Kammermusik Core. Ein Zwiegespräch mit Polterbarde und Saitenaxtmann Timo Nussbaum sollte Klarheit in die durch den chaosmagischen Individualsound entstandenen Wirren bringen.

„Im Prinzip haben wir einen großen Topf auf den Herd gestellt. Als Grundlage setzten wir eine gehörige Portion Metal an und köchelten das Ganze auf kleiner Flamme. Anschließend kippten wir eine gute Portion neue deutsche Härte als Kraftverstärker hinein. Immer noch nicht ganz zufrieden mit der Gesamtsituation rührten wir noch ein Kammermusik-Trio unter um unserem Kunstwerk den letzten Schliff zu geben. Eine eher dunkle Grundstimmung ist aber doch vorherrschend in der Musik von Remember Twilight.“ Mit dieser Darstellung legt der gute Timo eingangs die musikalische Entstehungsgeschichte seines urigen Böller-Orchesters dar.

Da drängt sich dem Autoren rasch der Gedanke auf, welche Bands sich die fünf Jungs wohl privat so anhören.

Und laut Timos Statement existieren wenige Fragen, welche seine Band so spalten können wie diese.

„Jeder hat andere Lieblingsbands aus unterschiedlichen Musikrichtungen. Aber es ist nicht unser Ziel einen Stil zu finden, den alle anderen anhand bestimmter Bandnamen sofort einordnen können. Viel mehr möchten wir selbst uns in der Musik wieder finden, die wir selbst spielen und uns selbst ausdenken. Wenn wir damit zufrieden sind, können wir versuchen andere zu überzeugen. Und es ist nicht immer einfach alle von uns unter einen Hut zu bekommen: Jeder hat irgendwann mal was zu sagen. Bei unserer Band dreht sich alles um den zentralen Ausgangspunkt `Zerrissen`. Das hat sich als Grundthema so entwickelt. Remember Twilight: es gibt mehr als nur Schwarz und Weiß. Überall steckt dieser Ansatz bei uns mit drin, egal ob Texte oder Musik. Unterschiedliche Blickwinkel sind interessant, wichtig und spannend. Bei dieser aktuellen CD ist das auch im Cover-Artwork zu sehen: Zwei gegensätzliche Gesichter, die doch auf demselben Kopf Platz finden. Der Spiegel zeigt möglicherweise mehr als eigentlich da ist. Die eine Seite ist freundlich, mit einer gewissen Melancholie, und die andere wild, unberechenbar, eine grässliche Fratze. Zerrissen zwischen Gut und Böse, Herz und Verstand.“

Angefangen hat das laut Timo alles, als sie Musik von The Inchtabokatables gehört haben. „Die sind für mich die Großmeister schlechthin. Dadurch bekamen wir selbst auch Lust mit klassischen Instrumenten zu experimentieren. Als dann unser Florian mit der Oboe auftauchte, war uns klar, dass es ein größeres Experiment werden könnte. So kam es dann zum Kammermusik-Core.“

Es ist ein grundsätzliches Problem fast jedes Musikers, seine eigene Musik treffend zu beschreiben. So auch für meinen Gesprächspartner: „Ist es jetzt Emo-Core oder Hard-Core? Alternative Power Rock oder doch einfach nur Rock? Leider klingt Rock halt so langweilig, weil der Begriff schon in die Jahre gekommen ist. Jede Band strebt doch nach Wiedererkennung, deswegen sucht man sich auch einen eigenen Namen, benennt eine bestehende Schublade einfach mit einem neuen, spannenden Begriff. `Und was für Mucke macht ihr?` – dummerweise tritt diese Erklärungsnot fast jeden Tag auf. Entsprechend hatten wir uns früher auch schon so einiges ausgedacht, um unserer Musik einen Namen zu geben. Dabei war die oberste Priorität, dass die Zuhörer schon beim Lesen ahnen können, wie die Musik vielleicht klingt. Ich denke, Kammermusik-Core kommt diesem Ziel sehr nahe.“

Grundsätzlich empfiehlt Timo in aller Entschlossenheit der gesamten Hörerschaft, sich die neue CD von Remember Twilight anhören, wie sich im weiteren Interview-Verlauf auftut.

„Sie ist recht originell und vielseitig ausgefallen. Die klassischen Instrumente, Violine und Oboe, sind alle echt und die Musiker gehören wirklich zur Band. Viele Bands streben nach einem majestätischen, orchestralen Klangkörper auf ihren CD-Produktionen und dann werden sogar ganze Orchester engagiert. Das ist inzwischen ja schon ein Trend geworden. Wir haben zu solchen Ideen jedoch noch nicht die Zeit und vor allem auch noch keine Mittel gehabt. Nur weil wir in der Band auch klassische Instrumente spielen, darf man nicht gleich ein ganzes Symphonieorchester erwarten. Wir nennen die Musik auch deswegen Kammermusik-Core. Die Aufnahmen fanden im Mastersoundstudio von Alex Krull statt. Einen Teil davon schafften wir bereits im Mai 2003, der verbleibende Rest wurde dann in der ersten Hälfte 2004 absolviert.“

Einige Ideen dafür sind schon relativ alt, wie sich Timo entsinnt. „Und wir haben auch von einigen Songs schon die fünfte Version arrangiert – OK, fünf sind übertrieben; aber: Andere Stücke sind ganz neu und erst kurz vor dem Studiotermin fertig geworden. Ab 2002 haben sich dann alle Songs in der Form gesammelt, wie sie jetzt auf der CD `Zerrissen` zu hören sind. Der kompositorische Löwenanteil kommt von mir in Form von Stimmen und Gitarren und von unserem Bassisten Jörg. Meistens ist es nur eine kleine Grundidee, die dann mit zusätzlichen Ideen und den unterschiedlichsten Einflüssen zu einem neuen Song geknetet wird. Und wenn es fertig gebacken ist, dann kommt Kammermusik-Core dabei raus. `Zerrissen` ist ja unser erstes Projekt in der Größenordnung, daher können wir es mit allem was bisher war nicht vergleichen. Irgendwann während des Entstehungsprozesses waren aber auch wir an der Position, wo Kompromisse nötig werden. Das ist im ersten Moment etwas unangenehm. Wir haben jetzt aber etwas Abstand dazu und wissen natürlich viele Dinge, die wir in Zukunft anders machen könnten.“

Der Albumtitel „Zerrissen“, er war eher spontaner Natur. „Wir saßen zusammen und haben Ideen zum Layout gesammelt. Maglfy, der Grafiker unseres Vertrauens, wollte als Titel für das Album nur ein Wort. Ein Wort, das alles was im Album drinsteckt genau trifft. `Zerrissen` war dann die Lösung. Dieses Wort passt zu allem: Der Musik, den Texten, dem Cover, aber auch zum Bandnamen Remember Twilight. Als inhaltlichen Anker könnte ich anbieten: Der ewige Zwiespalt des Menschen, seine dunklen Gedanken, Zweifel und Hoffnungen, Missverständnisse und Träume, seine Position im Alltag und in seiner Umwelt, die Widerspiegelung dieser Zerrissenheit des menschlichen Wesens in der musikalischen Wanderung zwischen den Welten. Kammermusik-Core als Crossover, der uns Freiheiten lässt, all das umzusetzen. Im Nachhinein betrachtet ist es schon interessant, dass wir keinen Titel hatten und eine Idee von außerhalb der Band, nur ein Wort als Titel zu wählen, aus ganz anderen Motiven heraus, uns schließlich zu diesem Titel geführt hat.“

Timo bekennt anschließend, in seinen Songtexten nicht einzelne Ereignisse aufzugreifen sondern sich entwickelnde gesellschaftliche Trends zu bearbeiten.

„Natürlich wird man durch oftmals sehr schmerzliche zwischenmenschliche Erlebnisse darauf aufmerksam gemacht. Dabei sind mir vor allem die menschlichen Verhaltensformen des Einzelnen wichtig. Um das ganze näher zu erläutern: Der Song `Wirklichkeit verstehen` beispielsweise baut sehr stark auf der Schrift `Utopia` von Thomas Morus auf. Inspiration bekam ich unerwartet zu diesem Song von einer studentischen Band die sich weigerte in einem `Schwulenclub` zu spielen: Typische Doppelmoral von Leuten, die, wie ich meine, persönlich darauf angesprochen, Homophobie sicherlich verurteilen würden. Da brannten bei mir alle Sicherungen durch – voilà, ein Song zu euren Ehren.“

Ansonsten singt Timo über den ewigen Zwiespalt des Menschen, seine dunklen Gedanken, Zweifel und Hoffnungen, Missverständnisse und Träume. „Ich habe den Drang Menschliches auszudrücken.“

Im Großen und Ganzen haben Remember Twilight ihre Songs aber genau so gemacht, wie sie ihnen gefallen haben. „Eigentlich gab es kein übergeordnetes Ziel wie `noch dunkler, noch härter, noch schneller, noch hit-tauglicher` etc. Oder Einschränkungen wie: `Dieser Song passt aber gar nicht in das Konzept des Albums, weil...`. Seit unserer Demo CD `Kammermusik-Core 2001` hatten wir eine Ahnung wo es hinführen soll. Die Ideen, die wir in der Zeit ab 2002 verarbeiten konnten, haben den Weg auf die CD gefunden. Alles andere kommt vielleicht später.“

Was eine kommende Live-Show für das aktuelle Album anbelangt, wollen Remember Twilight laut Timo nur mit ein paar markanten Details aufwarten.

„Nichts Großartiges. Wir werden mit sieben Musikern auftreten, dafür suchen wir im Moment noch jemand, der das zweite Geiglein spielt. Wir hoffen, dass das Line-Up bald wieder komplett sein wird. Schaut es euch an: Die `Zerrissen`e Tour 2005!“

© Markus Eck, 22.03.2005

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